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Vorstandsjobs mit sozialer Etikette?

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Die Abhängigkeit der einst hochfliegenden gesellschaftspolitischen Reformpläne der linksliberalen Bonner Koalition von der Konjunkturflaute, die trotz allen Gesundbetens vor den Landtagswahlen nichts an Zählebigkeit eingebüßt hat, droht angesichts, konträr klingender ökonomischer Gesundungsrezepte von SPD-Kanzler und FDP-Wirtscnaftsminister allmählich den Geruch der Peinlichkeit anzunehmen. Den Bundesbürger muß es nun vollends verunsichern, wenn der Regierungschef die Verbraucher in ihrer von Existenzfurcht geprägten Sparwut zu bremsen versucht und dazu animiert, zur Ankurbelung der Konjunktur mehr Geld lockerzumachen, während anderseits Wirtschaftsminister Hans Friderichs verkündet, der Konsumzuwachs müsse künftig auf kleiner Flamme gehalten werden, damit mehr Investitionsmittel für Arbeitsplätze frei würden.

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Die Abhängigkeit der einst hochfliegenden gesellschaftspolitischen Reformpläne der linksliberalen Bonner Koalition von der Konjunkturflaute, die trotz allen Gesundbetens vor den Landtagswahlen nichts an Zählebigkeit eingebüßt hat, droht angesichts, konträr klingender ökonomischer Gesundungsrezepte von SPD-Kanzler und FDP-Wirtscnaftsminister allmählich den Geruch der Peinlichkeit anzunehmen. Den Bundesbürger muß es nun vollends verunsichern, wenn der Regierungschef die Verbraucher in ihrer von Existenzfurcht geprägten Sparwut zu bremsen versucht und dazu animiert, zur Ankurbelung der Konjunktur mehr Geld lockerzumachen, während anderseits Wirtschaftsminister Hans Friderichs verkündet, der Konsumzuwachs müsse künftig auf kleiner Flamme gehalten werden, damit mehr Investitionsmittel für Arbeitsplätze frei würden.

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Gewiß, Helmut Schmidt sieht die Notwendigkeit des herben Augenblicks, Friderichs die Ziele für längerfristiges Wachstum — kein echter Dissens also. Doch für weite Teile der Bundeskoalitlons-Wähler von 1972 zu abstrakt.

Bereits nach dem Sturz Brandts hatte Schmidt angekündigt, künftig sollten sozialliberale Reformvorstel-lungen wieder mehr am finanziell Möglichen gemessen werden. So wurde das neben der Mitbestimmung vielbejubelte Fortschrittspaket der Arbdtoehmerbeteiligung am Pro-duktiwermögen sang- und klanglos auf die nächste Gesetzgebungsperio-de vertagt. Man wollte nur mehr „machbare“ Reformen. Die Mitbestimmung rechnet man noch dazu, um nicht im nächsten Jahr mit ganz leeren Händen vor dem ohnedies frustrierten Wähler zu stehen.

Für Mitbestimmung haben sich alle gesellschaftlich relevanten Gruppen in der Bundesrepublik ausgesprochen. Umstritten allerdings ist nach wie vor das „Wie“. Über den vorliegenden SFD/FDP-Regierungs-entwurf besteht selbst in der sozial-liberalen Koalition tiefe Uneinigkeit. Hauptstredtpuhkt ist die Frage, ob Arbeiter, Angestelte und leitende Angestellte ihre Aufsichtsratsvertre-tungen en bloc oder ein Einzelgrup-pen wählen sollen. Dabei geht es um die Grundsatzentscheidunig, ob leitende Angestellte mit Arbeitsgeber-funktionen dem Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerflügel zugerechnet werden sollen. Die Freidemokraten verlangen, daß ein Sitz der Arbeitnehmervertretung im Auisicbtsrat in jedem Fall einem leitenden Angestellten vorbehalten bleibe.

Mit all dem aber liefern die Mit-bestimmungsrebellen in der FDP ihrer eigenen Parteiführung innere Querelen. Dem liberalen Bundesvorsitzenden und Außenminister Hans-Dietrich Genscher wurde sein Ringen um Einigung mit der SPD nun auch noch zum Zwist mit dem eigenen Parteigeneralsekretär Martin Bangemann. Dabei hatten doch alle so sehr gehofft, den ganzen Miitbe-stimmungskomplex schnell und reibungslos über die Bühne zu bringen.

