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Deutsche Gewerkschaften im Zweifrontenkampf

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Vergangene Woche wurde in erster Lesung eihe Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (Afg) im deutschen Bundestag auf Antrag der Bundesregierung verhandelt. Schon Wochen, ja Monate vorher führte diese geplante Änderung zu einer heftigen Debatte zwischen Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern.

Worum geht es bei dieser Auseinandersetzung? Der Ursprung liegt in den Streikmonaten des Frühjahres 1984. Damals versuch-

ten die IG-Metall und die IG-Druck und Papier, durch eine Streikbewegung die 35-Stunden-Woche zu erzwingen. Nach langen Wochen des Streiks und der Verhandlungen kam durch eine Meisterleistung des angesehenen SPD-Politikers Georg Leber in einer Vermittlung die 38,5-Stunden-Woche für die genannten Branchen heraus. Diese Streiks des Jahres 1984 waren seit langem wieder eine größere Streikbewegung in der Bundesrepublik, wobei sich eine neue Erkenntnis zeigte: den Gewerkschaften gelang es mit wenigen Schwerpunktstreiks, bei wichtigen Zuliefererbetrieben die Produktion einzustellen und die Arbeiter eine Zeit nach Hause zu schicken.

Wer hat nun diese indirekt vom Streik betroffenen Arbeiter zu bezahlen, die Streikkasse der Gewerkschaften oder die Bundesanstalt für Arbeit, die die Arbeitslosenunterstützung bezahlt? Nach der gegenwärtigen Rechtslage — und so wurde auch 1984 verfahren — hat die Bundesanstalt für Arbeit das Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld zu bezahlen. Nach Meinung der Bundesregierung verstößt dies aber gegen die Neutralitätspflicht der Bundesanstalt im Arbeitskampf, wie sie auch gesetzlich festgelegt wird.

Die Bundesregierung hat nun ihrem Änderungsantrag zum Arbeitsförderungsgesetz die Neutralitätspflicht stärker umschrieben, damit es nicht zu solchen Situationen kommen kann, wonach nicht die Gewerkschaften aus der Streikkasse, sondern der Steuerzahler mit der Arbeitslosenversicherung einen Streik finanzieren.

Die Gewerkschaften hingegen sehen sich wiederum eines taktischen Vorteils, der ihnen durch ei-

ne immer komplizierter gewordene arbeitsteilige Industriegesell-schaftfin den Schoß gefallen ist, beraubt. Die industrielle Differenzierung wie auch die betriebswirtschaftliche Maxime einer möglichst geringen Lagerhaltung machen es möglich, durch einen Streik mit 1000 Arbeitern 100.000 Beschäftigte auf die Straße zu setzen.

Der Gewerkschaftsbund ist sich natürlich der Folgen dieser Änderung bewußt und hat daher — nachdem vorher Einigungsversuche gescheitert sind — zu verschiedenen Aktionen, vor allem gegen den Arbeitsminister Norbert Blüm, gegriffen, die zum Teil unter die Gürtellinie gingen.

So wurde ein Zitat Blüms laut kolportiert, wonach man „Gewerkschaften mit einem Handstreich oder mit tausend Schikanen beseitigen“ könne. Dieses Zitat Blüms stammte aber aus dem Oktober 1980 und bezog sich auf die Situation der polnischen Gewerkschaft „Solidarität“, es wurde völ-

lig aus dem Zusammenhang gerissen und als Beweis für seine Einstellung zu den Gewerkschaften mißbraucht.

Hier ist es am Platze, einmal die Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und Österreich bei den Gewerkschaften und den Interessenverbänden überhaupt zu skizzieren. Wie in Österreich so gibt es auch in der Bundesrepublik eine Einheitsgewerkschaft, die jedoch keine Fraktionen (etwa Fraktion der sozialistischen oder christlichen Gewerkschafter) kennt. Zwar kommen der Vorsitzende des DGB aus der SPD und einer seiner Stellvertreter aus der CDU (dieses Prinzip wird bei den Einzelgewerkschaften und regionalen Organisationen durchgezogen), doch betont man auffällig Distanz zur Parteipolitik.

Es wäre undenkbar, daß höhere Gewerkschaftsfunktionäre Regierungsfunktionen ausüben oder im Parlamentspräsidium sitzen, wie es in Österreich der Fall ist. Selbst Bundestags- oder Land-

tagsmandate sind eine ausgesprochene Ausnahme. Dieses Prinzip wird auch von den anderen Interessenverbänden (Arbeitgeber, Bauern) eingehalten, so daß der politische Prozeß in der Bundesrepublik nicht so „verparteipoli-tisiert“ ist, wie in Österreich.

Die Gewerkschaften haben jedoch gleichzeitig Probleme an einer zweiten Front. Das gewerkschaftseigene Bauunternehmen „Neue Heimat“ weist Verluste in Milliardenhöhe aus und bedarf einer dringenden Sanierung. Hierbei befindet sich der DGB in einer echten Zwickmühle. Als Eigentümer der „Neuen Heimat“ besitzt er genügend Finanzmittel, um die Sanierung durchzuführen, jedoch würde dann die Streikkasse weitgehend entleert sein, so daß der DGB eines wichtigen Kampfmittels beraubt wäre.

Die Bundesregierung lehnt eine Unterstützung durch die öffentliche Hand aufgrund der Kapitalstärke des Eigentümers ab, wobei auch die in der Bundesrepublik eher zurückhaltende Subventionspolitik eine Rolle spielt.

Sie weiß aber auch, daß sich durch die Misere der „Neuen Heimat“ die Gewerkschaften in einem Zweifrontenkampf befinden, und nützt diese Situation auch politisch aus. Die Gewerkschaften, die durch den Streik des Jahres 1984 nicht gerade populär wurden und an Mitgliederschwund leiden, haben in dieser Auseinandersetzung den schwereren Stand.

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