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Schleinzer-Rückzug ?

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Landwirtschaftisrmnister Dr. Schlein- zer hat sich kürzlich mit der Präsi- d ent e nkonf e r enz der Landwirtschaftskammern darauf geeinigt, den Einbehalt vom Milchgeld der Bauern, dem sogenannten „Krisengroschen”, mit Wirksamkeit vom 1. Septemlber 1969 neuerlich um drei Groschen zu senken. Das bedeutet, daß für 72 Prozent der auf den Markt gelieferten Milch nun wieder das volle Milchgeld von 2.30 Schilling pro Liter ausbezahlt wird. Tatsächlich hat es das seit Jahren nicht gegeben. 3 bis 5 Groschen pro Liter zahlten die Bauern sogar, bevor die Lage auf dem Milchmarkt am 1. April 1968 die rigorose Anhebung des Ab- satzförderungsbeitragas auf 19 Groschen erforderte. Es muß an der Milchfront also einiges passiert sein, wenn der für seine Sachfoezogenheit und Vorsicht bekannte Landwirt- schaftisminiister den Zeitpunkt für so einschneidende Entlastungen der Landwirtschaft gekommen sieht.

Im Kommunique der Präsidenten- konferenz heißt es sehr allgemein: „Diese für alle Milchproduzenten wichtige Entscheidung wurde nicht zuletzt dadurch ermöglicht, daß die von den zuständigen agrarischen Stellen diurchgeführten agrarpoliti- schen Maßnahmen insbesondere die verstärkte Umstellung innerhalb der Rinderwirtschaft auf die Fleischproduktion erfolgreich angelaufen ist.” Dahinter verbirgt sich ein für Europa einmaliger produktionspoli- tischer Erfolg.

Während 1967 die Milchanlieferung um etwa 7 Prozent über dem Vor jahr lag und sich diese Kurve auch in den ersten Monaten 1968 fortsetzte, begann sie nach der rigorosen Anhebung des Absatzförderungsbei- trages am 1. April 1968 rapid zu sinken. Das Endergebnis 1968 lautete dann 2,1 Millionen Tonnen oder 0,3 Prozent weniger als 1967. Auch

1969 hat sich diese rückläufige Tendenz fortgesetzt. Fachleute rechnen, daß die Milchmarktleistung neuerdings um 2 Prozent sinken wird.

Diese Entwicklung war nur möglich, weil dem Bauern in der Fleischproduktion eine auch wirtschaftlich sinnvolle Alternative zur Milcherzeugung angeboten werden konnte. Das war vor allem im Vorjahr gar nicht leicht, da Österreich auf seinen traditionellen Exportmärkten in Italien und Deutschland einer Diskriminierung ausgesetzt war. Durch ein ganzes Bündel von aufeinander abgestellten Maßnahmen ist es dem Landwirtschaftsminister aber doch gelungen, dem Fleischmarkt die erforderliche Stabilität zu geben Aul dem Milchmarkt selbst kam es ebenfalls zu gewissen Erleichterungen: Durch die sinkende Anlieferung kannten

• die Butterexporte auf England und den Vatikan beschränkt werden,

• für Käseausfuhren waren bessere Preise zu erzielen als im Vorjahr,

• der Inlandskonsum — vor allem bei Butter, aber auch bei Käse und anderen Produkten mit Ausnahme der Trinkmilch, ist gestiegen. Das ist die sachliche Plattform für die Entscheidung zur Senkung des Absatzförderungsbeitrages. Deshalb ist es auch nicht ernst zu nehmen, wenn eines Tages die Zeitungen die Entscheidung dahin kommentieren, daß Schleinzer vor dem Druck der Interessenverbände zurückgewichen sei, anstatt sich von sachlichen Erwägungen leiten zu lassen. Geordnete Verhältnisse auf dem Milchmarkt, wie wir sie heute im Gegensatz zu allen Nachbarländern haben, verlangen auch die Wiederherstellung des Normalzustandes beim Erzeugerpreis. Der normale Zustand aber ist, das volle Milchgeld, nicht der Abzug.

Jetzt am „Krisengraschen” nicht zu rühren, wäre, als wollte die Polizei Leute, die sie in Schutzhaft nimmt, auch dann noch brummen lassen, wenn die Gefahr vorüber ist.

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