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Der Bauernfänger

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Mit erstaunlicher Beharrlichkeit kommt Bundeskanzler Kreisky immer wieder auf seine Lieblingsidee zurück: Die Abspaltung der Bauernschaft und ihrer Vertretung von der ÖVP. Bereits 1966 ventilierte er den Gedanken, den Bauern die sozialistische Unterstützung bei den Agrargesetzen für ein Ausscheren von der ÖVP-Linie zu offerieren. 1970 versuchte der Chef der Minderheitsregierung, die Stimmen der Bauernvertreter im Parlament durch diverse Konzessionen zu gewinnen, um sich auf diese Manier doch noch eine Mehrheit ohne Neuwahlen zu verschaffen, und 1972 wurde dem Bau-ernbündler Stummer ein Bergbau-ern-Staatssekretariat angeboten.

Der Mißerfolg mit allen diesen Versuchen hinderte den Kanzler nicht, als Wahlkampf-„Bombe“ die ach so brandneue Idee zu präsentieren, er würde in ein „überparteilir ches“ Kabinett der „Persönlichkei-ten“-Repräsentanten nichtsozialistischer Gruppierungen — speziell der Bauern — aufnehmen. Wer eine „Persönlichkeit“ ist, würde dabei der Regierungschef bestimmen: Sind Sozialisten a priori „Persönlichkeiten“, und können die nichtsozialistischen Unpersonen dazu werden, wenn sie mit den Sozialisten kooperieren?

Das Kalkül des Regierungschefs ist klar: wenn es gelänge, einen der drei Bünde aus der ÖVP herauszubrechen, ihn de facto und später de iure zu einer eigenen Partei zu machen, die — in Konfrontation mit dem Rest der Volkspartei — mit den Sozialisten kooperiert, dann wäre die sozialistische Majorität für alle Zeiten zementiert, dann fiele die unangenehme Rücksichtnahme auf Randschichten und Wechselwähler fort, dann könnte unter der Ägide der scheinbaren Toleranz und Liberalität die sozialistische Systemveränderung viel expeditiver und direkter durchgeführt werden.

Der Bauernbund wäre im Kalkül des Kanzlers der „natürliche“ Kollaborateur: Der Wirtschaftsbund als Repräsentant des „Kapitalismus“ scheidet von vornherein aus — was die SPÖ nicht hindert, mit einzelnen Unternehmern, auch politisch, zu kooperieren —, der ÖAAB umwirbt die gleichen Wählerschichten wie die Kerntruppe der SPÖ, mit ihm wird daher nicht kooperiert, er soll vielmehr „inhaliert“ werden. Bleibt der Bauernbund. Der Landwirtschaft könnte die SPÖ auch tatsächlich am leichtesten — zumindest vorläufig — Konzessionen machen, die Landwirtschaft könnte sie — wenigstens auf einige Zeit — am ehesten aus dem Systemveränderungskonzept ausschließen.

Woher diese Idee bezogen wird, ist nicht schwer zu erraten: natürlich aus Schweden, einst Exil des Regierungschefs, dessen Sozialismusmodell ihn nach wie vor fasziniert. In Schweden haben die Sozialisten auch tatsächlich ihre vierzigjährige Herrschaft auf lange Strecken mit Hilfe einer Koalition mit der Agrarierpartei aufrechterhalten. Ohne deren Kooperation hätte es den Sozialisten — auch mit den Stimmen der Kommunisten — während zahlreicher Legislaturperioden an der absoluten Mehrheit gefehlt, ohne sie hätte nie das sozialistische Schweden geschaffen werden können.

Warum sollte dies in Österreich nicht auch gelingen — um so mehr, als die Bauern infolge des Verfassungsranges der zeitlich befristeten und immer wieder erneuerungsbedürftigen Marktordnungsgesetze des Konsens der Sozialisten viel mehr bedürfen als die anderen Bünde der ÖVP? Hier ist eine der Schwachstellen der ÖVP, und in sie sollen sofort Spaltpilze gepflanzt werden. Der FPÖ geht es — nebenbei bemerkt — in dieser Beziehung — trotz des deutlichen Rapprochements zu den Sozialisten in letzter Zeit — auch nicht besser: Bei ihr versucht Kreisky, die Jugendorganisation gegen das Par-tei-„Establishment“ auszuspielen.

Wenn nun die „herrschende Clique“ im Bauernbund zu stark an die ÖVP „gefesselt“ ist, wenn sie nicht bereit ist, wegen partikulärer Vorteile für die Agrarier die Gesamtpartei im Stich zu lassen, dann muß eben — so die Überlegung des Bundeskanzlers — die Aktionsgemeinschaft der Bauern mit der Volkspartei von unten her aufgebrochen werden.

Was den Bauernbund gegenüber den Sirenentönen aus der Löwel-straße so sehr immunisiert, ist nicht zuletzt genau das gleiche schwedische Modell, welches der Regierungschef so attraktiv findet: Für die schwedischen Agrarier hat sich das Geschäft mit den Sozialisten keineswegs als lukrativ erwiesen, sie stehen heute relativ schlechter da als die meisten ihrer westeuropäischen Kollegen, die speziellen Konzessionen haben die Nachteile der generellen Systemänderung für den freien Bauernstand bei weitem nicht kompensiert. Die Gefahr, bei der liebevollen Umarmung erdrückt zu werden, ist auch für die österreichischen Bauern nur allzu real.

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