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Der grün-rote Krieg

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Zum zweiten Male in der Geschichte unserer Republik rollten Traktoren über die Wiener Ringstraße, um vor dem Kanzleramt auf dem Ballhausplatz Aufstellung zu nehmen. Der Allgemeine Bauernverband, der fast gleich viel Funktionäre wie Mitglieder hat, mobilisierte schon im Jahre 1969 gegen die damalige ÖVP-Alleinregierung seine Anhänger und protestierte nun — die politische Unabhängigkeit dokumentierend — auch gegen das sozialistische Kabinett, wenngleich die Protestaktion vom vergangenen Freitag wesentlich milder ausgefallen ist als 1969.

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Zum zweiten Male in der Geschichte unserer Republik rollten Traktoren über die Wiener Ringstraße, um vor dem Kanzleramt auf dem Ballhausplatz Aufstellung zu nehmen. Der Allgemeine Bauernverband, der fast gleich viel Funktionäre wie Mitglieder hat, mobilisierte schon im Jahre 1969 gegen die damalige ÖVP-Alleinregierung seine Anhänger und protestierte nun — die politische Unabhängigkeit dokumentierend — auch gegen das sozialistische Kabinett, wenngleich die Protestaktion vom vergangenen Freitag wesentlich milder ausgefallen ist als 1969.

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Bundeskanzler Dr. Kreisky, ein Politiker, der auch das Showgeschäft meisterhaft versteht, empfing eine Delegation des Bauernverbandes und spielte diesem, geschickt argumentierend, gewisse Erfolge zu, indem er feststellte, daß die SPÖ verschiedene Forderungen realisiert habe. Der Bauernverband verlangte vor allem die Reduzierung des Milchkrisengroschens, die Herausnahme der Weinsondersteuer aus der Alkoholsondersteuer sowie die generelle Senkung der landwirtschaftlichen Einheitswerte.

Neben dem Bauernverband sorgte aber vor allem der politisch starke Bauernbund für Stimmung. Ihm gehören immerhin rund 90 Prozent der landwirtschaftlichen Bevölkerung an, und er kann sich auf etwa 400.000 Mitglieder stützen. Die Agrarpolitik bestimmt also nach wie vor die österreichische Innenpolitik. Die Achse Minkowitsch-Lanner und Lehner-Brandstätter entwickelte in den vergangenen Monaten, wenngleich nicht immer ganz am gleichen Strang und in gleicher Richtung ziehend, eine konsequente Qppositions-strategia gegen das Kabinett Kreisky. Die ÖVP-Agrarier, denen Landwirtschaftsminister Dr. Weihs persönlich gar nicht unsympathisch ist, finden aber in der Suppe der von ihm verantworteten SPÖ-Agrarpoli-tik wesentlich mehr als ein Haar.

Das Feld der agrarpolitischen Auseinandersetzung reicht von der Milchwirtschaft über die in Diskussion stehende Novellierung der Agrarmarktordnung bis zur Berg-bauernförderung und zum Forderungskatalog der Weinbauern. Dem sozialistischen Landwirtschafts-minister wurde durch die im Frühjahr stark steigende Milchproduktion aber die Chance genommen, seine Amtszeit mit einer populären Maßnahme einleiten zu können. Er war nämlich gezwungen, zur Finanzierung der Milchmarktordnung die gleiche Entscheidung zu treffen wie sein ÖVP-Vorgänger Dr. Schleinzer im Jahre 1968, nämlich einen Teil des Erzeugerpreises für die Überschußverwertung einzubehalten. Am gleichen Tage, an dem Minister Doktor Weihs die Erhöhung des Milchkrisenfonds bekanntgab, ließ die SPÖ-Regierung die Öffentlichkeit wissen, daß sie eine Verminderung der Umsatzsteuer für Margarine plane, um eine geringfügige Verteuerung dieser Produkte zu verhindern. Die Realisierung der Umsatzsteuerreduzierung für Margarine würde aber dem Staat etwa 90 Millionen Schilling Steuerverluste bringen, was den Bauernbund in Rage brachte. Er war es nämlich, der die ÖVP^AUeinregierung drängte, die Umsatzsteuer von 1,7 Prozent auf 5,5 Prozent zu erhöhen, um wenigstens teilweise die ungleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen Butter und Margarine auszugleichen.

Die bäuerliche Interessenvertretung sagte dem Landwirtschaftsminister daher verstärkt den Kampf an, und bisher wurden, einschließlich der Milchverschenkungsaktion in Wien, bereits 27 Protestaktionen in Österreich durchgeführt, weitere wurden für Oktober angekündigt, die in Steiermark und Salzburg stattfinden sollen.

Dies wurde kundgetan, obwohl mittlerweile bekannt wurde, daß das Agrarbudget 1971 eine Reihe von Überraschungen im positiven Sinne enthalten wird.

Als in der vergangenen Woche der Bauernbund feststellte, daß die Milchanlieferung mit etwa 5,8 Millionen Liter sogar unter dem Niveau des Vergleichszeitraumes des Jahres 1969 lag, kam der Landwirtschaftsminister, mittlerweile im Tiroler Wahlkampf engagiert, neuerlich ins Sperrfeuer der ÖVP-Agrarier, die für den Herbst sogar ein parlamentarisches Mißtrauensvotum ankündigten. Der Landwirtschaftsminister reagierte aber prompt: Er stellte für den Spätherbst und nach einer neuerlichen Überprüfung des Milchmarktes und der Budgetsituation eine Reduzierung des Krisengroschens in Aussicht.

Der Bauernbund hat aber noch einen Zankapfel entdeckt, der allerdings dem früheren ÖVP-Landwirtschafts-minister, wie die SPÖ nicht ohne Ironie feststellte, auf den Kopf gefallen ist. Der Tiroler Bauernbund beschwerte sich nämlich in einem offenen Brief darüber, daß Landwirtschaftsminister Dr. Weihs die Einstellung der Transportkosten-und Strohverbilligungsaktion verfügt habe. In Wirklichkeit hat aber diese Entscheidung bereits Minister Schleinzer Ende 1969 getroffen. Den permanenten Fehdehandschuh der bäuerlichen Interessenvertretungen griff aber Weihs in der Vorwoche auf, und kündigte die Installierung eines „Bauernrates“ an, der eine beratende Funktion bei der Vergabe von Förderungsmitteln ausüben soll. Die Präsidentenkonferenz, der Bauernbund und alle Landwirtschafts-kammern liefen Sturm gegen diesen Plan.

Es ist aber nicht nur die ÖVP, die dem Landwirtschaftsminister Sorge bereitet, sondern auch die eigene Partei. So stellte der sozialistische Arbeltsbauernbund unmißverständlich fest, daß er die flexible Handhabung des Krisengroschens als kaum geeignet für die Lösung des Milchmarktproblems halte, während Bundeskanzler Dr. Kreisky erklärte, daß er sich schwer eine funktionsfähige Agrarmarktordnung vorstellen könne, wenn die ÖVP von vornherein das Budget ablehne. Das Marktordnungsgesetz und das Landwirtschaftsgesetz laufen Ende dieses Jahres aus, und im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft finden derzeit Verhandlungen über eine Novellierung der für Produzenten und Konsumenten gleichermaßen wichtigen Gesetzesmaterie statt. Diese Verhandlungen sind aber ins Stocken geraten, weü die sozialistischen Vertreter von ihren bisherigen Forderungen, den Gewerkschaftsbund in die Fondskommission zu delegieren, Mehrheitsentscheidungen einzuführen und die Fonds zu ermächtigen, Stützungsumlagen für die Überschußverwertung einheben zu können, noch nicht abgegangen sind. Die Vertreter der Landwirtschaft sehen nun in der Realisierung dieser Forderungen eine Majorisierung ihrer Interessen, weshalb bisher keine Einigung zustande kam. Der Herbst läßt also noch turbulente Auseinandersetzungen erwarten, und neue Bauernrevolten sind durchaus nicht ausgeschlossen.

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