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Der deutsche Gewerkschaftsstreit

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Die Führung des Deutschen Einheits-Gewerk-schaftsbundes (DGB) hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß ihr die dem DGB angehörenden christlichen Arbeitnehmer als Beitragslieferanten zwar höchst willkommen seien, daß aber jeder Versuch von christlichen Gewerkschaftern, Einfluß auf die Politik der Gewerkschaftsführung zu gewinnen, als Sakrileg gewertet werde, ein „Spaltungsversuch“ und eine (man höre) „Ver-politisierung“ der „neutralen“ Gewerkschaftsbewegung sei und ähnliches. Wer „religiöse Anwandlungen“ hat (wie sich der Vorsitzende des DGB ausdrückte) werde freilich geduldet. Es darf aber nur bei der „Anwandlung“ bleiben. Alle Macht dagegen liegt bei den linkssozialistischen Gewerkschaftsbossen. Wie sehr der DGB bereits die Funktion einer Zweckorganisation der SPD hat, geht daraus hervor, daß vor kurzem versucht wurde, den Bundesverteidigungsminister Blank, einen alten Bergarbeiter, aus dem DGB auszubooten. In der Schachtanlage

„Sachsen“ bei Hamm wurde ein Betriebsratskandidat bei den Betriebsratswahlen nur deswegen von der Bewerberliste gestrichen, weil er sich nicht gegen den deutschen Wehrbeitrag ausgesprochen hatte. Auf der Schachtanlage „Minister Stein“ in Dortmund gingen die marxistischen Gewerkschaftsfunktionäre so weit, bei der Betriebsleitung die Entlassung eines christlichen Gewerkschaftsfunktionärs zu beantragen. Grund: Der Funktionär hatte sich bemüht, eine christliche Liste für die Betriebsratswahlen aufzustellen.

Angesichts der vielen Vorkommnisse, welche keinen Zweifel daran lassen, daß die Führung des DGB nicht gewillt ist, den christlichen Mitgliedern ein wirksames Mitspracherecht einzuräumen, ist es kein Wunder, daß die Versuche der sehr starken christlichen Arbeitnehmerverbände nunmehr auf eine Klärung gerichtet sind. In' diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage der Wiedererrichtung christlicher Gewerkschaften erörtert. Die derzeit bestehenden christlichen Arbeitnehmerorganisationen haben, da sie nur den Charakter von Standesorganisationen besitzen, nicht die Eigenschaft von Tarifpartnern, können also nicht in gewerkschaftliche Funktionen einsteigen. Trotz vieler Entschließungen wird es dennoch in der nächsten Zeit kaum zur Bildung solcher Gewerkschaften kommen: 1. Weil nicht ausreichend Geld da ist, um große, gegenüber den Unternehmerverbänden und den Konkurrenzgewerkschaften wirksame Gewerkschaften und Gewerkschaftsapparate aufzuziehen; 2. fehlt es an vorgebildeten Funktionären; 3. sind die christlichen Arbeitnehmerführer mehrheitlich von der Errichtung christlicher Gewerkschaften nicht sonderlich begeistert. In diesem Zusammenhang kam es zu einer erregt geführten Auseinandersetzung zwischen der dem Ministerpräsidenten Arnold und dem DGB nahestehenden linkskatholischen Wochenzeitung „Michael“ und der Katholischen Arbeiterbewegung. „Michael“ hatte behauptet, daß auf einer Geheimkonferenz von Führern der Arbeiterbewegung die Bildung christlicher Gewerkschaften fest beschlossen worden sei. Das Organ der KAB, die „Kettelerwacht“, bestritt ganz energisch die Darstellungen des „Michael“ und erklärte, daß es sich bei der kommentierten Tagung um eine offene Funktionärskonferenz gehandelt habe. Darüber hinaus stehe fest, daß die KAB von sich aus überhaupt keine Beschlüsse in der Frage der Errichtung christlicher Gewerkschaften fassen könne. Es ist nun interessant, daß die auf Seite der Führung des DGB stehenden christlichen Gewerkschafter massive Unterstützung vom linken Flügel der französischen christlichen Gewerkschaften her erhalten; 4. Die KAB (Führung: Prälat Schmitt und die Abgeordneten Even und Winkelheide) sowie einzelne evangelische Arbeitnehmergruppen sind zwar eindeutig für die Errichtung von unabhängigen christlichen Gewerkschaften, sind aber organisatorisch zu schwach, haben wenig Jugend hinter sich und sind in ihrer Art zu patriarchalisch-konservativ, so daß sie bei ihren Aktionen nur einen geringen Teil der Arbeitnehmer hinter sich brächten. Dazu kommt, daß die Proponenten von rechtskatholischer Seite (wie etwa vom Bund katholischer Unternehmer) publizistisch unterstützt werden, was zur Folge hat, daß das Bemühen der Männer um Even bei vielen den Anschein erweckt, als ob man die Absicht hätte, „gelbe“ (wirtschaftsfreundliche, unternehmerabhängige) Gewerkschaften zu errichten. 5. Die CDU ist mehrheitlich für das Verbleiben der christlichen Arbeitnehmer im DGB. Insbesondere hat sich Bundesminister Kaiser in diesem Sinn engagiert, wenn er auch vor wenigen Monaten arg bloßgestellt wurde, als man, knapp bevor er in Düren im Namen des DGB zum 1. Mai sprechen wollte, den dortigen, der CDU angehörenden Geschäftsführer des DGB kurzerhand absetzte. Ebenso kurzerhand sagte daraufhin Kaiser seine Rede ab.

