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Grüner Klassenkampf?

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Das Kommunique schoß scharf: Die Direictoren der Landesbauernbünde, die sich kürzlich in Wien zu einer gemeinsamen Beratung getroffen habet!, erteilten fast, ,4aß die Befürchtungen der österreichischen Bauernschaft, daß eine SPÖ-Regierung den Klassenkampf gegen das freie Bauerntum mit Regierungsgewalt intensivieren würde, nun täglich aufs neue bestätigt werden." Es geht, erklärt Bauembunddirektor Doktor Lanner auf die Frage, waa?um so scharf formuliert wurde, „um existentielle Fragen für die Bauernschaft. Wir können uns nicht mehr länger hinhalten lassen, die sozialistische Mdnderheitsregierung halt bisher in keiner Phase bewiesen, daß ihr die bäuerlichen Sorgen ein echtes Anliegen sind."

Nachdem also in der Volkspartei die vor kurzem aufgekommene „Koali-tionsstinwnung" nach einschlägigen Erklärungen von Bundespräsident Jonas und Präsidentschaftskandidat Dr. Waldheim wieder im Abklingen ist, gewinnt die harte und bedingungslose Oppositionsstrategie, vom Bauernbund faktisch immer praktiziert, an Boden. Der Bauembund gab auf jeden Fall den Startschuß hiezu, zumal die agrarpolitische Bilanz der dreihundert Tage kaum ein Lob verdient.

Die Dotierung des ersten sozialistischen Agrarbudgets sichert zwar die Fortführung bewährter Förderungsmaßnahmen, die Sozialleistungen für die Bauern wurden ausgebaut. Trotzdem ist die Verbitterung und die Unruhe in der Bauernschaft verständlich. Seit Jahren sind die Agrarpreise eingefroren, ohne daß der Landwirtschaft die inflationären Tendenzen oder die Steigerung der Betriebsmittelkosten, die seit einem Jahr besonders groß ist, abgegolten wurden. Die sozialistische Minderheitsregierung erhöhte den Dieselölpreis von 2.50 S auf 3.20 S, was die Landwirtschaft trotz der Treibstoft’verbilli-gung, dotiert mit 280 Millionen Schilling, noch zusätzlich mit 250 Millionen belastet. Dies fällt insbesondere deshalb ins Gewicht, weil die österreichische Landwirtschaft hoch mechanisiert ist, der Prozeß der Technisierung sich zwar einer Endphase nähert, aber keinesfalls abgeschlossen ist. Dazu kommt, daß die Landmaschinenindustrie fast jede Verteuerung der Rohstoffe auf den Endverbraucher umwälzt imd sdiließlich auch der Dünger durch die Kürzung der betreffenden Stützungsmittel für jeden Bauern erheblich teurer wurde.

Der Bauernbund ist nicht zu unrecht auch deshalb erbost, weil die sozialistische Regierungspartei eine Novellierung des Gasölsteuer-Begünsti-gungsgesetzes, wonach die Landwirtschaft in den Genuß des gefärbten Heizöles kommen würde, ablehnt. Gutachten haben ergeben, daß sich das gefärbte Heizöl für den Betrieb von Dieselmotoren durchaus eignen würde. Handelsminister Doktor Staribacher spricht aber von unzumutbaren Wettbewerbsverzerrungen.

Ebenso negativ ist die Regierungspartei, obwohl sie im Regierungsprogramm steigende Einkommen auch für die Bauern versprach, gegen eine Erhöhung des Milchpreises um 15 Prozent eingestellt. Wenn auch die Befürchtung des Bauembundes, die Landwirte könnten Opfer eines Klassenkampfes sein, überspitzt und nicht jedermanns Geschmack ist, so muß doch festgestellt werden, daß die Landwirtschaft bisher Außenseiter der sozialistischen Wirtschaftspolitik ist.

Kürzlich hielt der Präsident des

Deutschen Bauernverbandes, Freiherr von Heeremann, einen Vortrag in Wien, und sein Aufenthalt wurde nicht zuletzt dazu benützt, um über Möglichkeiten zu sprechen, wie den Bauern ein angemessener Anteil an der Wahlstandsentwicklung gesichert werden könnte. Der überparteiliche Deutsche Bauernverband hat nämlich bereits mehrmals zu Demonstrationen aufgerufen, und in Kürze werden rund 30.000 Landwirte gegen die Agrarpolitik der sozial-liberalen Koalition in Bonn demonstrieren. Die Probleme sind die gleichen, die Aktionen auch.

Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß auch der Bauernbund an einer Strategie arbeitet, wie man die sozialistische Regierung zwingen könnte, wenigstens den „Minimalforderungen" dar bäuarlicjhen Imteressenver-tretungen zu entsprechen. Tatsache ist auf jeden Fall, daß das sozialistische Engagement bäuerlichen Anliegen gegenüber zu wünschen übrig läßt. An einer Verschärfung der innenpolitischen Auseinandersetzimg ist also nicht zuletzt, wenn man die Argumentation, welche in den vergangenen dreihundert Tagen gegen die Forderungen der Agrarier vorgebracht wurde, überprüft, die Minderheitsregierung schuld, also jene Regierung, die scheinbar ihren Ehrgeiz darin sieht, nur zu demokratisieren, ohne wirklich zu regieren.

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