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Die Fraktion christlicher Gewerkschafter im OeGB

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Die Grundlage des im Jahre 1945 errichteten OeGB war der Verzicht, die vor 1934 vorhanden gewesenen christlichen und freien (lies: sozialistischen) Gewerkschaften (die Richtungsgewerkschaften) wieder zu errichten.

Die Erkenntnis, daß ein wirtschaftlicher Wiederaufbau die Voraussetzung sozialer Sicherheit und das beste Mittel, maximale Wohlfahrt zu erreichen, ist, war dafür bestimmend, vorhandene weltanschauliche und politische Gegensätze, die unter den Gründern des OeGB selbstverständlich auch 1945 vorhanden waren, zurückzustellen und die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen aus der unmittelbaren Parteienauseinandersetzung herauszuhalten.

Anderseits waren wir uns als christliche Gewerkschafter vom ersten Tag an darüber im klaren, daß in einer an sich überparteilichen und weltanschaulich neutralen Gewerkschaftsbewegung die Pflege des Gedankengutes, das der alten christlichen Gewerkschaftsbewegung Pate gestanden hatte, unter allen Umständen und dazu in einer besonderen institutionellen Form notwendig sein würde. Wir waren der Meinung — und fanden unser Verhalten durch die Ereignisse in Westdeutschland gerechtfertigt — daß die Bewahrung der spezifischen Eigenart der beiden Gewerkschaftsrichtungen gerad eine der Voraussetzung.cn für das weitere Bestehen eines gemeinsamen Gewerkschaftsbundes sein würden, Zeigte sich doch auch auf Seite der Anhänger der freigewerkschaftlichen Richtung das berechtigte Bestreben, das Ideengut des sozialistischen Gewerkschaftsgedankens zu pflegen und den Kontakt mit dem Internationalen Bund der freien Gewerkschaften aufrechtzuerhalten.

Die Bildung einer Fraktion christlicher Gewerkschafter im OeGB war daher eine notwendige Folge der Errichtung des OeGB und gleichsam unvermeidbar, sollte nicht eine gewichtige Position im Bemühen um eine institutionelle christliche Sozialreform aufgegeben werden.

Die Fraktion der christlichen Gewerkschafter ist daher ein Teil des OeGB und stellt — bei aller Anerkennung der Notwendigkeit eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes — die Sammlung jener Angehörigen des OeGB dar, die sich auf den Boden der christlichen Weltanschauung stellen und sich zum chfistlich-sozialen Gedankengut bekennen.

Rückblickend können wir auch sagen, daß es gerade dem Bestehen unserer Fraktion zu danken ist, daß die österreichische Gewerkschaftsbewegung — sehr zum Unterschied von den ehemaligen freien Gewerkschaften - heute keineswegs mehr ein Instrument des Kulturkampfes und der verlängerte Arm der Freidenkerbewegung ist.

Anderseits hat gerade der Umstand, daß die Gewerkschaften in Oesterreich sich vornehmlich der Vertretung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder widmen, sehr dazu beigetragen, daß die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer dem OeGB angehört. Derzeit zählt der OeGB über 1,400.000 Mitglieder. In manchen Betrieben konnten bis über 90 Prozent der Beschäftigten für den OeGB gewonnen werden. Man kann daher ohne Uebertreibung sagen, daß der Gewerkschaftsbund heute die Repräsentanz der österreichischen Arbeitnehmer darstellt.

Die Fraktion hat es sich nun zur Aufgabe ge-itellt, den OeGB für die darin befindlicher christlichen Arbeitnehmer zu einer Oiganisatior zu gestalten, in der auch christliche! Gedankengut seinen Platz hat.

Um ihre relative Eigenständigkeit zu betonen (das heißt, die organisatorische Eigenart innerhalb des OeGB) stellt die Fraktion bei Betriebsrats- und Sozialwahlen eigene Kandidaten und sorgt dafür, daß in allen Einrichtungen des OeGB Angehörige der Fraktion Sitz und Stimme haben. Die Verbindung zu ihren Mitgliedern bildet unter anderem das monatlich erscheinende Mitteilungsblatt der Fraktion „Der christliche Gewerkschafter“.

Da die sozialistische Fraktion dem Internationalen Bund freier Gewerkschaften angehört, also auf internationaler Ebene ihre Eigenständigkeit betont hat, schloß sich die Fraktion christlicher Gewerkschafter dem Internationalen Bund der christlichen Gewerkschaften an, an dessen Arbeiten Oesterreicher maßgeblichen Anteil haben. Uebrigens waren beim letzten Kongreß des OeGB in Wien auch hervorragende Vertreter der Internationale der christlichen Gewerkschaften anwesend.

Nach zehn und mehr Jahren der Zugehörigkeit zum OeGB können wir christlichen Gewerkschafter sagen: Das Bestehen einer gemeinsamen Gewerkschaftsbewegung war ein Erfolg. Der OeGB hat den Charakter eines die österreichische Wirtschafts- und Sozialpolitik positiv bestimmenden Faktors, er ist ein Garant sozial-Ökonomischer Ordnung. Was uns christliche Gewerkschafter betrifft, wird es von uns abhängen, ob es möglich ist, im OeGB christlichem Gedankengut zum Durchbruch zu verhelfen. A n uns liegt es, zu verhindern, daß der Gewerkschaftsgedanke in Oesterreich jemals wieder das Refugium eines a n t i q u i e r i e r t e n und im letzten doch lohnarbeitsfeindlichen Marxismus wird.

Je mehr wir uns von der Mitarbeit im OeGB distanzieren, umso stärker wird die andere Seite. Das sollte denen gesagt werden, die glauben, es sei ein besonderer Beweis christlicher Bewährung, den Menschen zum Gewerkschaftsfeind zu machen, ohne sagen zu können, in welcher wirksamen und besseren Form die Interessen der Arbeitnehmer vertreten werden können.

Die vom Institut für Sozialpolitik und Sozialreform veranstaltete gewerkschaftskund-liche Tagung wird nun Anlaß sein, über eine Reihe von Fragen, die mit den Gewerkschaften zusammenhängen, in aller Offenheit zu diskutieren. Gleichzeitig soll gezeigt werden, wo heute die Gewerkschaften stehen. In Westdeutschland (Referat Präsident Dr. Müller aus Kassel) und in Oesterreich (Generalsekretär des

OeGB Fritz Klenner). Es sollen aber auch die Grenzen der Gewerkschaftspolitik aufgezeigt werden, in der Lohnpolitik (K. Reitter) und im ökonomischen Bereich überhaupt (Dr. Anton Burghardt).

Gleichzeitig soll die Tagung des Institutes ein

Aufruf an alle Sachkundigen sein, sich der christlichen Gewerkschaftsbewegung zur Verfügung zu stellen und auf dem Boden des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes klen Versuch zu unternehmen, die Grundsätze christlicher Sozialpolitik zu aktivieren.

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