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Verschlampte Konflikte

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Mit Strukturreform wird es nicht getan sein. Die ÖVP krankt an den Narben der verschleppten und ver-schlampten Konflikte. Und an einem Mangel an Solidarität. Der Autor weiß, wovon er schreibt: als Insider.

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Mit Strukturreform wird es nicht getan sein. Die ÖVP krankt an den Narben der verschleppten und ver-schlampten Konflikte. Und an einem Mangel an Solidarität. Der Autor weiß, wovon er schreibt: als Insider.

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Ich bin der Meinung, d^ß die bündische Struktur der Partei nicht das Grundübel der ÖVP ist und es daher mit einer Strukturreform allein nicht getan ist. Ich halte es sogar für gefährlich, die Struktur zu beschuldigen und alles Heil von ihrer Reform zu erwarten. Damit werden Hoffnung und Erwartungen geweckt, die nicht zu erfüllen sind, weil nach meiner Meinung und Erfahrung

• eine durchgreifende Reform der Strukturen nicht zu schaffen sein wird und

• auch nicht den erwarteten Erfolg bringen würde.

Zunächst ist festzustellen, daß die bündische Struktur der ÖVP nicht überall gleich stark ausgeprägt ist. Als Landesobmann des ÖAAB Vorarlberg habe ich nie den Eindruck gehabt, mit dem Landes-ÖAAB eine starke Hausmacht hinter mir zu haben, an der es kein Vorbeikommen gibt. Oft und oft habe ich (und haben meine Vorgänger) erlebt und erfahren, wie regionale Interessen vor die bündischen gestellt worden sind. Und ich habe auch erlebt, wie gerade Funktionäre, die dem Zurück-drängen bündischer Einflüsse vehement das Wort geredet haben, nichts daran gefunden haben, wenn "ihr" Bund extrem bündisch argumentierte und agierte.

Es wird insbesondere in letz-ter Zeit immer wieder behaup-tet, die ÖVP habe den gesell-schaftlichen Wandel nicht mit-gemacht und ihre Strukturen entsprechen daher nicht mehr neuzeitlichen Anforderungen. Hat aber die bündische Struktur der ÖVP je die ganze Breite der gesellschaftlichen Schichtung abzudecken vermocht?

Und es wäre wohl eine Illu-sion, anzunehmen, daß mit der Zurückdrängung (oder Ab-schaffung) der Bünde die In-teressenkonflikte ausgeschaltet wären. Auch wenn die Bünde "entmachtet" werden, bleibt die Aufgabe, die verschiedenen Interessen aufein ander abzustimmen und auszuglei-chen.

Deshalb stellt sich nach wie vor das Problem, wie die Austragung der interessenbedingten Gegensätze geschieht. Die Art der Konfliktaus-tragung ist seit langem die Schwäche der ÖVP und deshalb ist die Forderung nach Beschleunigung und Kultivierung des Interessen-ausgleiches vordringlich.

Wie oft habe ich von Ausein-andersetzungen führender Partei-Funktionäre gelesen und erwartet, daß diese in der nächsten Sitzung des Parteivorstandes zu heftigen Auseinandersetzungen führen oder doch zur Sprache kommen werden. Dort war davon kein Wort zu hören. Dafür ging es nachher in den Medien munter weiter.

Martin Walser hat einmal gesagt: "Versäumte Auseinadersetzung provoziert Konfrontation." Und genau das hat sich in der ÖVP immer wieder ereignet. Mehr als bündische Interessenkonflikte haben diese Auseinandersetzungen, die selten bündisch bedingt waren, der Partei geschadet.

Die OVP krankt an den Narben der verschleppten und verschlampten Konflikte. Sie sind zweifellos eine der Ursachen des schlechten Erscheinungsbildes der Partei in der Öffentlichkeit, zumal sie auch die persönlichen Beziehungen verschiedener Mitglieder der Füh-rungsgremien belastet und die Kommunikation weiter erschwert haben.

Durch die Austragung der Konflikte in den Medien entstand in der Öffentlichkeit das Bild einer zerstrittenen und uneinigen Partei.

Eine weitere Schwäche der ÖyP war und ist der Mangel an Solidarität. Das Diskussionsklima wurde auch dadurch nachteilig beeinflußt, weil man damit rechnen mußte, daß alles, was in den Füh-rungsgremien diskutiert wurde, je vertraulicher es war, umso schneller an und in die Medien geriet. Daß es deshalb mancher vorzog, nicht das zu sagen, was er sagen wollte (oder eingentlich zu sagen gehabt hätte), ist verständlich. Darunter hat die Diskussion zweifelsohne gelitten.

Die ÖVP scheint zudem eine besondere Vorliebe, für Personaldiskussionen zu haben - und eine besondere Art, sie zu führen. Auch sie werden meist nicht in den Gremien, sondern - und nicht gerade zimperlich - über die Medien geführt.

Zudem werden an die eigenen politischen Führungspersönlichkeiten Ansprüche gestellt, denen sie nie genügen können. Mit den Repräsentanten der anderen Parteien sind wir wesentlich großzügiger. Viele scheinen davon auszugehen, daß es irgendwo den politischen Ideal typ ohne Fehl und Tadel gebe und meinen, nur der wäre für die ÖVP gut genug.

Es ist der Partei auch nie ge-lungen, den Obmann durch kritische Phasen durchzutragen. Ganz im Gegenteil: Wenn es Kritik gegeben hat, hat sich in der ÖVP bald alles mit den Kritikern solidarisiert. Ganz im Gegensatz etwa zur SPÖ, wo man sich zunächst und oft er-folgreich mit dem Kritisierten solidarisiert und ihn dadurch gestärkt hat.

Der Primat der Partei, den ich gerade in einer bündisch strukturierten Partei für notwendig erachte und der eine Sache der Disziplin und eine Forderung der Solidarität ist, hängt eng mit der Position des Obmannes zusammen. Er ist dafür in erster Linie verantwortlich, er sollte diesen Primat verkörpern.

Das kann er aber vor allem deshalb nicht, weil es in der ÖVP üblich geworden ist, den Obmann, kaum daß er gewählt und auf dem Parteitag frenetisch bejubelt worden ist, wieder in Frage zu stellen und ihn in der Öffentlichkeit zu zerzausen. Ein solcher Obmann hat weder die Autorität, den Primat zu verkörpern, noch die Macht, ihn durchzusetzen.

Der Autor, viele Jahre Arbeiterkammerpräsident und stellvertretender ÖVP-Bundespartei-obmann, ist heute Präsident des Vorarlberger Landtages. Auszug aus einer Stellungnahme für das Institut für Sozialpolitik und Sozialreform (Kummer-Institut) zur ÖVP-Reform.

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