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Hebel gegen die ÖVP?

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Der Bestand der Regierung Kreisky wird nicht zuletzt von der Gestaltung ihres Verhältnisses mit den Bauern abhängen. Der Bundeskanzler weiß das! Um so Überraschendel war der Mut, mit dem er einen so schwachen Mann wie den Kärntner Dipl.-Ing. Hans öllinger ursprünglich zur Leitung des „heißen Ressorts“ Landwirtschaft berief. Nach seinen eigenen Worten ging es Kreisky dabei um die Berufung eines Mannes, den die Bauern als einen der ihren anerkennen können. Seine Ausstrahlung sollte nicht sozialistisch, sondern bäuerlich im Sinne des Klischees von gestern sein. Das war ihm wichtiger als die erwiesene Fähigkeit, ein so schwieriges Ressort zu führen. Offensichtlich macht sich der Bundeskanzler keine Illusionen über das Mißtrauen der Bauernschaft gegenüber einer sozialistischen Regierung. Der Versuch ist schiefgegangen. Das Ressort führt mittlerweile Dipl.-Ing. Oskar Weihs, Direktor der Arbeiterkammer Steiermark, Budgetexperte und agrarischer Hauptsprecher des sozialistischen Parlamentsklubs.

Er besitzt politisches Gewicht. Auf seine Vorschläge wird die Regierung hören müssen, will sie nach dem Debakel öllinger das Gesicht nicht verlieren. Was er als Ressortminister beantragt oder streicht, entscheidet aber nicht nur über bäuerliche Interessen, sondern vielmehr noch über Erfolg oder Mißerfolg des Kreiskyschen Konzeptes, durch eine Herauslösung des Bauernbundes die gesamte ÖVP als Oppositionspartei zu lähmen.

Weihs hat zu den zentralen Fragen bisher offiziell nur wenig ausgesagt. Um so deutlicher wird er im kleinen Kreis:

Zur bisherigen Strukturpolitik meint er, sie habe eigentlich nicht existiert. Abgewandert sei aus der Bauernschaft nur der Prozentsatz, den der Bauernbund trotz aller Anstrengungen nicht halten konnte. Er werde nun das Tempo (jährlich 20.000 Vollarbeitskräfte) wesentlich beschleunigen. Es sei ein Widersinn, zehntausende Fremdarbeiter zu beschäftigen, während die Menschen in der Landwdrtschaft unproduktiv arbeiten und somit auch ohne Chancen sind, ein entsprechendes Einkommen zu erwirtschaften. Er konzediert zwar, daß die Abwanderung nicht ohne Rücksicht auf Ersatzarbeitsplätze vor sich gehen könne, weist aber darauf hin, daß sozial-und regionalpolitische Maßnahmen eine Milderung der Härten bringen könnten. Der Gegensatz zu Schlein-zers konsequenter, aber schonungsvoller Vorgangsweise besteht offensichtlich in der Akzentverschiebung von der sozialen Zumutbarkeit zur wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit. Man kann darauf gespannt sein, ob der Bundeshaushalt 1971 regionalpolitischen Bedürfnissen bereits jenen Platz einräumt, der die verstärkte Gründung von Ersatzarbeitsplätzen im ländlichen Raum, erwarten läßt, und ob die soziale Rück-zugslinie der Bauern nun so verstärkt wird, daß sie von schlecht strukturierten Höfen gehen können, ohne zu bedauernswerten Außenseitern der Wohlstandsgesellschaft herabzusinken.

Über das Ziel herrscht zwischen den Sozialisten und der ÖVP keine allzu große Differenz. Die Gegensätze entzünden sich vielmehr an der Position des bäuerlichen Menschen im Kräftefeld der Politik: Der Bauernbund befürchtet, man werde seine Mitglieder einem zynischen Ökonomismus opfern, während allen anderen Berufsgruppen, ungeachtet aller Kosten, der Anspruch auf zunehmende soziale Sicherheit erfüllt wird.

Da es kaum einen prominenten Sozialisten gibt, der in den letzten Jahren nicht mit Begehrlichkeit auf die sogenannten Agrarsubventionen blickte, ist das Vertrauen der Bauern zur neuen Administration naturgemäß nicht allzu ausgeprägt. Wenn daher Weihs versucht, seine mehr oder minder deutlich ausgesprochenen Vorstellungen zur Produktionsanpassung in die Tat umzusetzen, so bedeutet das letztlich schärfsten politischen Konflikt. Der Uberproduktion bei Milch will er durch verstärkte Fleischproduktion zu Leibe rücken. Ob aber der verstärkte Produktionsanreiz durch eine Senkung des Milchpreises oder eine Verbesserung der Fleischpreise erfolgen soll, ist bisher ungeklärt. Weihs deutet an, man könne sich sie Kontingentierung sparen, wenn man den Milchpreis senkt. Inoffiziell geht er noch weiter: Er meint, man könne sich sogar Subventionen sparen. Man brauche sich lediglich auf das Prinzip zu einigen, daß die Erlöse aus dem Inlandsmarkt und dem Export zusammen den Milchpreis bilden. Da die Exporterlöse für Molkereiprodukte etwa einem Milchpreis von 1.30 S entsprechen, bedeutet Produktionsausweitung automatisch Milchpreissenkung, da sich der Exportanteil erhöht.

Eine Automatik also, die zwar den Landwirtschaftsminister für künftige Zeiten aller Milchpreissorgen enthebt, die aber von den Bauern zu bezahlen ist. Allein den Stützungsausfall beziffert Weihs mit 500 Millionen Schilling.

Bei Getreide sollen ähnliche Prinzipien zum Tragen kommen: Brotgetreide soll nur Soch in dem Ausmaß übernommen Werden, als es zur Deckung des Inlandsbedarfes nötig ist.

Und schließlich hat die Regierung das Marktordnungsgesetz nur zur halbjährigen Verlängerung vorgeschlagen, was zwangsläufig mit sich bringt, daß der Bundeshaushalt 1971, dessen Entwurf bis 22. Oktober dem Nationalrat zugeleitet werden muß, auf seine Anforderungen keine Rücksicht nehmen kann. In der parlamentarischen Behandlung dann herauszuholen, was anderwärts bereits verteilt ist, dürfte per Saldo nicht zum Vorteil der Bauern enden, auch dann nicht, wenn sich ÖVP und SPÖ im Herbst auf eine Verlängerung oder Neufassung der gesamten Materie einigen können.

Egal, wie sich die Dinge nun entwickeln, müssen sich die Bauern klar darüber sein, daß mit dem Ende der ÖVP-Alleinregierung ihre besten Zeiten für diesmal vorbei sind. Denn auch eine ÖVP in großer Koalition würde sich so viele Freundlichkeiten und vor allem so viel Einsatz für die Landwirtschaft nicht mehr leisten können, wenn sie sich den Weg zur Mehrheit nicht endgültig versperren will.

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