6676555-1961_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Bauernbund: woher, wohin?

Werbung
Werbung
Werbung

Als es in den schicksalshaften Frfih- jahrstagen des Jahres 1945 darum ging, Osterreich wieder zu neuem Leben zu erwecken, war der Osterreichische Bauernbund eine der ersten tragenden Saulen, die in alter, verlafilicher Kraft fur den Neubau zur Verffigung stan- den. Sieben Jahre strengsten Verbotes hatten dem Bauernbund nichts anzu- haben vermocht. Er war so tief in Ge- sinnung und BewuBtsein der osterrei- chischen Bauern verankert und hatte in den Herzen seiner Anhiinger so stark weitergelebt, daB es nur des Rufes der aus Konzentrationslagern und Gefangnissen heimgekehrten Bauern- vertreter bedurfte, um die groBe osterreichische Bauernorganisation gleich- sam neu aus dem Boden zu zaubern.

Wertvolle Verstarkung kam aus den Reihen der iungen Generation und kam auch aus Kreisen des Landbundes, der vor 193 8 in einigen Bundeslandern eine nicht unerhebliche Bedeutung ge- habt hatte Einigkeit und Zusammen- arbeit fiir ein gtobesgemeinsames

Ziel — so hiefi die neue Parole, die sich bis heute bewahrt hat.

Eine konstante politische Kraft

In einer harten Notzeit der Landwirtschaft, im Existenzkampf der bsterreichischen Bauern mit einem schrankenlosen Wirtschaftsliberalismus waren die christlich-sozialen Bauern- bundorganisationen bald nach der Jahr- hundertwende zunachst in Tirol und Niederdsterreich, dann auch in den fibrigen Bundeslandern' entstanden und hatten sich 1919 — wieder in schwerer und gefahrvoller Zeit — zur Dach- organisation des ,,Osterreichischen Bauernbundes" zusammengeschlossen. Schon damals, und seither immer wieder, hat sich der Bauernbund nicht nur als berufsstandische Interessenvertre- tung, sondern sehr entscheidend auch als konstante politische Kraft mit einem erfreulichen Reservoir an Fixh- rungsnachwuchs fiir die Staatspolitik erwiesen.

Der geistig-ideelle, politische und wirtschaftliche Wiederaufbau Oster- reichs nach 1945 wurde, sehr wesent- lich vom Bauernbund mitgetragen. Mitgetragen von unten her, von der breiten Basis der 4615 Ortsgruppen, die in ihrer straffen Organisation bis ins letzte Dorf und zur hochstgelege- nen Bergbauernsiedlung dem Ruf zu neuem Beginnen freudig Rechnung tru- gen; entscheidend mitgetragen aber auch in der Person jener Manner, die bereit waren, fiir Volk und Staat hbchste Verantwortung zu fibernehmen — und zwar zu einem Zeitpunkt, da die Be- reitschaft dazu noch keineswegs all- gemein und selbstverstandlich war. Damals hat der Bauernbund mit sei- nen mehr als viermalhunderttausend Mitgliedern, seiner Organisation, sei- nen Erfahrungen und seinen fiihrenden Vertretern der neuen Osterreichischen Volkspartei jene feste Basis verschafft, die seither mit manchmal fast schon zuviel Selbstverstandlichkeit als ein- fach gegeben hingenommen wird.

reichen Nebenerwerbsbauern, die eben- falls das Kammerwahlrecht besitzen, in ihrer uberwiegenden Mehrheit den Bauernbund wahlen und durchschnitt- lich in ganz Osterreich 85 und mehr. Prozent dem Bauernbund ihr Vertrauen schenken. Selbst die Mitgliederzahl des Osterreichischen Bauernbundes, die gegenwartig bei 410.365 liegt, zeigt, trotz aller Ausschbpfungen scheinbar schon letzter Reserven, noch immer eine leicht steigende Tendenz.

Dieser geradezu einmaligen politi- schen Stabilitat steht ein gewaltiger wirtschaftlicher und struktureller Um- wandlungsprozeB in der osterreichischen Landwirtschaft gegeniiber, der auf gesellschaftspolitischer Ebene durch eine fiber das bisherige AusmaG weit hinausgehende Landflucht und durch einen spurbaren Wandel in der landlichen Bevolkerungsstruktur gekenn- zeichnet ist. Noch schweigen — trotz aller Aufforderungen, die auch fiber die „Furche“ schon ihren Weg in die Offentlichkeit genommen haben — unsere Soziologen beharrlich fiber das Thema „Entbauerlichung unserer Gesellschaft" und fiber die eventuellen Auswirkungen sowie wiinschenswerten Beeinflussungsmoglichkeiten dieser Entwicklung. Politik und Wirtschaft aber konnen und dfirfen dariiber nicht ein- fach zur Tagesordnung iibergehen. Dies gend agrarischer Struktur zum Teil in geradezu erschreckender Weise zurfick. Vor allem macht sich diese Tatsache in den osterreichischen Grenzgebieten bemerkbar und in den Landesteilen mit vorwiegend kleinbauerlichem Cha- rakter, wo es keine Moglichkeit zu einer industriell-gewerblichen Haupt- oder Nebenbeschaftigung gibt. Manche dieser Gemeinden haben nur mehr zwei Drittel jener Bevolkerungszahl aufzuweisen, die noch 1951, anlaBlich der letzten Volkszahlung, erhoben werden konnte. Und das trotz eines vielfach durchaus gesunden Geburten- standes und der Miteinbeziehung oft zahlreicher Pendler, die in Wahrheit nur mehr Wohn- und Schlafstelle oder gar nur noch Wochenendaufenthalt in der Gemeinde haben.

Es scheint ganz so, als ob in dieser Situation nun der Bauernbund — er kann am 24. Juni 1961 in Niederoster- reich, seiner starksten Landesorganisa- tion, auf einen 55jahrigen Bestand zuriickblicken — vor der schwierigsten Aufgabe in seiner bisherigen Geschichte stttnde. Er wird fiir deren Erffillung der vollen und vorbehaltlosen Unterstfit- zung der gesamten Osterreichischen Volkspartei und dariiber hinaus des Ver- standnisses der gesamten Bevolkerung bediirfen. Vor allem aber wird es an der eigenen Kraft, Einigkeit und Ziel-

„Flucht“ eine in gesunde Bahnen ge- lenkte Hinfiihrung, Erziehung und Vorbereitung abwandernder, bauerlicher Menschen zu anderen Berufen in die Wege zu leiten. Mit anderen Wor- ten: Aus einer planlosen und gefahrlichen Landflucht soli und mufi

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung