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I. Der österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB)

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Mit Genehmigung des russischen Militär- kojnmand nten wurzle .am, 30. April 1945 in Wien der ÖeGB errichtet. Man kann nicht sagen „wiedererrichtet", da der ÖeGB der Form nach keine Fortsetzung von Gewerkschaften darstellt, die es schon vor 1933, also vor der gewaltsamen Auflösung der Gewerkschaften, gegeben hatte. Wohl aber steht die Führung des ÖeGB (von den paar Nichtsozialisten abgesehen) eindeutig auf dem Standpunkt, daß der ÖeGB ein Teil des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften ist, wobei man sich dessen erinnern muß, daß die ehemaligen „Freien Gewerkschaften" in Oesterreich identisch mit sozialdemokratischen Gewerkschaften gewesen sind.

Formell ist der ÖeGB eine überparteiliche Organisation, eine Koordination von sozialistischen, kommunistischen und christlichen Gewerkschaftern. Andere Gruppen sind zumindest in der Führung nicht vertreten. Die Tätigkeit des OeGB beruht auf den Bestimmungen des Vereinsgesetzes vom 15. November 1867 bzw., hinsichtlich der Beziehungen zu den Arbeitgeberorganisationen, auf dem Gesetze vom 7. April 1870.

Trotz einer offensich fliehen Gewerkschaftsmüdigkeit hat der OeGB ungefähr zwei Drittel der Arbeitnehmer erfaßt. Konkurrenz gibt es nur auf dem Sektor der öffentlich Angestellten und dort praktisch auch nur bei den Maturanten und den höheren Beamten. Unter Bedachtnahme auf die Machtlosigkeit der bestehenden, nicht dem OeGB angehörenden gewerkschaftsähnlichen Organisationen kann man sagen, daß der OeGB in der Sache der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in Oesterreich eine Art Monopol hat, eine Tatsache, die zusammen mit dem Umstand, daß auch die Unternehmer im ganzen nur zwei wirklich bedeutende Organisationen besitzen, das Zweiparteiensystem weitgehend von außen her absichert.

Wenn auch da und dort, insbesondere in Großbetrieben, der Grundsatz der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft zum OeGB verletzt und damit der Gewerkschaftsgedanke abgewertet wird, ist der OeGB im Wesen als eine auf Freiwilligkeit der Anteilnahme beruhende Organisation aufzufassen. („Zu den obersten Prinzipien des OeGB als demokratischer Organisation gehört es, daß der Beitritt dem freiwilligen Entschluß entspringt“, wie Bundesminister Proksch, der Generalsekretär des OeGB, es formuliert hat.)

Die Führung des OeGB ist nach einem klassisch gewordenen Proporz fixiert, der lediglich insoweit nicht dem Ur-Proporz entspricht, als die Kommunisten (KPOe-Linksblock) zum zweitenmal keinen Vertreter im Präsidium haben. Die Angehörigen des Präsidiums sind derzeit Böhm,.Mąi,&eĮ,,piah und Altenburger, Im Präsidium sitzt interessanterweise kein Vertreter dfer Angestellten, wogegen sich diese beim letzten OeGB-Kongreß zur Wehr setzten. Das Präsidium des OeGB, als ein „Rat der Weisen", denkt mehr gesamtwirtschaftlich und kann parti- kularistischen Tendenzen der einzelnen Gewerkschaften oft mit Erfolg entgegentreten, was schon deswegen leichter möglich ist als etwa in der Deutschen Bundesrepublik, weil die Selbständigkeit der einzelnen Fachgewerkschaften keine sehr ausgeprägte ist. Der OeGB ist eben eine Organisation und nicht eine Koordination von je für sich weitgehend selbständigen Gewerkschaften. Diese Tatsache ist für die oft so notwendige Eindeutigkeit, die bei manchen rasch zu treffenden Entscheidungen geboten ist, von großer Bedeutung und staatspolitisch wertvoll.

Während im Präsidium ein Angehöriger der christlichen Gewerkschafter sitzt, sind sämtliche Landesvorsitzenden und alle Landessekretäre Sozialisten. Ebenso sind die Vorsitzenden der 16 Fachgewerkscbaften Angehörige der SPOe. Von den Zentralsekretären bzw. leitenden Sekretären sind zwei der OeVP und einer der KPOe zuzurechnen.

