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Die deutschen Nebenparteien

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Die Reaktion auf den übertriebenen Zentralismus des Dritten Reiches zeigte sich nach 1945 in einem ebenso übertriebenen Föderalismus, aber auch in einer Aufspaltung der gesell- schaftlichen Verbände in der Bundesrepublik. Etwa im Bereich der Gewerkschaftsbewegung. Anfänglich standen zwar die naiven Politoffi-ziere der alliierten Militärbehörden bei der Errichtung einer einheitlichen Gewerkschaftsbewegung Pate, und zwangen beispielsweise die christlichen Gewerkschafter der Zeit vor 1933, soweit sie an die Errichtung einer unabhängigen christlichen Gewerkschaftsbewegung gehen wollten, ihre Absichten aufzugeben. Alles schien in bester Ordnung. Es gab weder Richtungsgewerkschaften noch viel Streit innerhalb der einheitlichen Gewerkschaftsbewegung selbst.

Die im faschistischen Stil errichtete Gewerkschaftsbewegung vermochte sich jedoch nicht zu bewähren. Nicht nur, weil sie sich ständig, und oft gegen die SPD, als eine Gewerkschaftspartei verstand, sondern weil die Mehrheit im DGB die Minderheit in keiner Weise in ihrer bedingten Eigenständigkeit anerkennen wollte und nur als Beitragszahler betrachtete. In einer ungewöhnlichen Weise wurden weltanschauliche Fragen in der Gewerkschaftspresse erörtert, einseitig und im Sinn altliberaler wie altmarxistischer Lebensauffassung. Darüber hinaus wurde das industriegewerkschaftliche Prinzip vertreten, das heißt das Prinzip, daß die Angehörigen eines Betriebes, ob Arbeiter oder Angestellte, der gleichen Gewerkschaft angehören müssen. Die Folge war die Errichtung der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG).

Anders als in Österreich, gibt es im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kein Recht auf Fraktionierung, auf einen Eigenstand von Gruppen. Das verdroß die Christen unter den Gewerkschaftern. Die Errichtung einer christlichen Gewerkschaftsbewegung war die Konsequenz, wenn man auch die Art, wie die Neugründung erfolgte, eine Summe von Improvisationen, kaum billigen konnte. Zudem war offensichtlich, daß einige Männer unter den Gründern die neue Organisation aus Prestigegründen errichtet hatten. Obwohl die christliche Gewerkschaft vehement bekänpft wurde, auch von der CDU, vermochte sie die ersten Runden zu überstehen und lebt m ;i!s Minderheitsgewerkschaft, deren Bedeutung es vor allem ist, bei einem Zerfall des DGB eine Auffangorganisation für die christlichen Gewerkschafter im DGB zu bilden.

Im DGB blieben starke Gruppen betont christlich eingestellter Dienstnehmer und sammelten sich vor allem um die Christlichsoziale Kollegenschaft, die sich mit ihren „Gesellschaftspolitischen Kommentaren“ ein Organ von beachtlicher Qualität schuf. Die Kollegen-schaft nahm gegen die unabhängigen christlichen Gewerkschafter in eindeutiger Weise Stellung, oft nachdrücklicher als gegen die Altmarxisten im DGB.

Nach vielen und heftigen Kontroversen mit der Führung des DGB, der ohnedies an Boden unter den Dienstnehmern verliert, hat sich nun die Kollegenschaft auch gespalten. Auf einem stürmisch verlaufenen Kongreß in Mehlem erklärte sich die Mehrheit der Delegierten dafür, die Bezeichnung „im DGB“ fallen zu lassen und auf diese Weise anzudeuten, daß die Angehörigen der Christlichsozialen Kollegenschaft ihre bisherige Bindung an den DGB lösen. Der Führer der Kollegenschaft, der Jesuitenpater Reichel, glaubte die Verantwortung für diesen sehr gewagten Entschluß tragen zu können. Es scheint, daß die Führung des DGB, die mehr und mehr in die Hände von radikalen Links-' Sozialisten gekommen ist, den Christen im DGB keine Chance gibt, als Beiträge zu zahlen und außerordentlich fragwürdigen Beschlüssen zuzustimmen. Tatsächlich ist der DGB heute eine links von- der SPD stehende und weithin wirklichkeitsfremd gewordene Organisation, der es mehr um das Prestige der Führer als um die Vertretung der Interessen der Dienstnehmer geht. So ist der DGB ein drastisches Beispiel für die Autonomisierung eines Apparates, der jenseits von seinen Mitgliedern ein Eigenleben führt und es wegen der geringen Anteilnahme der Angehörigen am Leben des Verbandes auch führen kann.

Freilich versagte eine Minderheit von Gewerkschaftern (8 von 27 Stimmberechtigten) der Führung der Kollegenschaft die Zustimmung zu ihrem Schritt. Dieser stellt praktisch den Austritt der Gruppe aus dem Bereich der gewerkschaftlichen Bewegung dar, kann aber nur dann einen Sinn haben, wenn sich die nunmehr nur als Kollegenschaft firmierende Gruppe selbst gewerkschaftlich betätigt, das heißt, zu einer Gewerkschaft /ird, oder ihren Mitgliedern empfiehlt, der CGD bzw. der DAG beizutreten. Als Diskussionsgemeinschaft hat die Kollegenschaft kaum eine Funktion, Dazu kommt noch das ungelöste Problem der hauptberuflich im DGB arbeitenden christlichen Funktionäre. Was sollen sie nun tun? Aus dem DGB ausscheiden und auf diese Weise Brot und Ansprüche verlieren?

Jedenfalls scheint es nützlich gewesen zu sein, daß eine Minderheit der Kollegenschaft unter Führung des Bundestagsabgeordneten Weimer erklärt hat, weiterhin im DGB bleiben zu wollen. Interessanterweise scheinen die Sozialausschüsse der CDU — aus parteitaktischen Gründen — die im DGB bleibende Gruppe christlicher Gewerkschafter zu unterstützen.

Es gibt nun, nach der Spaltung der Kollegenschaft, folgende direkt oder indirekt mit gewerkschaftlichen Aufgaben befaßte Gruppen christlicher Dienstnehmer in der Deutschen Bundesrepublik:

1. die Christliche Gewerkschaftsbewegung Deutschland, für welche nun die KAB offen eintritt,

2. die Christlichsoziale Kollegenschaft (nicht mehr i m DGB), praktisch vorläufig standortlos,

3. die christlichen Gruppen in der DAG,

4. die Christlichsoziale Kollegenschaft (oder wie sie sich sonst endgültig benennen wird) i m DGB, mit dem schwachen Bernhard Tacke,

5. die Sozialausschüsse der CDU, die zwar nicht eindeutig mit Gewerkschaftsfragen befaßt sind, aber doch Dienstnehmeranliegen in der CDU und im Namen derselben auf politischer Ebene vertreten.

Schließlich sind noch christliche Dienstnehmer vorhanden, die keiner Gruppierung angehören und im DGB mitarbeiten.

Die kaum noch übersehbare Zersplitterung der christlichsozialen Gruppen in der Bundesrepublik und das unaufhaltsame relative Absinken der Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in Westdeutschland ist zwei Ursachen zuzuschreiben:

Zuvorderst der Politisierung der Gewerkschaften, die sich, anders als in Österreich, als eine Nebenpartei verstehen wollen und sich in Fragen engagieren, die mit den elementaren Aufgaben der Gewerkschaftsbewegung nichts zu tun haben. Die Zweckentfremdung der gewerkschaftlichen Maßnahmen und Publikationen macht aber die Gewerkschaften in den Augen der Dienstnehmer unernst und schwächt auch ihre Position den Dienstgebern gegenüber, denen es nun möglich ist, mit politischen Konzessionen gewerkschaftliche Forderungen zu befriedigen. Dazu kommt aber auch das Ansteigen der Konsumchancen und die Möglichkeit — als Folge des elementaren Dienstnehmermangels —, auch ohne Gewerkschaften Vorteile, mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen, zu erlangen. In einer solchen Situation die Gewerkschaften — den DGB im besonderen — zum Standort von weltanschaulichen und politischen Auseinandersetzungen zu machen, ist ein Verhalten, das als gewerkschaftsfeindlich bezeichnet werden muß.

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