Ob und wann diese Vorlage in die weitere parlamentarische Beratung geht — und wenn ja, mit welchen Modifizierungen — dazu schweigen derzeit die Bonner Auguren. Denn über allen Wipfeln des Streites schwebt neuerdings die bange Frage, ob das mühsam zusammengekleisterte Mitbestimmungsmodell überhaupt noch mit dem Staatsgrundgesetz überemstimmt.

Doch die Koalition ist nicht zuletzt dem Deutschen Geweifeschaftsbund verpflichtet, dem sie die paritätische Mitbestimmung versprach. Die 16 Einzelgewerkschiaften des DGB1 organisieren rund 7,5 Millionen Mitglieder, umgerechnet ein Drittel aller Arbeitnehmer in der Bundesrepublik. Wer wollte es sich mit ihnen verderben? In der tiefsten Wirt-schaftsflaute seit der Währungsreform hat der DGB Ende Mai seinen Bundesgewerkschaftskongreß in Hamburg abgehalten. Und das „Par-lamenrtl der Arbeit“, wie es sich nannte, wurde zu einem Forum der lauten Forderung an den Gesetzgeber, die Mitbestimmung endlich zu verwirklichen.

Auf die DGB-Mitglieder mit ihrer zumindest in die eigenen FamiiMen reichenden politischen Multiplikatorenifunktion kann keine Partei in der Bundesrepublik verzichten. Deshalb kündigte die CDU eilends an, sie wolle ihre Kontakte zu den Gewerkschaften verbessern. Die Christlichen Demokraten seien „auf die Partnerschaft mit den Gewerkschaften angewiesen“, rief der CDU-Bundesvorsitzende Helmut Kohl am 25. Mai bei der Eröffnung des DGB-Kongresses den Delegierten zu. „Die Erfahrungen der letzten Jahre beweisen, daß keine Regierung ein Patentrezept besitzt und keine Partei ein Monopol auf Arbeitaehmer.“

Doch gerade über die Wege zur Mitbestimmung gibt es auch bei den Unionsparteien heftigen Streit. Der CDÜ-Arbeitnehmerflügel liegt seit

Jahren im Clinch mit dem unternehmerorientierten CDU-Wirtschaftsrat. Ein Gleichklang der Union mit den heutigen Mitbestimmungsforderungen des DGB würde allerdings für alle Meinungsgruppen innerhalb der Union die Quadratur des Kreises bedeuten: ein langfristiges Aufgeben der sozialen Marktwirtschaft.

Die Gewerkschaften ihrerseits verlangen die Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit durch Kontrolle der Arbeitnehmer — vor allem durch ihre gewerkschaftlichen Vertreter — auf betrieblicher, unternehroenspolitäscher und gesamtwirtschaftlicher Ebene. Nach Meinung des DGB ergibt sich dabei jetzt schon die Notwendigkeit zur raschen Verabschiedung eines bundesdeutschen Mitbestimmungsgesetzes „auf der Grundlage einer eindeutigen Parität“, nachdem die EG-Kommission einen entsprechenden Entwurf für das Statut der „Europäischen Aktiengesellschaft“ vorgelegt hat, in dem die Parität festgeschrieben und eine Sonderstellung der leitenden Angestellten ausgeschlossen wird. Vor den 478 Delegierten des Hamburger Kongresses gelobte der allgewaltige DGB-Vor-siitzende Heinz-Oskar Vetter, die Gewerkschaften würden den Kampf um die solcherart volle Parität in der Mitbestimmung bis zu ihrer Durchsetzung fortführen.

Das Wundermittel gegen künftige Wirtschaiftokrisen sucht der DGB auf dem Kräuterbeet der Ideologie. Die Zauberformel, so zeigten es zahlreiche Anträge beim Hamburger Kongreß, lautet: Investitionslenkung. Sie ist nach Mitbestimmung und

Vermögensibildung zum neuen Reizwort in der deutschen Gesellschaftspolitik geworden. Also sprach Gewerkschaftschef Vetter zu den Kongreßdelegierten: Den DGB-Kollegen in Betriebsräten und Wirtschaftsausschüssen „'erwächst eine ernste Aufgabe, nämlich die Unternehmensleitungen auch in ihrer Investitionsbereitschaft so zu .kontrollieren“, daß das Zögern mit Investitionen „endlich auf gegeben wird.“ Von ökonomischen Risiken .sprach Vetter nicht

Die enge ideologische Verquickung des Deutschen Gewerkschaftsbundes mit der Sozialdemokratie ist trotz fallweise gegenteiliger Beteuerungen evident Die der CDU angehörenden DGB-Funktionäre erfüllen die Funktion eines reichlich welken Feigenblattes. 396 der insgesamt 478 Delegierten auf dem DGB-Kongreß waren Mitglieder der SPD. 7 Delegierte gehörten der CDU an, 74 waren parteipolitisch nicht gebunden.

Der Angriff der DGB-Vorsitzenden auf die Unternehmer schlug dann aber auch ins Volle: Zwar hätten die Gewerkschaften in diesem Jahr „konjunkturgerechten“ Lohn-abschlüssen zugestimmt, die Unternehmer hingegen hätten das von der Bundesregierung angebotene Konjunkturprogramm zu wenig genutzt und „Hunderte von Millionen“ Mark nicht abgerufen, die für die zusätzliche Schaffung von Arbeitsplätzen und für Investitionshilfen bestimmt gewesen seien.

Solcherart errichtete „Pappkameraden“ hätten die Gewerkschaften keineswegs zum Aufpolieren ihrer Leistungsbilanz nötig Die Errungenschaften in der Gewerkschaftsgeschichte würden sich Ohne Wafifen-göklirr mindestens ebenso günstig ausnehmen: In der Bundesrepublik bestehen heute Tarifverträge für rund 18,5 Millionen Arbeitnehmer; niemand bezweifelt, daß die Gewerkschaften wesentlich dazu beigetragen haben. Ohne Tarifvertrag arbeiten noch 3,5 MiUionen Menschen, eine Zahl, die im Sinken begriffen ist. Die 46-Stunden-Woche ist für knapp 92 Prozent der Beschäftigten Wirklichkeit geworden. Mindestens 4 Wochen Urlaub im Jahr machen 85 Prozent der Arbeitnehmer. 79 Prozent erhalten Urlaubsgeld. Zusätzliche Sicherung für ältere Arbeitnehmer gelten für 43 Prozent aller arbeitenden Menschen.

Im Kampf um die Parität in der Mitbestimmung steht der DGB selbstbewußt an zwei Fronten. Gegen die freien Unternehmer und gegen die Freien Demokraten. Auf den ersten Blick verwirrend mutet dabei die scheinbare Einmütigkeit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern in der Ablehnung der Regierungsvorlage an. Die jeweiligen Motive sind freilich von Grund auf gegensätzlich. Die DGB-Führer finden im Regierungsmodell zu wenig paritätische Gewerkschaftsfreiheit, die Arbeitgeber sehen darin den Untergang des marktwirtschaftlichen Abendlandes. Vor „Mitbestimmung ohne Mitverantwortung“ warnt Hanns Martin Schleyer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Aibeitgeberverbände, jener Organisation, die den bundesdeutschen Widerpart zum DGB bildet.

Vetter bescheinigt heute der FDP, sie tobe sich zum Schiedsrichter der Nationen aufgespielt In Wahlkämpfen und bei Koalitionszusagen haben freilich DGB-Spitzenfunktionäre die heutige Schlüsselstellung der Liberalen gefördert. In der Mitbestim-roungsfrage, einem Element gewerkschaftlicher Machtpositionen, soll den Freien Demokraten allerdings diese Rolle nicht zukommen. Ein seltsamer Widerspruch.

Daß der bisherige Regierungsgesetzentwurf das Wunder zustande bringen könnte, keine in alle Zukunft wirkenden Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung zu gebären und auch nicht die Funktions-fähigkeit der Betriebe zu lähmen, daran glauben in der Tat allenfalls noch die Autoren der Vorlage selbst. Insoweit kann dem Unmut des DGB nicht jede Objektivität abgesprochen werden. Doch seine Alternativen orientieren sich ebenfalls nicht an spürbarem sozialem Fortschritt für den einzelnen. Arbeiter und Angestellte wollen durch die Mitbestimmung eine eigene, arbeitsplatzbezogene Mitsprache erreichen, unverfälscht von Partei-, aber auch von Gewerkschaftsinteressen, auch wenn dies der Machtkonzern DGB' nicht wahrhaben will. Denn der Mensch als angeblicher Mittelpunkt der Ge-werksehaftspolitik erntet nicht die Früchte einer Mitbestimmung, die sich darin manifestiert, daß in den Aufsichtsräten lediglich Wirtschaftsmanager gegen Gewerkschaftsfunktionäre ausgetauscht werden. Wenn indes unter einer sozialen Etikette bloß Vorstandsjobs — politisch gezielt — verteilt werden sollen, werden kaum jene verstummen, die fragen, ob die paritätische Mitbestimmung für den Grfwerkschaftsbund des freien Teiles Deutschlands wirklich Endziel ist, oder nur Durchgangsphase zu einer anderen Wirtschaftsordnung.

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