Die Mitglieder sind auf die 16 Fachgewerkschaften (die wieder in Sektionen, Fachgruppen. und Unterfachgruppen untergegliedert sind) aufgeteilt. Neben den Fachgewerkschaften gibt es noch „zur Besorgung gemeinsamer Angelegenheiten“ Abteilungen, die quer durch die Fachgewerkschaften geführt sind, wie für Frauen und Jugendliche. Die Mitgliedschaft zu einer Fachgewerkschaft ist nicht durch die Berufstätigkeit bestimmt, sondern durch die Art des Betriebes, in dem der Arbeitnehmer tätig ist, vorgegeben.

Der ‘ Mitgliederstand betrug per 31. Dezember 1956 1,427.000 (womit der OeGB der stärkste Verein unseres Landes ist) und ist gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent gestiegen. Von den Mitgliedern sind 73,2 Prozent Männer und 26,8 Prozent Frauen. Jugendliche hat der OeGB an die 80.000. Sieben Fachgewerkschaften haben über 100.000 Mitglieder.

Die Mitgliederbewegung ist fast durchweg positiv, lediglich bei einigen Fachgruppen, wie u. a. bei „Kunst und freien Berufen“ und bei den „Arbeitern der chemischen Industrie“, ist ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Auch die einzelnen Länder weisen einen Zuwachs auf, ausgenommen das Burgenland, das einen Abgang von 8,1 Prozent hat. Dagegen ist für Vorarlberg ein Zuwachs von nicht weniger als 12 Prozent zu verzeichnen.

Nach der letzten verfügbaren V e r m ö g e n s- aufstellung hat der OeGB ein Reinvermögen von 97 Millionen Schilling (darunter zirka 75 Millionen Schilling an Anlagen). Nach einer Schätzung sollen die Einnahmen bis 1954 valorisiert (das heißt auf den tatsächlichen Wert zum Abschlußstichtag gerechnet) etwa 1868 Millionen Schilling betragen haben.

Der Streikfonds ist bei jeder Gewerk schaff ein gewichtiges Mittel, um in Grenz Situationen die gewerkschaftliche Macht an jena der Unternehmerorganisationen anpassen zu können. Nun beträgt der Streikfonds des OeGB Ende 1954 etwa 274 Millionen Schilling. Bfei einem eventuellen Generalstreik müßte (ausgehend von den Mitgliederziffern zum Jahresende 1956) ungefähr Streikgeld für eine Million Mitglieder gezahlt werden. Dabei wird vorausgesetzt, daß die öffentlich Bediensteten einschließlich Gemeindebediensteten, Eisenbahnern und Post- und Telegraphenbediensteten ohnedies vom Dienstgeber, falls sie streiken, honoriert werden. Das heißt nun, daß für jeden Streikenden ungefähr 300 Schilling (wenn auch nicht in flüssiger Form) an Streikgeld vorhanden sind. Das entspricht ungefähr einem Wochenlohn. Wenn nun oft darauf hingewiesen wird, daß der Streikfonds eigentlich nicht oder nur wenig in Anspruch genommen wird, muß man sagen „Gott sei Dank". Freilich könnte man sich vielleicht eine bessere Verwendung eines Teiles der Streikgelder vorstellen als die bisher geübte.

In der Zeitschrift „Der sozialistische Gewerkschafter" schrieb einer der prominentesten Führer des OeGB einmal, daß die Gewerkschaftspresse nichts veröffentlichen werde, was im Widerspruch zu sozialistischen Auffassungen stehe. Das mag nun hingehen, wenn die Gewerkschaftspresse nicht auch zuweilen in „Kultur“ machen und dadurch die beschworene weltanschauliche Neutralität verletzen würde.

Derzeit hat der OeGB 10 zentrale Organe, 16 Fachblätter, 13 Periodika für Jugendliche, für Funktionäre, einige Mitteilungsblätter und 5 Fachzeitschriften. Die Gesamtauflage betrüg ‘ 1994 5 MilliofrW'furtd seit Bestehen des OeGBJ nicht weniger als 265 Millionen). Bei der zentralen Gewerkschaftspresse sind sämtliche Redakteure Mitglieder der SPOe. Nicht ein christlicher Gewerkschafter hat bei der Führung der Gewerkschaftsblätter ein Wort mit2ureden. Auch ein Proporz! Von den gewerkschaftlichen Fachzeitungen sind alle Redakteure bis auf zwei von der SPOe gestellt. Die Führung der gewerkschaftlichen Massenpresse läßt daher nicht den Schluß zu, daß der OeGB gewillt ist, den Nichtsozialisten das Recht auf Mitsprache einzuräumen. Insoweit ist es im DGB besser.

Man sollte bei Prüfung der Gewerkschaftspolitik auf ihre (eventuelle) parteipolitische Befangenheit nicht übersehen, daß auch eine christliche Gewerkschaftsorganisation in vielen Dingen mit der SPOe gehen müßte. In Frankreich ist es beispielsweise so, daß zuweilen die christlichen Gewerkschaften erheblich nachdrücklicher soziale Forderungen vertreten als die sozialistischen Gewerkschafter, die dort mehr und mehr eine kleinbürgerliche Organisation bilden. Tatsächlich — um auf Oesterreich zu kommen — decken sich formell die Forderungen des OeGB in vielen Dingen mit jenen der SPOe. In der Praxis bestehen aber nicht geringe Auseinandersetzungen zwischen den beiden Institutionen, so im Sektor der verstaatlichten Industrie und der öffentlichen Betriebe, wo die Unternehmervertreter brav betriebswirtschaftlich denken und denken müssen, auch wenn sie von der SPOe kommen. Die Ueber- nahme der verstaatlichten Betriebe in die „Gewahrsame“ des Finanzministeriums hat die SPOe freilich von einer Reihe von Sorgen befreit, da nun der „Genosse Direktor“ im Namen des OeVP-Finanzministeriums handeln und alle Schuld von sich abwälzen kann. Wenn wir die Geschichte der Zweiten Republik überlesen, insbesondere die Geschichte der sozialen Auseinandersetzungen, müssen wir zugeben, daß der OeGB es meist verstanden hat, sich vor Wahlen aus dem unmittelbaren Parteigetriebe herauszuhalten und nicht jene zwielichtige Haltung des DGB einzunehmen, die in der Bundes- repubik das Entstehen christlicher Gewerkschaften geradezu provoziert hat. Abirrungen da und dort (Teilnahme eines Chores der Gewerkschaftsjugend bei einer Kundgebung für Dr. Schärf) sollen nicht vergessen machen, daß man offensichtlich, zumindest ganz oben, bemüht war, als

OeGB über den Parteien zu stehen. Erst in den letzten Wochen hat der stellvertretende Generalsekretär des OeGB, Fritz Klenner, ausdrücklich die Notwendigkeit der Parteiunabhängigkeit der Gewerkschaften betont.

Eine andere Frage ist dagegen die stets vorhandene Befangenheit der Gewerkschaften gegenüber eindeutig sozialistisch geführten Unternehmungen. Es sei da an die Konflikte bei den Wiener Verkehrsbetrieben erinnert oder an die Art, wie die Gewerkschaften sich gegenüber den Konsumgenossenschaften verhalten, deren Führung, wenn die Genossenschaften konkurrenzfähig bleiben wollen, nichts übrigbleibt, als in manchen Dingen nur-unternehmerisch zu denken.

Die Frage, die immer wieder, und gerade seit der Wiedererrichtung christlicher Gewerkschaften in der Bundesrepublik, gestellt wird, ist die, ob es nicht doch gut wäre, wenn auch wir unabhängige christliche Gewerkschaften hätten. Bei der Exekutive gibt es übrigens eine gewerkschaftsähnliche Organisation, die beträchtliche Stärke aufweist und dem OeAAB nahesteht. Die unterschiedlichen freien Verbände der öffentlich Bediensteten sind dagegen meist im nationalen Fahrwasser.

Nun beweisen die deutschen Erfahrungen, daß die Errichtung christlicher Gewerkschaften nur dann Erfolg hat, wenn alle christlichen Arbeitnehmer mittun und wenn darüber hinaus ein relativ großer Teil der Unselbständigen im christlichen Lager steht. Die unglückliche Politik der CDU im sozialen Bereich hat in der Bundesrepublik christliche Politik wieder weithin mit .bürgerlicher“ Politik gleichgesetzt. Aehnlich ist es in Oesterreich. Wir hätten kaum die Substanz, die notwendig ist, um christliche Gewerkschaften überhaupt zu errichten, geschweige denn zu erhalten, wenn auch die Zeit keineswegs für die marxistischen Sozialisten arbeitet und es offensichtlich ist, daß der Kredit, den die Marxisten — und mit Recht — bei den Arbeitern hatten, vielfach verspielt ist. Wir müssen aber von der gegenwärtigen Situation ausgehen, ln Kärnten scheint jedoch die OeGB-Führung gewillt zu sein, jene Bedingungen zu schaffen, die das Entstehen christlicher Gewerkschaften begünstigen. So sprechen christliche OeGB- Mitglieder in Kärnten bereits offen vom Austritt aus dem OeGB.

