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Die gelbe Gefahr

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Der 3. Bundeskongreß des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes stand offensichtlich unter dem Eindruck des Kanzlerbriefes. Julius Raab ist — das wissen wir — weder ein Vielredner noch ein Vielschreiber. Wenn der Kanzler die Vorfälle bei Graf & Stift zum Anlaß genommen hat, um dem Gewerkschaftskongreß fernzubleiben, dann tat er es nicht, um eine sachlich keineswegs immer einwandfreie Gewerkschafts-ieindlichkeit zu unterstützen. Worum es dem Kanzler ging, das war der Hinweis darauf, daß die Demokratie eine Wirklichkeit ist und kein substanzloser Begriff. Wer sich zur Einrichtung der Demokratie bekennt, der muß auch alle Folgerungen daraus bejahen, also auch die Koalitionsfreiheit. Wer dagegen meint, daß die Mehrheit deswegen, weil sie über 50 Prozent hat, schon im Recht ist, der legt ein Bekenntnis zum Mehrheitsfaschismus ab, der in keiner Weise besser.ist als der Minderheitsfaschismus etwa des Adolf Hitler. Demokratie, das heißt Achtung vor der Meinung anderer, das heißt aho auch Gewißheit, daß der Arbeitsplatz, auch wenn man nicht die Meinung der Majorität hat, deswegen allein nicht gefährdet ist. Was die Betriebsräte bei Graf & Stift (ohne vorherige Billigung durch die Führung des OeGB.') getan haben, war ein Willkürakt, der durch nichts zu beschönigen ist. Das hieße doch, das Aushungern von Arbeitern billigen.

Neben der Frage der konkreten Durchsetzung der Koalitionsfreiheit auch auf betrieblichem Boden ging es in den Diskussionen des Kongresses um die angebliche Errichtung „gelber Gewerkschaften“, also unternehmerdienlicher und von Unternehmern bezahlter Arbeitnehmergruppen.

Die Gewerkschaften haben die Pflicht, in der gleichsam naturnotwendigen Auseinandersetzung zwischen den gesellschaftlichen Großgruppen die Position der von ihnen vertretenen Arbeitnehmer zu halten. Tun sie das nicht, so stören sie das notwendige Machtgleichgewicht in der Gesellschaft. Es käme zu Zuständen, wie sie für die Periode des Hochkapitalismus bezeichnend gewesen sind. Wer die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, sei es in welcher Form immer, fördern hilft, handelt unmoralisch. Wenn also der OeGB gegen die Errichtung gelber Gewerkschaften Stellung nimmt, handelt er nicht allein aus einem wohl verständlichen Verbandsegoismus heraus, sondern ist in seinem Tun voll gerechtfertigt.

Nun ist es aber freilich geboten, die Dis-qualifizierung einer Arbeitnehmergruppe als „gelb“ nur dann vorzunehmen, wenn eindeutige Beweise für die behauptete Unternehmerdien-lichkeit gegeben sind. Das Bestehen einer Einheitsgewerkschaft in Oesterreich ist nicht nur eine soziale, sondern auch eine politische Notwendigkeit. Wenn sich aber aus Gründein, die jetzt nicht untersucht werden sollen, irgendwo im Land eine zweite Arbeitnehmergruppe mit dem Anspruch auf Zuerkennung der Tariffähigkeit bildet, so muß diese Gruppe nicht vorweg eine „gelbe“ Organisation sein. Welche Arbeitnehmergruppe gelb ist und welche nicht, entscheidet nicht das vorgelegte Programm allein, sondern auch das Verhalten 'der Führung.

Die Kündigung der beiden Arbeiterinnen bei Graf & Stift erfolgte über nachdrücklichen „Wunsch“ der Betriebsräte, weil die zwei Frauen aus Protest gegen die Haltung der OeGB-Führung in der Frage der Erhöhung der Straßenbahntarife den Gewerkschaftsbund (in den sie freiwillig eingetreten waren) verlassen hatten. Nun überlegen wir einmal den Sachverhalt: Der OeGB hat einer Preiserhöhung ohne Befragen seiner Funktionäre zugestimmt. Die Preiserhöhung bei den Straßenbahnen bedeutet eine erhebliche Kürzung des Realeinkommens der Fußgängerfamilien, während man, was die Wohlfahrt der Autofahrerfamilien betrifft, gleichzeitig bemüht ist, eine Senkung der Benzintarife zu erreichen. Die Haltung der OeGB-Führung war eine „freundliche“ Geste gegenüber dem Unternehmer „Wiener Verkehrsbetriebe“, also eine unternehmerfreundliche Haltung (wenn nicht schon eine Begriffsverkehrung Platz gegriffen hat). Die Rechtfertigung der Erhöhung der Tarife der Wiener Verkehrsbetriebe wollen wi£ dabei nicht untersuchen. Niemand hat das Recht, zu sagen, der OeGB sei eine gelbe Organisation. Aber in der besonderen Situation der Erhöhung der Straßenbahntarife war das Verhalten der Gewerkschaftsführung eben „ge 1 b“. Daher war der Austritt der zwei Arbeiterinnen aus dem OeGB ein Protest gegen eine „gelbe“ Aktion. Darf man die zwei Frauen deswegen bestrafen und sie als Förderinnen einer „gelben“ Organisation hinstellen? Das wäre eine geradezu groteske Behauptung.

Der OeGB war in der ihm befohlenen Haltung in der Tarifsache offensichtlich das Opfer seiner parteipolitischen allzu starken Bindung geworden. Eine Gewerkschaftsbewegung kann freilich nicht unpolitisch sein. Das zu verlangen, hieße die Gewerkschaftsbewegung auf die Bedeutung von Arbeiterbildungsvereinen zurückführen. Die Forderungen der Arbeitnehmer als ein Ganzes lassen sich wirksam nur im politischen Raum durchsetzen. Was bedenklich ist, das ist die zu innige Verquickung des OeGB mit nurpolitischen Organisationen. Jede Partei, die an der Macht ist, muß heute notwendigerweise auch Unternehmerinteressen vertreten. Wenn auch nur in einzelnen Situationen. Innerhalb der Parteien sind die Unternehmergruppen die gewichtigen Geldgeber, die den immer größer werdenden Apparat der Parteien erhalten helfen. Das gilt für die sogenannten „bürgerlichen“ Parteien ebenso wie für Arbeiterparteien. Dabei ist es gleichgültig, ob die das Parteiverhalten bestimmenden Unternehmer „Kartellherren“ oder „nur“ Generaldirektoren von sozialisierten Unternehmungen sind. Auch diese müssen zuvorderst die Interessen ihrer Unternehmungen (bisweilen gegen die Interessen der Arbeiter) vertreten und werden nicht nach der Qualität ihrer sozialen Haltung bezahlt, sondern nach dem Ausmaß der von ihnen erzielten Rendite oder der verhinderten Verluste. Ist nun eine Gewerkschaftsführung unmittelbar von einer Parteiführung abhängig, so ist es unvermeidbar, daß Unternehmereinflüsse das gewerkschaftliche Handeln beeinflussen und die Gewerkschaftsführung das Odium auf sich laden wird, in ihrem Verhalten „gelb“ zu sein.

Dabei darf man nicht meinen, es sei eine wirksame Gewerkschaftspolitik auf lange Sicht ohne Gesinnung möglich. Wer gesinnungsfreie Gewerkschaftspolitik will, der bekennt sich zum System des Betriebsegoismus, dessen Nutznießer sich auf Kosten der anderen Arbeitnehmer oder der Konsumenten Vofzunreinen sichern. Worum es geht, das ist lediglich die Distanzierung der Gewerkschaftspolitik von der unmittelbaren Parteipolitik. Das Beispiel des Verhalten der „Trade llnions“ in Großbritannien ist ein Beweis dafür, daß eine relative Unabhängigkeit der Gewerkschaften sich wohl mit einer parteipolitischen Anlehnung von Gewerkschaftsgruppen verbinden läßt.

Wird die Gewerkschaftsführung dazu degradiert, auf Pfiff das auszuführen, was die Parteisekretariate für gut finden, kommt es dazu, daß die Gewerkschaften vor den Arbeitnehmern das Gesicht verlieren. Die Folge ist eine latente Gewerkschaftsfeindlichkeit der Arbeitnehmer und das Aufkommen von radikalen Strömungen, die schließlich zur Errichtung von Diktaturen führen. Diktatur aber bedeutet „Einheit von Partei und Staat“, das heißt Einheit von Manager-(Unternehmer-) Interessen und Gewerkschaftsinteressen.

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