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Funkstille vom Trockendock

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Nahezu drei Wochen liegen hinter der — vorläufig! — letzten großen Wahlniederlage der österreichischen Volkspartei. „In der Bundesparteileitung“, so hört man von dort, „ist die Stimmung gut; sogenannte .Schuldige an der Wahlniederlage werden nicht gesucht und im übrigen ist es Dr. Schleinzer gelungen, im Fernsehduell mit Dr. Kreisky zu retten, was noch zu retten war… die Konsolidierungsphase der ÖVP war eben viel zu kurz… Kreisky ist an allem schuld.“

Schließlich komplettierte noch Generalsekretär Dr. Kohlmaier das ÖVP-Bild der Lethargie mit dem Hinweis, nun sei es Zeit für die Volkspartei, ein ganzes Jahr lang im Trockendock zur Reparatur zu liegen. Ja, und dort wird man selbstredend auch die Parteistatuten ändern, wie alle Parteien, die mehr und mehr an Boden verlieren. Splitterparteien bringen es in dieser Disziplin sogar zu höchster Meisterschaft. Die VP, in besseren Zeiten eine Volkspartei, ist eben dabei, die Weichen für ein sehr langsames Abdanken von der Macht, von der ebenso gesellschaftsverändemden wie -bestimmenden Rolle in der österreichischen Innenpolitik zu stellen. Und diesen Prozeß betreibt die Volkspartei offenbar in einer sehr würdigen Form des geordneten Rückzugs — ruhig und gelassen. Die Volkspartei verliert schon seit einiger Zeit Wahlen in dem stolzen Gefühl, stets auf dem richtigen Weg gewesen zu sein; sie wird wohl weiter „zusammenrücken“ und dabei die Aufbruchsstimmung, die das liberale Bürgertum in diesem Land erfaßt hat, weiter hartnäckig ignorieren in der parteitödlichen Meinung, vulgärer Antisozialismus sei genug Wahlaussage in einem Land, in dem rund 95 Prozent der Bevölkerung Christen sind (aber nur rund 10 Prozent auch regelmäßig der Sonntagsmesse beiwohnen) und das an den Eisernen Vorhang grenzt.

Wer schläft, sündigt nicht, und wer sich in der Politik recht lange halten will, kann auch stillhalten, stört niemandes Kreise und bleibt so ungeschoren von lauter Kritik.

Die von Generalsekretär Dr. Kohlmaier angekündigte Organisationsreform der Volkspartei wird fürs erste bewirken, daß die Honoratioren, Funktionäre, Mitglieder und vielleicht auch ein paar engagierte Mitläufer der Partei beschäftigt sein werden. Damit ist auch bereits der zweite Effekt dieser Beschäftigungstherapie (die den potentiellen Wähler nichts angeht, weil sie ihm ja auch nichts bringt) gegeben: der Lärm arbeitsamer (und braver) Funktionäre wird gelegentliche Forderungen (die im Laufe der Zeit gewiß leiser werden) nach klaren Aussagen zur ideologischen Standortbestimmung, zu akuten Problemen der Gesellschaftspolitik überdecken.

Im übrigen wird man mit erhobenem Zeigefinger feststellen: Die böse sozialistische Regierung peilt das „Schwedische Modell“ an und wenn sie es so weiter treibt, dann ist Österreich bald ein zweites Schweden, was auf viele Österreicher nicht sehr abschreckend wirken dürfte, bedenkt man, daß mit Schweden ja automatisch zuallererst hoher Lebensstandard assoziiert wird.

Dabei scheint der Weg zu den alten Erfolgen vorgezeichnet. Bundeskanzler Kreisky tat dies seinerzeit nach seiner Wahl zum SPÖ-Vorsitzenden: Er suchte und fand das Gespräch mit jenen Gruppen, die der Sozialistischen Partei damals insbesondere aus emotionalen Gründen fernstanden — den Katholiken, den Liberalen, den Intellektuellen, den Studenten, den Bauern und zuletzt dem interessierten sogenannten Bürgertum. Er öffnete seine Partei (oft gegen den Willen wichtiger Gruppen in eben dieser Partei) und die ersten Wähler kamen zögernd, aber zuletzt hatte er genug für eine Stimmenmehrheit von mehr als 50 Prozent beisammen.

Wer ist der Mann in der Volkspartei, der diese Methode kopiert? Dieser Mann brauchte Substanz, Interesse, Verständnis und insbesondere Fähigkeit, einen neuen Wählertyp als ein soziales Wesen zu begreifen. Dr. Schleinzer? Dabei sind die Fähigkeiten Dr. Schleinzers unbestritten. Er hat, was man einen starken Charakter nennt: ist ausgezeichnet durch Willen, Ehrgeiz, Autoritätsbewußtsein, die Fähigkeit, Strategien und Taktiken zu entwickeln. Er analysiert Situationen besser als viele andere. Und dennoch fragen sich heute viele in der Volkspartei, ob Schleinzer der Mann ist, der zu neuen Wählergruppen vorstoßen kann — zu den Angestellten etwa, den Aufstiegsarbeitern, einer skeptischen Jugend.

Mittlerweile herrscht im Trockendock Funkstille. Eine Partei schläft sich in die Reparatur, die möglicherweise an falschen Stellen vorgenommen wird und zudem Alibicharakter hat.

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