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Weniger Bund, mehr Bewegung

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Die drastischen Veränderungen der sozio-kultu-rellen Rahmenbedingungen und der Kommunikationsstrukturen in den letzten 30 Jahre haben neue Bedingungen für die Parteien geschaffen. Schlagworte wie „Abbau der Lagermentalität" beschreiben den Zerfall traditioneller Strukturen. Die Rede ist von einem sozio-öko-nomischen Wandel, einem Anstieg regionaler und beruflicher Mobilität, einer Industrialisierung und Suburbani-sierung ehemals ländlicher Regionen sowie von einer Modernisierung der Produktionsstruktur.

Dieser Wandel hat den Bauernbund in eine Legitimati-ons- und Repräsentationskrise gestürzt. Noch zu Beginn der fünfziger Jahre war jeder dritte Beschäftigte in der Landwirtschaft tätig. Heute beträgt der Anteil der Bauern an der Bevölkerung knapp sechs Prozent; Tendenz rückläufig.

Über die Bedeutung der Landwirtschaft als tragendes Element der nationalen Identität und ihren Wert für unsere Gesellschaft herrscht breiter Konsens. Das allein, reicht aber nicht aus. Der Bauernbund wird sich, über Lippenbekenntnisse und Absichtserklärungen hinaus, „öffnen" müssen. Er braucht ein weites Politikfeld und muß sich von einer Standesvertretung für sechs Prozent der Bevölkerung zu einem Anwalt des ländlichen Raumes mit einem Potential von 50 Prozent der Bevölkerung entwickeln. Er benötigt eine neue gesellschaftspolitische Ausrichtung.

Hoffnungsvolle Ansätze in den siebziger und frühen achtziger Jahren wurden nicht zielstrebig fortgeführt.

Sicher: die Notlage der Bauern verlangte nach klaren Aussagen. In schweren Zeiten ist wenig Platz für „Visionen". Heute wird dem Bauernbund die Rechnung dafür präsentiert. Bemerkungen wie, „die Bauern haben ohnehin nur mehr einen Bevölkerungsanteil von wenigen Prozent", sind symptomatisch.

Dabei wäre der Bauernbund die kompetenteste Ökologiebewegung überhaupt. Die Landwirtschaft erhält und sichert die ökologische Basis: Der Schutz der Ressourcen Boden, Wasser, Luft, die Erhaltung der genetischen Vielfalt und der Biosphäre, sowie die Erhaltung und ökologische Pflege der Landschaft sind „Zukunftswerte".

_, Der Bauernbund

müßte in diesen Bereichen Themenführerschaft zeigen. Dies sollte man nicht Grün-Politikern überlassen.

Die von den ÖVP-Bünden repräsentierte Struktur der österreichischen Gesellschaft ist ein Abbild der Nachkriegsgeschichte. Das Wahlverhalten wird durch die soziale Schichtung heute nur mehr indirekt beeinflußt. Entscheidend ist die Einbindung des einzelnen in die Lobenswert. Hier fände der Bauernbund eine neue Zielgruppe: Einen Wähler-„Mischtyp , der neben seinen unmittelbaren Interessen auf „Werte der Zukunft" setzt.

Die Befreiung aus der Klammer einer „Prozent-Diskussion" über den Bevölkerungsanteil der Landwirtschaft ist unabdingbar. Der Bauernbund müßte weniger als „Bund", sondern mehr als „Bewegung" in enger Partnerschaft mit Bürger- und Umweltinitiativen zu neuer Kompetenz gelangen. Als „Anwalt des ländlichen Raumes" wäre er politisch unverzichtbar.

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