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Wandel im Kuhhandel?

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Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ist vorsichtige Hoffnung berechtigt, daß sich knapp vor Ostern ein gewisser Wandel in der sozialistischen Politik gegenüber der österreichischen Bauernschaft angebahnt hat. Jedenfalls bestünden durchaus reale, wirtschaftlich und politisch begründete Ursachen für einen solchen Wandel. Einen letzten Anstoß dazu könnten einerseits 460.493 bäuerliche Unterschriften aus ganz Österreich gegeben haben, anderseits die wachsende Unsicherheit auf den Agrarmärkten der Welt, die auch einer SPÖ-Regierung ihre Verantwortung für die Erhaltung einer gesicherten Nahrungsmittelversorgung aus der heimischen Produktion nachdrücklich bewußt machen müßte.

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Wenn nicht alle Anzeichen trügen, ist vorsichtige Hoffnung berechtigt, daß sich knapp vor Ostern ein gewisser Wandel in der sozialistischen Politik gegenüber der österreichischen Bauernschaft angebahnt hat. Jedenfalls bestünden durchaus reale, wirtschaftlich und politisch begründete Ursachen für einen solchen Wandel. Einen letzten Anstoß dazu könnten einerseits 460.493 bäuerliche Unterschriften aus ganz Österreich gegeben haben, anderseits die wachsende Unsicherheit auf den Agrarmärkten der Welt, die auch einer SPÖ-Regierung ihre Verantwortung für die Erhaltung einer gesicherten Nahrungsmittelversorgung aus der heimischen Produktion nachdrücklich bewußt machen müßte.

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Kurz die Vorgeschichte zur jüngsten agrarpolitischen Entwicklung: die wirtschaftliche und soziale Lage der österreichischen Bauern — deren Lebensstandard nach Erhebungen der Wirtschaftsforscher durchschnittlich um rund 30 Prozent unter jenem der übrigen Bevölkerungsgruppen liegt — hat sich durch die Folgewirkungen der Mehrwertsteuereinführung, durch Treibstoff- und Handels-düingerpreiserhöhungen, durch allgemein wachsende Kosten und Soziallasten, sowie durch erhebliche Exporterschwernisse und Einkommensverluste für die Viehwirtschaft gerade in den letzten Monaten erheblich verschärft. Gleichzeitig lag der Milchpreisantrag der Bauernvertretung seit August 1973 unerledigt bei der Amtlichen Preiskommds-sion.

Alles berechtigte Drängen der Bauernvertretung auf Abhilfe und schwerpunktmäßige Erfüllung der Bauernforderungen durch die Bundesregierung blieb jedoch lange Zeit hindurch unberücksichtigt. Die Verbitterung der Bauern, die inzwischen teils zur Radikalisierung, teils zur Resignation zu führen drohte, erreichte schließlich einen ersten Höhepunkt, als der Bundeskanzler am 24. Jänner 1974 vor dem Parlament einen großen Wirtschaftsbericht erstattete, in dem die Land- und Forstwirtschaft mit keinem einzigen Wort erwähnt wurde. Als Baiuern-bundpräsident Minkowitsch namens der österreichischen Bauernschaft sofort dagegen Protest erhob, lud Kanzler Kreisky für 8. Februar zu einem sogenannten „Bauerngipfel“ ein — einem von ihm geschaffenen Forum zur Aufwertung bäuerlicher Splittergruppen, die insgesamt kaum fünfzehn Prozent des Berufsstandes repräsentieren.

Kein Wunder also, daß diese „Bauerngipfel“, die bisher nur recht bescheidene Ergebnisse brachten, in der unabhängigen Presse zunehmend als „Bauerntheater“ abqualifiziert wurden. Als sich die Bauernbund-sprecher beim letzten derartigen „Bauerngipfel“ am 25. März mit dem „letzten Vorschlag“ des Bundeskanzlers nicht zufrieden geben wollten, wurden sie einfach „ausgeladen“. „Weilterverhandelt“ wurde mit den Minigruppen, die schließlich zur Kenntnis nahmen, was man ihnen vorlegte; nämlich eine Brutto-Pro-duzentenmilchpreiserhöhung von 30 Groschen, die den Bauern netto kaum mehr als zur Hälfte geblieben wären.

Inzwischen hat der Bauernbund dem Drängen aus weiten Kreisen der bäuerlichen Bevölkerung nach verstärkten Protestmaßnahmen zur Durchsetzung der Agrarforderungen Rechnung getragen und zu einer Urabstimmung aufgerufen, bei der es um die eventuelle Durchführung von Milchlieferstreiks, Käuferstreiks oder (beziehungsweise: und) andere Protestmaßnahmen — wie Vorsprachen, Aufmärsche und Verkehrsblok-kierungen — ging.

Die praktisch in wenigen Tagen durchgeführte Urabstimmung der österreichischen Bauern erwies sich als eine in diesem Umfang und Ausmaß bisher nie dagewesene Demonstration berufsständischer Einigkeit. Schon rein organisatorisch stellte dieses Unterfangen eine Höchstleistung des Bauernibundes und eine Bestätigung für seine Stärke dar. Galt es doch von rund 367.000 bäuerlichen Betrieben aller Wirtschaftsformen und Regionen eine möglichst repräsentative Meinung und Entscheidung einzuholen. Insgesamt erbrachte die Urabstimmung in ganz Österreich 460.493 Unterschriften. Das heißt, daß sich im statistischen Durchschnitt jeder Betrieb für mindestens eine der möglichen Protest-maßnahmen viele aber sogar für mehrere entschieden hatten.

Noch während Bauernbundpräsi-dent Minkowitsch am 4. April der Öffentlichkeit dieses Urabstim-mungsergebnis vorlegte, wurde ihm von ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Schleinzer die Einladung Kreiskys zu einer neuen Verhandlungsrunde zwischen Bauernbund und Regierung übermittelt.

Noch vor Ostern haben bereits zweimal Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und dem Bauernbund stattgefunden, bei denen Bemühungen um ein weiteres Entgegenkommen gegenüber den Bauernforderungen erkennbar wurden. Vor allem soll die mit 1. April durchgeführte Erhöhung des Produzenten-milchpreises um 30 Groschen pro Liter den Bauern nun möglichst netto gesichert werden und die Mittel für Vdehabsatz und Treibstoffverbilligung sollen weiter erhöht werden. Über diese und die anderen noch offenen Fragen der Bauern wird am 22. April wei'terverhandelt. Der Bundeskanzler erwiese sich zweifellos als Realpolitiker, würde er nun endgültig seiner eigenen Kuhhandelstaktik* abschwören, wonach die Bauern nur dann etwas von den Sozialisten zu erwarten hätten, wenn sie sich von der österreichischen Volkspartei lossagen würden.

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