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Faust im Sack

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Auf die Forderung der Bauernschaft nach Erhöhung der Agrarpreise angesprochen, meinte der Bundeskanzler lakonisch: „Das wird noch ein zähes Ringen werden, ein sehr zähes Ringen.“

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Auf die Forderung der Bauernschaft nach Erhöhung der Agrarpreise angesprochen, meinte der Bundeskanzler lakonisch: „Das wird noch ein zähes Ringen werden, ein sehr zähes Ringen.“

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Tatsächlich haben die letzten Tage gezeigt, daß das Verhandlungsklima zwischen Regierung und Bauernschaft eine merkliche Abkühlung erfahren hat. Die Gründe für den Unmut der Bauern sind mannigfaltig:

• Am 3. November 1971 stellte die Präsidentenkonferenz den Antrag auf Erhöhung des Erzeugerpreises für Milch um 28 Groschen; darüber fand bis heute noch keine Sitzung statt;

• Am 27. Jänner 1971 stellte die Zuk-kerindustrie den Antrag auf Erhöhung des Zuckerrübenpreises um 6,2 Prozent. Obwohl bezüglich dieses Antrages das Vorprüfungsverfahren am 15. Jänner 1972 beendet wurde, ist bis heute nichts geschehen.

• Erstmals am 29. Juli 1971 stellte die Präsidentenkonferenz den Antrag auf Erhöhung des Erzeugerpreises um 25 Groschen je Kilogramm. In der Folge erfuhr dieser Antrag noch eine Erhöhung auf 30,4 Groschen; einzige Reaktion des Finanzministeriums: ein Vorschlag zur Neuregelung des Weizenmarktes.

Insbesondere der Weizenpreis ist es aber, der augenblicklich die Gemüter erhitzt. Der Vorsitzende der Konferenz der Landwirtschaftskammern, Lehner, verweist nämlich darauf, daß in der Sitzung der Paritätischen Kommission vom 12. Jänner 1972 unter Vorsitz des Bundeskanzlers vereinbart und protokolliert wurde, daß er (Lehner) seine Zustimmung zur Erhöhung der Düngemittelpreise nur geben konnte, nachdem Landwirtschaftsminister Dr. Weihs seinerseits die Zusicherung abgegeben hatte, den Produzentenpreis für Weizen mit dem 1. Juli 1972 zu erhöhen. Dazu der Bundeskanzler über seinen Minister: „Zusagen hat er nicht gemacht, denn er kann sie ja gar nicht gemacht haben. Er ist ja dazu gar nicht ermächtigt worden.“

Äußerungen dieser Art dienen sicherlich nicht dazu, die Bauernschaft zu beruhigen. Um so mehr, als die Bauern eine Anhebung des Weizenpreises noch vor der Ernte verlangen, im gegenwärtigen Zeitpunkt dafür aber keine Aussicht auf Erledigung besteht.

Besieht man die angeführten Preisanträge im Lichte der allgemeinen Preisentwicklung und der mit 1. Jänner 1973 geplanten Einführung der Mehrwertsteuer einschließlich der Preissteigerungsautomatik, so wird auch die Nervosität der Regierung verständlich. Erhöhte Preise bei Grundnahrungsmitteln machen auch die beste Indexkosmetik zunichte. Noch dazu, wenn die Bauern noch eine Reihe anderer Forderungen an den Finanzminister erheben, deren Erfüllung eine bedeutende Belastung des Budgets herbeiführen würde.

Zum ersten blicken die Bauern Österreichs EWG-Zukunft mit einem flauen Gefühl entgegen. Sie verweisen darauf, daß EWG-Produzenten durch sogenannte „Erstattungen“ in die Lage versetzt werden, landwirtschaftliche Produkte zu Weltmarktbedingungen auf Exporbmärkten anzubieten.

Ein weiterer Punkt auf dem bäuerlichen Wunschzettel ist die Forderung nach Erhöhung der landwirtschaftlichen Zuschußrenten, die zur Zeit 350 Schilling für Alleinstehende und 750 Schilling für Ehepaare betragen; wahrlich keine fetten Pfründen. Der Wahlkampfslogan vom „Kampf gegen die Armut“ wird, so sagen die Bauern, in diesem Konnex zur Farce.

Im Zusammenhang damit ist auch die in der Vorwoche von Minister Weihs eingesetzte Kreditprüfungsaktion zu sehen. Der Minister motivierte die Einsetzung dieser Kommission mit dem Ziel eines reibungslosen Ablaufs der Agrarförde-rung; Härtefälle bei Kreditvergabe sollen weitgehend vermieden und

Interventionen vermindert werden. Die Kommission konnte allerdings ihre Arbeit nicht aufnehmen, da sowohl die Vertreter des Bauernbundes wie auch die freiheitlichen Vertreter nicht erschienen waren. Der Bauernbund begründete sein Fernbleiben mit seinen Bedenken, daß diese Kommission zu einem großen Teil Kompetenzen der gesetzlichen Interessenvertretungen für sich beanspruche.

Überdies hat auch der Bericht des Wirtschaftsforschungsinstitutes über das Jahr 1971 Unruhe in die Reihen der Agrarier gebracht. Zeigt doch die Untersuchung über die Lage der österreichischen Agrarwirt-schaft, daß im vergangenen Jahr das Pro-Kopf-Einkommen der Bauern um durchschnittlich 5 Prozent gesunken ist.

Der wachsende Unmut in der Bauernschaft veranlaßte deren Vertreter zu einer ausgedehnten Verhandlungsrunde mit zahlreichen Mitgliedern der Bundesregierung, wobei eine Aussprache mit Vizekanzler Häuser für Ende Juni anberaumt wurde, ein Termin für ein Gespräch mit Bundeskanzler Doktor Kreisky aber noch nicht bekannt ist.

Die Ausbeute dieser Besprechungen ist — gemessen am Katalog der Bauern — bescheiden, um nicht zu sagen dürftig. Kein Wunder, daß in manchen Bundesländern bereits die Faust im Sack geballt wird.

Es ist noch gar nicht so lange her, daß niederösterreichische Bauern mit ihren Traktoren den Verkehr in der Wiener Innenstadt lahmlegten. Man muß sich ernsthaft die Frage stellen, ob es die Regierung wieder auf Kampfmaßnahmen ankommen lassen will. Mit einer Taktik bewußten Negierens von Forderungen ist sicherlich nichts gewonnen. Es wäre an der Zeit, durch den Beginn ernsthafter Verhandlungen — noch vor den Sommerferien — eine Zuspitzung der Situation zu verhindern.

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