6787292-1970_19_05.jpg
Digital In Arbeit

Einsamer Minister

Werbung
Werbung
Werbung

Zum erstenmal seit 1945 steht seit Ende April ein SPÖ-Minister der gut organisierten und mit einem versierten Apparat ausgestatteten Bauernbund-Lobby gegenüber — eine Situation, die für beide Seiten schwierig, für Landwirtschaftsminister Dr. öllinger auch nicht ohne politische Brisanz ist.

Der Bauernbund mit seinem künftigen agrarischen Starsprecher Doktor Karl Schleinzer hat sehr klare Vorstellungen über die künftig notwendigen agrarpolitischen Maßnahmen und geht gut gerüstet in die Opposition.

Landwirtschaftsminister Dr. Hans öllinger wird, noch ehe die Zusammenarbeit im Ressort und mit der agrarpolitischen Interessenvertretung halbwegs klappt, bereits mit schwierigen Problemen konfrontiert werden. Die angespannte Budgetsituation und die angedeuteten Schwerpunkte der sozialistischen Finanzpolitik werden es dem neuen Chef am Stubenring nicht leicht machen, die notwendigen Mittel für die landwirtschaftlichen Förderungsmaßnahmen zugesprochen zu erhalten. Die Marktverhältnisse bei Weizen und Milch sind ebenfalls angespannt, und dazu kommt, daß die ÖVP sehr bald die Gretchenfrage „Wie hält's Du 's mit der Marktordnung und dem Landwirtschaftsgesetz?“ stellen wird. Bemerkenswert ist auf jeden Fall, daß Bundeskanzler Dr. Kreisky das Landwirtschaftsressort mit einem agrarpolitisch bisher unbekannten Fachmann besetzte, verschiedene Kreise meinen daher, daß die Nachbarschaft Dr. Staribachers im Handelsministerium mehr als ein Zufall ist.

Es entbehrt nicht einer gewissen politischen Pikanterie, wenn nun Landwirtschaftsminister Dr. Hans öllinger jene sozialistische Agrarpolitik verwirklichen soll, die der jetzige Handelsminister Dr. Stariba-cher in großen Umrissen im Wirtschaftsprogramm der SPÖ skizzierte. Wenn man von der Prämisse des sozialistischen Agrarprogramms „Die Bauern sind Opfer einer falschen Agrarpolitik“ ausgeht, so ist festzustellen, daß auch unter einem SPÖ-Landwirtschaftsminister weiterhin die ÖVP maßgeblich bestimmen wird, was in der Agrarpolitik richtig oder falsch ist. Die Sozialisten treten in ihrem Agrarprogramm dafür ein, durch gezielte Förderungsmaßnahmen die Landwirtschaft in die Lage zu versetzen, sich den geänderten wirtschaftlichen und technischen Verhältnissen anpassen zu können, um eine bessere Kombination der Produktionsfaktoren herzustellen. Ähnliche Formulierungen hat auch die ÖVP bereits geprägt und dafür in den vergangenen vier Jahren auch die gesetzliche Basis geschaffen. In diesen Fragen könnte sich der Bauernbund mit dem neuen Landwirtschaftsminister, falls dieser in der eigenen Partei Rückhalt genug findet, sicher verständigen. Wesentlich schwieriger werden sich aber die Verhandlungen auf dem Gebiet des Subventionssystems gestalten. Wenn auch die SPÖ betont, daß Subventionen vorläufig nicht vermeidbar sind, so hat sie doch über deren Einsatz wesentlich andere Vorstellungen als der Bauernbund, der sich zu der von Minister Dr. Schleinzer vorgenommenen Neuorientierung der Förderungspolitik bekennt. Größere Auseinandersetzungen sind sicherlich auch bei der Behandlung der Marktordnung zu erwarten, weil die Sozialisten einerseits gegen eine unbefristete Verlängerung und anderseits für eine stärkere Betonung des Preismechanismus eintreten. Der Vorschlag, einen Abbau der Agrarexporte vorzunehmen, ist ebenfalls mit vielen Fragezeichen behaftet und wird sicherlich bei den ÖVP-Agrarpolitikern keine Gegenliebe finden. Die ÖVP ist immer für die Pflege der traditionellen Auslandsmärkte eingetreten und hat auch alle Exportsubventionen, die dafür aufgewendet wurden, gut geheißen.

Im Agrarprogramm der SPÖ ist des weiteren von der Notwendigkeit der Nahrungsmittelexporte die Rede, „um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen und den Wohlstand zu steigern“.

Gerade in Fragen des Außenhandels enthalten die SPÖ-Vorschläge aber eine Reihe von Fragezeichen, und auf diesem Gebiet dürften auf jeden Fall größere Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bauernbund und der SPÖ zu erwarten sein. Landwirtschaftsminister Dr. Hans öllinger hat auf jeden Fall eine der undankbarsten Aufgaben im SPÖ-Minderheitskabinett zu erfüllen. Um seine Einsamkeit ist er nicht zu beneiden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung