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Kanalisierter Bauernzorn

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Es begann in Schärding in Oberösterreich, wo sich Bundeskanzler Dr. Kreisky mit sozialistischer Prominenz aus Österreich und Bayern umgab, um mittels einer Regionalkonlerenz Wahlwerbung für die Landtagswahl zu betreiben. Und an diesem Sonntag vormittag im Frühling sah sich der Regierungschef plötzlich von einer aufgebrachten Menge schreiender Bauern umringt.

Der Groll, dem die ÖVP-Bauern in Schärding Luft machten, war einige Zeit aufgestaut. Landwirtschaftsminister Weihs ist seit langem Zielscheibe der Kritik, vor allem, was den sogenannten Milchkrisengroschen betrifft. Es ist dies eine Abgabe, die vom Milchpreis, den die Bauern erhalten, abgezogen wird, um die Exporte österreichischer Milch und Milchprodukte zu stützen. Je nach Milchanlieferung wird auch der Krisengroschen variiert. Wird mehr angeliefert, so steigt er, wird weniger Milch angeliefert, ist auch weniger Geld für die Exportsubven-tionierung nötig. Und hier gibt es immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bauern und dem Landwirtschaftsiminister. Aber auch andere Regierungsmitglieder sind in das Schußfeld der ÖVP-Agrarier geraten: Vor allem Vizekanzler und Sozialminister Häuser, der die Landwirtschaftskrankenkassen (aus Rationalisierungsgründen, wie er sagt) an die Gebietskrankenkassen angliedern will. Die ÖVP will natürlich gerade auf diese Einrichtungen nicht verzichten, nicht zuletzt deshalb, weil sie für die Volkspartei auch einen politischen Machtfaktor darstellen. Schließlich stehen Finanz-und Handelsminister unter Bauern-beschuß, weil die Preise für Düngemittel und Treibstoff nach Auffassung der bäuerlichen Standesvertreter unverhältnismäßig hoch sind.

Darüber hinaus gibt noch die Kreditpolitik Anlaß zur Klage für die Bauern.

Die Vorwürfe des Landwirtschaftsministers, die Landeslandwirtschaftskammern, die für die Vergabe der sogenannten AIK (Agrarinvestitions-kredite) zuständig sind, hätten sich von Parteilichkeit leiten lassen und die darauf erfolgte Gründung der Kreditüberwachungskommission beim Ministerium hatte zur Folge, daß der ÖVP-Bauernbund aus Protest an der Arbeit dieser Kommission nicht teilnimmt.

Ein Klima der Unsicherheit entsteht auch dadurch, daß der Landwirtschaftsminister den Beginn der Verhandlungen für eine Neuordnung der Agrarmarktordnung für dieses Frühjahr angekündigt, bis jetzt aber keinen fixen Termin dafür in Aussicht genommen hat.

Diverse Interpellationen bei Regierungsmitgliedern haben nach Auffassung des ÖVP-Bauernbundes keinerlei Erfolg gebracht. Daher wurde zuerst die Aktion „Stellt die Regierung“ gestartet. Wo immer in Österreich ein Minister, und sei es auch Frau Forschungsminister Firnberg gewesen, auftauchte, wurde er von

Bauernbündlern in Diskussionen gezogen und mit den Forderungen der Agrarier konfrontiert. In Schärding kam es zum Eklat, weil sich der Bundeskanzler nervös zu unüberlegten Äußerungen hinreißen ließ. Doch lud er schließlich die Bauernorganisationen — wohlgemerkt: die Bauernorganisationen aller Parteien — ins Bundeskanzleramt zu einer großen

Unterredung über alle offenen Fragen ein. Freilich ärgerten sich die Bauernbündler, daß der Bundeskanzler darauf bestand, die Vertreter der anderen Parteien, die einen ganz, ganz kleinen Prozentsatz darstellen, sowie eine Abordnung des Allgemeinen Bauernverbandes — ein noch kleinerer Prozentsatz politisch uneinheitlich orientierter Landwirte,

der durch seine Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsminister Weihs und Finanzminister Androsch aufgefallen war — ebenfalls zu empfangen.

Bei der ersten Aussprache —, aber auch bei einer weiteren Unterredung, die kürzlich stattfand, zeigte sich die Meisterschaft des Regierungschefs im Vernebeln. Die Ausbeute beider Gespräche war für die Bauernbundver-treter trostlos: es wurden insgesamt drei Kommissionen eingesetzt. Und es gab nicht einmal den Anklang von Lösungsmöglichkeiten für anstehende Probleme. Dafür mußten sich die ÖVP-Vertreter im besonderen harte Worte von Vizekanzler Häuser zur bäuerlichen Sozialpolitik anhören, die in der Zeit gemacht worden war, als die Volkspartei den Landwirtschaftsminister stellte. Mit Recht konnte Häuser darauf hinweisen, daß in der Zeit der ÖVP zunächst nur landwirtschaftliche Zuschußrenten eingeführt wurden, die nach dem Fürsorgeprinzip in lächerlich kleinen Beträgen ausbezahlt wurden, und die alten Leute in bittere Not stürzten. Anderseits sei es aber auf Grund der exorbitanten Kosten nicht so leicht, diese Renten in Bauernpensionen umzuwandeln. Es wird also eine Kommission beraten, was zu tun ist, ebenso wie auf dem Sektor der Kranken- und Unfallversicherung.

Eine Kommission wird sich auch über die Reform der Milchwirtschaft den Kopf zerbrechen, wobei hier das Problem sehr komplex ist. Es gibt

zwei Eckpfeiler, die nicht leicht umzulegen sind: Die Frage der Marktordnung und im speziellen des Milch-wirtschaftsfonds sowie der Abnahmegarantie und damit im Zusammenhang die Tätigkeit der Molkereigenossenschaften. Die Bauern haben ja durch diese Institutionen die Garantie, daß ihnen auf jeden Fall diejenige Menge Milch abgekauft wird — und zwar zum fixen Preis —, die sie anliefern. Hier liegt auch die Wurzel des Krisengroschens, der zur Exportförderung benützt wird. Außerdem sind dem Bundeskanzler schon lange die vielen Molkereigenossenschaften — Domänen der ÖVP — ein Dorn im Auge. Er meint, daß man auf diesem Gebiet rationalisieren könnte, um so zu günstigeren Kosten zu gelangen. Dieses System der Marktordnung, das planwirtschaftliche Züge trägt, stammt aus der Nachkriegszeit. Eine Reform — und zwar eine Gesamtreform — auch in Angleichung an die Länder der Europäischen Gemeinschaft — steht aus.

Den Nagel auf den Kopf mit der Kritik am Landwirtschaftsminister hat aber erst in der Vorwoche wieder FPÖ-Obmann Peter getroffen: er sagte nämlich, es sei dem Minister vorzuwerfen, daß er konsequent die Agrarpolitik der ÖVP fortsetze. Und wer nachdenkt, gibt Peter recht: was wurde während der Amtszeit des derzeitigen Landwirtschaftsministers an großen Reformen wirklich durchgeführt?

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