Das Durcheinander um die Errichtung oder Nichterrichtung christlicher Gewerkschaften wurde noch verstärkt, als beim Frankfurter Amtsgericht ein Rechtsanwalt Dr. Breimann eine „Christliche Gewerkschaft Deutschlands“ eintragen ließ1. Offensichtlich war Breimann ein „Agent provocateur“. Im christlichen Lager ist er unbekannt. Was man von dem Mann weiß, ist, daß er aus Ost-Berlin zugewandert und Mitglied der SPD ist, welche Mitgliedschaft ihn nun doch nicht gerade dafür legitimiert, die Gründung christlicher Gewerkschaften in Angriff zu nehmen. Die KAB hat daher sofort gegen die Neugründung Stellung genommen, ein Umstand, der in Oesterreich, wo man die „Neugründung“ kommentarlos wiedergegeben hatte, nicht beachtet wurde. Die Chancen, die man bei Errichtung christlicher Gewerkschaften vorfinden würde, sind keineswegs so günstig, als man in den Redaktionsstuben mancher christlicher Zeitungen annimmt. Auf der anderen Seite besteht aber ein guter Stock von christlichen Arbeitnehmern. Große Teile der deutschen Arbeiterschaft stehen fest hinter den beiden christlichen Kirchen. So stieg beispielsweise die Zahl (der fast durchweg auf Einheitslisten gewählten) christlich-sozialen Betriebsräte in den Großbetrieben bei den diesjährigen Betriebsratswahlen um 4 Prozent. Die Sozialisten verloren 4,7 Prozent. In 188 untersuchten Schachtanlagen wurden u. a. 41 Prozent Sozialisten, 18,5 Prozent Kommunisten und 29 Prozent christliche Gewerkschafter gewählt.

Auch die Wirtschaftspolitik (wenn auch nicht die formelle Sozialpolitik) der von Christen geführten deutschen Bundesregierung hat die Zustimmung weiter Kreise der Arbeiterschaft. Und das mit Recht. Sind doch die Bruttolöhne der Arbeitnehmer von 1936 bis 1954 von 55,8 Prozent des Volkseinkommens auf 63 Prozent %t-

1 Eine kleine, aber nicht einmal von der christlichen Gewerkschaftsinternationale anerkannte Gruppe christlicher Gewerkschafter besteht in Essen.

stiegen. Von 1951 bis 1954 erhöhten sich die Arbeitnehmereinkommen in Westdeutschland um 34,2 Prozent, die Einkommen der anderen Gruppen (einschließlich der Arbeitgeber) nur um 12,1 Prozent.

Das Dilemma, in dem sich nun die Anhänger des DGB unter den christlichen Arbeitnehmern befinden, wird noch dadurch verstärkt, daß die DGB-Führung immer mehr nach links abgleitet, dabei geführt vom Leiter des wissenschaftlichen Instituts des DGB, Dr. A g a r t z. Dieser, ein glänzender und übrigens sehr bibelfester Dialektiker, reitet derzeit wütende Attacken gegen die Vertreter der christlichen Soziallehre. Als Pater Nell-Breuning SJ., der mit der obersten Gewerkschaftsführung noch immer guten Kontakt zu halten versteht, am 11. Jänner vor christlichen Arbeitnehmern in München die von Dr. Agartz beim letzten Gewerkschaftskongreß in Frankfurt gehaltene Rede kritisierte, ließ Dr. Agartz durch einen Herrn Horn eine Broschüre und dazu noch im Verlag des DGB herausgeben5, welche derart unqualifizierte Angriffe enthielt, daß schließlich sogar der DGB-Vorstand, wenn auch offensichtlich schweren Herzens, am 27. Juni die Form der von Dr. Agartz geführten Auseinandersetzungen bedauern mußte.

Im gleichen Umfang, wie die DGB-Führung die Wünsche der christlichen Gewerkschafter

im allgemeinen nicht zur Kenntnis nimmt, zeigt sich ihre Distanzierung von ihren Mitgliedern überhaupt. So faßte kürzlich die IG (Industriegewerkschaft) Bergbau den Beschluß, in Hinkunft, auch ohne Befragung, also auch gegen den Willen der Gewerkschaftsmitglieder, einen Streik zu proklamieren Der Apparat wird, wie in der Industrie und in der Verwaltung, autonom.

Interessanterweise versucht die DGB-Führung bisweilen auch gegenüber der SPD Opposition zu machen und in einer Art Neo-Syndikalismus außerdemokratische Praktiken anzudrohen. Herr Kummernuß von der Gewerkschaft Oeffentliche Dienste_ etwa steht auf dem Standpunkt, daß die parlamentarische Vertretung keine Garantie dafür bilde, daß die Grundformen der Demokratie aufrechterhalten werden können, und Herr Seeger von der IG Holz ist der Ansicht, daß der deutsche Verteidigungsbeitrag deswegen zu verwerfen sei, weil nach seiner Ansicht die Zustände in der Bundesrepublik einfach nicht verteidigungswert seien. Niemand vermag derzeit zu sagen, wohin die Entwicklung in der deutschen Gewerkschaftsbewegung führt, weil nun Bewegungsgesetze wirksam geworden sind, deren Wirkung sich auch die DGB-Führung nicht mehr entziehen kann.

Am Beispiel Deutschland zeigt sich die Gefahr, die darin gelegen ist, daß Aktion und Gespräch nicht koordiniert werden. Was dann bleibt, ist ein christliches Palaver und die Herrschaft der Redseligen, welche über die Realpolitiker triumphieren.

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