Die weltanschaulichen Belange der Minderheit werden im OeGB insoweit einigermaßen berücksichtigt, als Fraktionen bestehen, eine sozialistische, die als solche bedeutungslos ist, weil das sozialistische Gedankengut ohnedies von der Führung her gesichert ist,, eine, kommunistische und eine chrisflicjlg. Koprekterweise müßte auch eine freiheitliche Fraktion errichtet werden, wenn auch die Zahl der Gewerkschafter, die der FPOe nahestehen, sicher keine nennenswerte ist! Eine Fraktion der „Unpolitischen“ könnte freilich nur dann ge.bildet werden, wenn das „Unpolitische" sich als ein Katalog von sozialen Thesen erweist, der vielen gemeinsam ist. Die Ablehnung des Politischen oder der Parteien allein kann noch nicht als Gesinnung angesprochen werden.

Die relative Selbständigkeit der Fraktion christlicher Gewerkschafter wird dadurch unterstrichen, daß die Fraktion als solche der Christlichen Gewerkschaftsinternationale angeschlossen ist (Confederation Internationale des Syndicats Chretiens, CISC), deren Präsident und Generalsekretär beim letzten OeGB-Kongreß anwesend waren.

Formell ist jedenfalls der OeGB eine Koordination von weltanschaulich verschieden ausgerichteten Arbeitnehmern, wenn auch die Möglichkeit der Vertretung christlicher, insbesondere spezifisch christlich-sozialer Belange, verhältnismäßig gering ist.

Von den führenden Funktionären haben aber — das sollte herausgestellt werden — Männer wie Proksch, Klenner und 01 ah in verschiedenen Situationen durchaus die Bereitschaft gezeigt, dem christlich-sozialen Gedankengut Verständnis entgegenzubringen.

Wenn noch etwas für das Beibehalten der gegenwärtigen Kooperation im OeGB spricht, so ist es die Tatsache, daß derzeit eine einheitliche Gewerkschaftsbewegung in Oesterreich nicht allein den Arbeitnehmern nützen, sondern auch für die Unternehmer von positiver Bedeutung sein kann. Das Hinauflizitieren vor Forderungen bei Bestehen von mehreren Gewerkschaften, die sich doch in einem Wettbewerbsverhältnis befinden, ist kaum vermeidbar und wäre für das Lohn-Preis-Gefüge, das jetzt doch einigermaßen in Entsprechung ist, ein Element fortgesetzter Unruhe.

Das soll aber nicht heißen, daß die Christen im OeGB alles über sich ergehen lassen müssen. Vor allem gilt das für die Schulung und für die Bildungsarbeit, in der Christen so gut wie nichts zu sagen haben. Der vom Bildungsreferat herausgebrachte „Bildungsfunktionär" ist ein Beweis dafür, daß man die Christen im OeGB als eine lästige, aber aus taktischen Gründen zu duldende Randerscheinung betrachtet; „sozial“ wird mit

Marxismus gleichgesetzt. Ebenso ist die Jugendarbeit im OeGB zuweilen Anlaß für ernste Bedenken.

Die Forderung geht daher nicht nach einer Aufspaltung der einheitlichen Gewerkschaftsbewegung. Eine solche Forderung zu erheben, wäre Ausdruck einer völlig falschen Beurteilung der gegebenen Verhältnisse. Was not tut, ist innergewerkschaftliche D e m o- k r a t i e. Die Betriebsratswahlen 195 5/56 haben gezeigt, daß 32,6 Prozent der Arbeitnehmer nichtmarxistische Kandidaten bevorzugen. Die Zusammensetzung der Führung und die Besetzung der Leitung der Gewerkschaftspresse ebenso wie die Lenkung der Bildungsarbeit lassen aber nicht den Schluß zu, daß man oben, im Präsidium des OeGB, zur Kenntnis genommen hat, daß der OeGB nicht mit einer soziali stischen Gewerkschaft identisch ist. Wer 51 Prozent (oder wie im OeGB die Sozialisten zirka 63 Prozent) der Mandate hat, kann in einer demokratischen Körperschaft nicht — wenn er sich als Demokrat bezeichnet — 90 Prozent und mehr von der Führung beanspruchen.

Die Forderung nach einem „Proporz“, der Ausdruck der tatsächlichen Anteilnahme ist, hat . im Prinzip mit Parteipolitik, die wir in unserem Blatt nicht zu vertreten haben, kaum etwas zu tun. Da aber der OeGB über Presse und Bildungsinstitutionen wie gewerkschaftseigene Heime weltanschauliche Einflüsse auf seine Mitglieder (und auf deren Angehörige) ausübt, müssen die Christen, die im OeGB ihre Interessenvertretung sehen, nachdrücklich das Verlangen stellen, ihrer Stärke entsprechend in der Führung berücksichtigt zu werden.

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