6628283-1956_22_08.jpg
Digital In Arbeit

Der deutsche innerchristliche Gewerkschaftsstreit 1955

Werbung
Werbung
Werbung

Die christlichen Gewerkschaften und Arbeitervereine hatten in Oesterreich niemals die Bedeutung, als dies im Deutschen Reich der Fall war. Es mag eine Tragik Leopold Kunschaks darin gelegen sein, daß er die nach 1891 entstandenen christlichen Arbeitervereine in die damalige junge Christlich-soziale Partei Karl Luegers überführte, die aber später keine christliche Arbeiterpartei, sondern eine weitgehend bürgerliche Partei wurde. Daher kam es, daß sich in Oesterreich niemals mehr eine eigenständige christliche Arbeiterbewegung, weder gewerkschaftlich noch politisch, entwickeln konnte. So blieb es bis zur Auflösung aller Richtungsgewerkschaften im Jahre 1934. Diese historisch gegebene Entwicklung festzuhalten, ist wichtig, um die Bedeutung der Gewerkschaftsprobleme von heute in Deutschland wie in Oesterreich richtig einschätzen zu können. Schon in der nationalsozialistischen Zeit, in der Untergrundbewegung, gaben sich die damaligen Führer von hüben und drüben die Versicherung, keine Richtungsgewerkschaften mehr zu gründen, wenn Oesterreich wieder frei werde. So entstand in Oesterreich ohne Schwierigkeiten — und ohne Zutun der Alliierten — der Oesterreichische Gewerkschaftsbund als Einheitsgewerkschaft. Im damaligen Westdeutschland aber wurde über ausdrücklichen Wunsch der Alliierten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Einheitsgewerkschaft gegründet. Bald kam es in Oesterreich zur Fraktionsbildung innerhalb des OeGB. Die drei damals allein anerkannten Parteien, die SPOe, OeVP und die KPOe, bildeten eigenständige Fraktionen innerhalb des OeGB. Auf diese Weise blieb wenigstens einigermaßen ein Eigenleben der Fraktionen gewährleistet.

Anders war die Entwicklung in Deutschland. Dort kam es zu keiner Fraktionsbildung, vielmehr entstanden wieder die katholischen Arbeitervereine in Süd- und Westdeutschland, und zwar in einer beachtlichen Stärke. Die Mitglieder christlicher Weltanschauung im DGB versuchten seit 194f die Anerkennung einer relativen Autonomie zu erreichen, doch wurde eine solche von der Mehrheit immer wieder abgelehnt. Daher wurde auch aus bestimmten Kreisen der gläubigen Christen der Ruf nach Einrichtung eigener christlicher Gewerkschaften immer stärker. Alle Versuche der christlichen Gewerkschafter, mit der Führung des DGB zu einem Vergleich zu kommen, scheiterten.

Im christlichen Lager war die Meinung über die Errichtung von christlichen Gewerkschaften von Haus aus geteilt. Die einen meinten, es sei auf jeden Fall die Einheit der Gewerkschaftsbewegung aufrechtzuerhalten; zu dieser Gruppe gehörten vor allem Jakob Kaiser und Karl Arnold. Die andere Gruppe, namentlich die Abgeordneten Even und Winkelheide, bemühte sich vorweg, eigene christliche Gewerkschaften zu gründen. Zu dieser Gruppe gehörten jedoch nicht nur die Vertreter der katholischen Organisationen, auch evangelische Christen traten im Herbst 195 5 gemeinsam mit der katholischen Gruppe zur Gründung eigener christlicher Gewerkschaften an.

Außer den aufgezählten Ursachen war noch maßgebend, daß sich der DGB allzu stark in politische Fragen einmengte und einen immer stärkeren sozialistischen Kurs einschlug. Trotzdem handelt es sich aber in Deutschland in erster Linie um einen innerchristlichen Gewerkschaftsstreit. Der Internationale Bund christlicher Gewerkschaften sah zwar begreiflicherweise der Entwicklung mit Interesse entgegen, überließ jedoch die Entscheidung vor allem den Deutschen selbst.

Mit der Gründung selbständiger christlicher Gewerkschaften trat nicht nur eine Spaltung der Gewerkschaftsbewegung in Deutschland, sondern bedauerlicherweise auch im christlichen Lager selbst ein. Nicht alle führenden Mitglieder des DGB sind dem Ruf nach Gründung christlicher Gewerkschaften gefolgt, sondern im DGB verblieben einige und errichteten innerhalb des DGB die christlich-soziale Kollegenschaft, die über ein eigenes Publikationsorgan, „Die gesellschaftspolitischen Kommentare“, verfügt. Nun ergibt sich die Tatsache, daß ein Teil der christlichen Gewerkschafter, Katholiken wie auch Protestanten, im DGB verblieben, während die anderen, ebenfalls Katholiken und Protestanten, zur Gründung neuer christlicher Gewerkschaften geschritten sind.

Es ist keine erfreuliche Entwicklung, die sich seit Herbst 1955 in Deutschland zeigt, scheint es doch fast ausgeschlossen, daß die neue christliche Gewerkschaftsbewegung an Stärke den christlichen Gewerkschaften vor 193 3 gleichkommen wird.

Durch die Neugründung sind nun die christlichen Arbeitnehmer gespalten. Von der politischen Seite her betrachtet, muß man jedoch erkennen, daß es in Deutschland kaum einen Gewerkschaftsstreit gegeben hätte, wenn auf dem politischen Sektor eine Koalition der CDU und der SPD bestanden hätte. Weil nun die sozialistische Partei der Bundesrepublik außerhalb der Regierung blieb, konnte es geschehen, daß auch der DGB eine Richtung einschlug, die ihn nicht mehr ganz als verantwortungsbewußt erkennen ließ.

Für uns in Oesterreich hat der deutsche christliche Gewerkschaftsstreit keine Bedeutung, bei uns besteht die Koalitionsbereitschaft hüben und drüben. Es ist auch keine Frage, daß sich dies auf die Gewerkschaftsbewegung auswirkt. Es mag vieles im OeGB geben, das der christlichen Arbeiterschaft zuwiderläuft. Schließlich werden aber immer wieder Mittel und Wege gefunden, die ein Miteinander im OeGB erträglich machen und letzten Endes zu einer Zusammenarbeit der sozialistischen und christlichen Fraktionen “führen. Es wäre daher der Weg, den viele christliche Gewerkschafter in Deutschland gegangen sind, in Oesterreich kaum denkbar, geschweige denn wünschenswert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung