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In Österreich: Fraktionierung

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Was spricht, von Oesterreich aus gesehen, für e i n V e r b 1 e i b e n Im DGB?

1. Würde es wohl leicht sein, eine Million oder mehr Mitglieder aus dem DGB herauszuführen. Es ist aber nicht sicher, daß die nun auf den Geschmack Gekommenen, die ihre Interessen beitragsfrei gewahrt sehen, auch in eine christliche Gewerkschaft gehen werden;

2. ist es nicht sicher, daß die Ansprüche der Ausgetretener! erfüllt werden können;

3. fehlt weitum der Apparat, um an die Errichtung aktionsfähiger christlicher Gewerkschaften gehen zu können;

4. kommt es nach dem Ausscheiden der christlichen Gewerkschafter sicher zu einer Radikalisierung des Rest-Gewerkschaftsbundes und zur Vorherrschaft der marxistischen Intellektuellen, die über die Köpfe der Arbeiter hinweg, wie dies auch bei uns oft der Fall ist, ihre Diskussion führen und nur auf die Zeit warten, in der sie ungestört in reinem Marxismus machen können.

Wenn nun, was ich heute noch für wahrscheinlich halte, die christlichen Arbeiter den DGB nicht verlassen, ergeben sich jedoch einige Probleme, die auch für uns in Oesterreich von einigem Belang sind:

Einmal ist Sozialreform in christlichem Geist ohne Institutionen nicht möglich. Noch nie waren wir der Realisierung christlicher Sozialprogramme so nahe wie jetzt. Ich denke an: Kleineigentum, Lohngerechtigkeit, Familienlohn, Ansätze zu einer berufsständischen Ordnung über die Mitbestimmung und die Kammern. Mit einer nur-spiritualistischen Haltung, der großen Häresie der Nachkriegszeit, vermag man die Probleme wohl zu sehen und die Fakten zu klassifizieren, man löst sie aber nicht. Sozialreform heißt Bewältigung der Wirklichkeit, nicht allein Ueberdenken ihrer Probleme. Die christlichen Gewerkschaften und eine christliche Arbeiterbewegung sind eine Institution, geeignet, Sozialreform zu aktivieren.

Ferner ist die Gewerkschaft Macht. Die Gewerkschaft muß Macht sein, weil auch die Unternehmerseite, die private und diejenige, die 'Sich so verschämt „gemeinwirtschaftlich“ nennt, Macht ist. Auch politische. Aber die Macht, die der Gewerkschaft gegeben ist, darf nicht von dieser um ihrer selbst willen ausgeübt werden. Etwa um die (auch ökonomischen) Positionen einer Führerelite zu halten. Es sojl nicht das Interesse der „Arbeiterschaft“ als ein Abstraktum vertreten werden, sondern der Arbeiter als Wirklichkeit; und auch der anderen Enterbten dieser Tage, der Väter, der Flüchtlinge, der abgerackerten Mütter. Und zwar soll diese Vertretung so sein, daß sich der durchschnittliche Lebensstandard erhöht, nicht die Lebenshaltung einer Gruppe auf Kosten der anderen, nicht der Lohn soll auf Kosten des Geldwertes steigen usw. Was hat der Arbeiter von einer Mitbestimmung, die ihm nicht mehr Reallohn, sondern den Gewerkschaftsführern mehr Macht bringt? Und Mächt ist ertragreich, bekommt doch ein deutscher, von der Gewerkschaft gestellter Arbeitsdirektor bis zu 4000 DM pro Monat.

Auch sollten endlich einmal intellektuelle Exzesse, die mit der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen nichts zu tun haben, aus dem Bereich der Gewerkschaftsarbeit verwiesen werden.

Kommt eine der Mehrheit der Gewerkschaftsführung nahestehende Partei an die Herrschaft oder übt sie faktische Unternehmerfunktionen aus, ist sie genau so als Partner oder als Widerpart zu nehmen wie der private Unternehmer. Die elementare Befangenheit der Gewerkschaftsführungen in Situationen, in denen „ihre“ Leute Unternehmerpositionen einnehmen, beraubt die Gewerkschaft ihrer Urfunktion, immer und in jeder Situation und gegen jeden Arbeitnehmerinteressen zu vertreten.

Schließlich ist christliche Politik, die nicht auch Politik für die Ausgebeuteten ist, undenkbar. Ein Umetikettierung mancher Institutionen wäre empfehlenswert. Sozialreform ist kein Spiel mit schönen Worten, sondern manchmal — das sei offen und als private Meinung gesagt — auch gleichbedeutend mit, wenn auch nicht entschädigungsloser, Enteignung im Interesse der Eigentumslosen und nicht irgendwelcher Manager.

Wie immer die deutsche christliche Arbeitnehmerschaft sich entscheiden wird, von Oesterreich aus gesehen ist wohl die Form der Fraktionierung, wie sie jetzt u. a. von Bundesminister Altenburger propagiert wird, in der ' gegebenen Situation die beste Lösung. Die Einheitsgewerkschaft wird dann eine Koordinierung der verschiedenen parteipolitischen Richtungen sein — auch die sogenannten „Unpolitischen“ sind als höchst politisch anzusehen. Die Fraktionierung mindert die Uniformität der Gewerkschaften, gibt ihnen mehr Beweglichkeit und dient einer Verbreiterung des Gewerkschaftsgedankens.

Verlangt muß werden: daß Ur-wahlen in den einzelnen Sektionen stattfinden, sobald die Durchorganisation der Fraktionen beendet ist; daß die ehre n-, aber auch die hauptamtlichen Funktionärstellen einigermaßen nach demokratischen Prinzipien besetzt werden. Es wäre doch sehr interessant, zu erfahren, ob die in den Gewerkschaften hauptberuflich

Tätigen in ihrer politischen Gesinnung zahlenmäßig ungefähr dem Verhältnis Mehrheit zu Minderheit entsprechen.

Neutralisierung des Schrifttums, der Propaganda (im Rundfunk ist man verleitet, beim' „Hallo, Kollege“ das „Hallo, Genosse“ herauszuhören) und der Schulung, besonders der Jugendlichen.

MehrRealitätbeiderArgumen-t a t i o n. Wenn man erfährt, daß nur zehn Prozent des Kapitals der österreichischen Aktiengesellschaften in privater Hand ist, heißt das wohl, daß es so etwas wie einen „Monopolkapitalismus“ nur noch in geringem Umfang gibt und der Kapitalismus oft nicht mehr als eine Fiktion ist, der man sich aus Verlegenheit und Einfallslosigkeit bedient. Wenn aber „antikapitalistisch“, dann genau so gegen die sozialen Uebel-stände im sozialisierten Sektor der Wirtschaft!

Wie immer der Gedanke der Einheitsgewerkschaft und der Gewerkschaften überhaupt verwirklicht wird, es wäre unsinnig, wegen Fehler in der Gewerkschaftspolitik die sozialreformatorische Funktion der Gewerkschaften zu übersehen. In Oesterreich ist heute die gewerkschaftliche Macht eine der stärksten Ordnungsmachten. Das sei bei aller Kritik an der Gewerkschaft nicht versessen!

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