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Todesstoß gegen „Solidarität”

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Durch die Verabschiedung des neuen Gewerkschaftsgesetzes durch den Sejm, das polnische Parlament, hat die formaljuristische Todesstunde der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität” geschlagen. Es gibt nur noch eine vom Regime gelenkte Gewerkschaft, die irreführend aber das Etikett „unabhängig und selbstverwaltet” bekommt.

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Durch die Verabschiedung des neuen Gewerkschaftsgesetzes durch den Sejm, das polnische Parlament, hat die formaljuristische Todesstunde der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität” geschlagen. Es gibt nur noch eine vom Regime gelenkte Gewerkschaft, die irreführend aber das Etikett „unabhängig und selbstverwaltet” bekommt.

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Das Militärregime hat lange gezögert, ehe es nun zum entscheidenden Schlag gegen die „Solidarität” ausholte, die ja formell wie alle anderen Gewerkschaften auch — die mehr oder minder regimetreuen Branchengewerkschaften und die „Land-Solidarität” — durch das Kriegsrecht nur suspendiert waren. Innerhalb der Partei und des regierenden Militärrates WRON hat es eine lange Diskussion über dieses heiße Eisen gegeben.

Die Möglichkeiten, die ins Auge gefaßt wurden, sind in einem geheimen Dokument der Sozialabteilung beim ZK der „Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei” unter dem Titel „Ausgewählte Probleme der Zukunft der Gewerkschaftsbewegung in Polen” zusammengefaßt worden, wobei auch die politische Hauptverwaltung der Armee mitgearbeitet hat.

In dem Dokument waren vier Varianten vorgesehen: • Die Wiederbelebung der „Solidarität” mit einem neuen Vorstand, völlig neuen Statuten und neuem Programm sowie eine Widerrufung aller „politischen” Beschlüsse des Kongresses von Dan-zig.

Versuche in dieser Richtung hat es von seiten des Regimes gegeben. Doch die Verhandlungen mit den sogenannten „Legalisten” der „Solidarität” — also jener Gewerkschaftsmitglieder, die einen legalen Status der Arbeit im Untergrund vorzogen — sind sowohl in Danzig als auch in Stettin gescheitert.

• Eine andere Variante sah die Zulassung von zwei voneinander unabhängigen Gewerkschaften „Solidarität” vor, wobei eine dem Regime ergeben, branchenmäßig gegliedert und den Namen „Soli-darnosc Robotnicza” hätte tragen sollen. Diese Variante wurde bald fallengelassen, weil sie von der fälschlichen Annahme ausging, es gäbe eine „linksgerichtete” Arbeiterschaft.

. • Die dritte Variante sah die ersatzlose Illegalisierung der „Solidarität” vor.

# Die letzte Variante des Ge-heimpapieres schließlich, die nun zum Zug kommt, schlug die Auflösung von allen alten Gewerkschaften und die Schaffung einer neuen Einheitsgewerkschaft vor. Sie soll in Ubereinstimmung mit internationalen Abmachungen und Verträgen (ILO) konstituiert, von der „Basis” her gegründet werden und in den ersten Jahren nur auf Betriebsebene agieren, während die Partei eine Art Mutterrolle übernimmt.

Jede politische Stoßrichtung ist durch das neue Gewerkschaftsgesetz der neuen Arbeitnehmerorganisation verwehrt, sie ist auf rein „gewerkschaftliche” Fragen reduziert.

Gewerkschaftliche Organisation wird nur Arbeitern erlaubt sein, so daß es in Zukunft keine Gewerkschaft der Bauern und Handwerker geben wird. Geplant ist vom Militärregime, für diese Bevölkerungsgruppen, einschließlich der Angestellten, Ständevertretungen zu schaffen.

Die neue Gewerkschaft wird materielle Köder auslegen können, sowie seinerzeit die im „Zentralrat” zusammengefaßten Branchengewerkschaften vor dem August 1980. Das heißt, die Mitgliedschaft bei der neuen Gewerkschaft wird eine Besserstellung in der Urlaubsregelung, die Einweisung in Gewerkschaftserholungsheime, gesundheitliche Fürsorge, wahrscheinlich sogar Bezugsbons für Textilien, gehobene Konsumgüter usw. bringen.

Details liegen aber noch nicht vor und sind auch nicht aus dem Gewerkschaftsgesetz zu ersehen. Das wird die Praxis zeigen.

Die Reaktion der Führung der Untergrund-„Solidarität” auf die formelle Auflösung und die Schaffung neuer Gewerkschaften ließ nicht auf sich warten: Einmal mehr scheint die Danziger Leninwerft Zentrum des Widerstandes ' zu sein.

Laut „Tygodnik Masowsze” verstößt das neue Gewerkschaftsgesetz gegen die Konventionen Nr. 87 und 96 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Die Untergrundsektion „Rzeszow” der „Solidarität” stellt fest: „Eine solche willenlose und ferngesteuerte Gewerkschaft ist nötig, damit sich die Partei weiter als einzige echte Repräsentantin der Arbeiter bezeichnen kann.”

Für den Fall der massiven Ablehnung und der vermutlich neuen Strategie der Untergrund-„So-lidarität”, nämlich die neuen Gewerkschaften zu unterwandern, hat das Militärregime bereits Vorsorgen getroffen. In dem vorhin erwähnten Geheimpapier heißt es wörtlich:

„Solidarnosc soll nach Verabschiedung des Gewerkschaftsgesetzes durch Spaltung und Schwächung ihrer Authenzität, Polarisierung ihrer Mitglieder, Isolierung der Aktivisten von der Basis und durch Aufdeckung von Verbindungen zu KPN (eine nationalistische Widerstandsgruppe, die Red.) und KOR (eine Dissidentengruppe) entscheidend geschwächt werden.”

Das Regime sieht also — ebenso wie Erzbischof Glemp — weiteren Widerstand, Unruhen und „innere Emigration” voraus. Eines ist jedenfalls sicher — Polens Probleme werden so nicht gelöst, höchstens aufgestaut. Wenn Jaruzelski glaubt, mit dem Gewerkschaftsgesetz den „gordischen Knoten” zu durchschlagen, dann ist das — um eine polnische Redewendung zu gebrauchen — die „Träumerei eines abgeschlagenen Kopfes”.

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