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Die christlichen Forderungen in Deutschland

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In Deutschland kam es nun, wie bekannt, anläßlich des Wahlkampfes zü einer ernsten Auseinandersetzung der Führer des Einheitsgewerkschaftsbundes mit den christlichen Arbeitnehmern. Der Einheitsgewerkschaftsbund (DGB) hatte einen einseitigen Wahlaufruf für die SPD veröffentlicht. Schon vorher war es offensichtlich, daß die Belange der sehr starken christlichen Minderheit in keiner Weise von den Gewerkschaftsmanagern beachtet wurden. So unternahmen beispielsweise Gewerkschaftsführer, wie vor und nach ihnen Mitglieder der so ungemein konservativen englischen Parlamentsmehrheit, eine Besuchsfahrt nach Belgrad — wohl davon ausgehend, daß ein KZ, in dem NichtMarxisten nachbehandelt werden, eben kein KZ ist.

Wie die Dinge in Deutschland zur Zeit der Abfassung dieses Artikels, stehen, kann die Entscheidung der christlichen Arbeitermassen für oder gegen den DGB ausfallen. Jedenfalls diskutiert man ganz ernst die Errichtung christlicher Gewerkschaften aus verschiedenen Gründen: 1. hat die CDU ein gutes Drittel der deutschen Arbeiterschaft hinter sich; 2. besteht in Deutschland eine sehr starke, dem DGB feindliche Stimmung; sie hängt mit dem erwerbswirtschaftlichen Einsatz von Gewerkschaftsgeldern und mit der Höhe der Gewerkschaftsbeiträge zusammen; so zahlt ein Arbeiter mit zwei Kindern bei einem Wocheneinkommen von 85 DM jährlich 166.40 DM an Gewerkschaftsbeiträgen, d. h. fast zwei Wochenlöhne, während er nur 134.18 DM an Lohnsteuer zu zahlen hat; 3. sind die Versuche einer Vermenschlichung der Betriebsatmosphäre in Deutschland schon weiter als bei uns gediehen. Da und dort sind die Gegensätze zwischen Kapital und Arbeit daher stark vermindert worden, so daß die Gewerkschaften „schwer ins Geschäft kommen“; 4. hat die Adenauer-Regierung mehr an Sozialreform geleistet, als die Opposition von ihr gefordert hat; verlangt wurden z. B. für

1952 250.000 Wohnungen, gebaut wurden 440.000; 5. ist die CDU kein bündisches Konglomerat. Man kann dort Politik treiben, auch wenn man sich nicht für einen Interessentenverband erklärt. Das bedeutet, daß die CDU nicht mit dem Odium behaftet ist, eine Unternehmerpartei zu sein. Daß es sich bei den Vertretern des Staatskapitalismus auch um eine Unternehmerpartei handeln kann, wird in Deutschland weniger übersehen als bei uns. Die CDU hat übrigens unter ihren Bundestagsabgeordneten mehr Gewerkschafter als die SPD, sie fiat z. B. in Baden-Württemberg acht Arbeitnehmer unter ihren Abgeordneten und die SPD nur drei.

Was nun angesichts der Provokation der Leitung des DGB geschehen soll, darüber besteht noch keine Klarheit:

Die KAB (Katholische Arbeiterbewegung), geführt unter anderem von Prälat Dr. Schmitt, dem Oberbürgermeister Gockeln und Bundestagsabgeordneten Even, ist ebenso wie die evangelische Arbeitnehmerschaft (H. Schlösser) für die Errichtung selbständiger christlicher Gewerkschaften. In ihrer Tagung in Recklinghausen hat sich die KAB „ihre Handlungsfreiheit zurückgenommen“, da sie so gut wie keine Hoffnung sehe, den DGB zu neutralisieren. Udingens besteht bereits eine christliche Gewerkschaft, der Deutsche Handlungsgehilfenverband (DHV), der bei den Wahlen in die Angestelltenversicherungsanstalt zehnmal mehr Stimmen, als er Mitglieder hat, und mehr als der DGB erhielt.

Die S oz i a 1 a u % s c h ü s s e de CDU (Ministerpräsident Arnold, Bundesminister Kaiser und Bundestagsabgeordneter Albers) sind für das Verbleiben im DGB.

Die süddeutsche katholische Arbeiterbewegung des katholischen „Werkvolk“ nimmt offensichtlich eine mittlere Haltung ein.

Wenn auch vieles gegen das Verbleiben der Christen im DGB spricht, weltanschauliche, aber in letzter Zeit auch soziale Vorhalte gemacht werden müssen, so sind doch die Argumente, die für ein Verbleiben der christlichen Arbeiter im DGB sprechen, beachtliche. Keineswegs aber darf man annehmen, daß in der Diskussion der Gewerkschaftsgedanke an sich in Frage gestellt ist, wie so manche glauben, die zu jedem Arrangement mit den Unternehmern bereit sind, wenn man nur ihre eigenen Gruppeninteressen berücksichtigt.

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