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Demokratie im ÖGB hat drei Mängel

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Den historischen Hintergrund des Deutschen (DBG) und des österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), ihr Funktionieren, ihre Bedeutung und ihre Entwicklungslinien versucht der Innsbrucker Politikwissenschafter Anton Pelinka in einem bemerkenswerten Buch „Gewerkschaften im Parteienstaat” auszuleuchten. Erspart darin nicht mit Anerkennung, aber auch nicht mit Kritik. Besonders interessant sind seine Darlegungen zur unbestrittenen Macht der Gewerkschaften und zu ihrem demokratischen Selbstverständnis.

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Den historischen Hintergrund des Deutschen (DBG) und des österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), ihr Funktionieren, ihre Bedeutung und ihre Entwicklungslinien versucht der Innsbrucker Politikwissenschafter Anton Pelinka in einem bemerkenswerten Buch „Gewerkschaften im Parteienstaat” auszuleuchten. Erspart darin nicht mit Anerkennung, aber auch nicht mit Kritik. Besonders interessant sind seine Darlegungen zur unbestrittenen Macht der Gewerkschaften und zu ihrem demokratischen Selbstverständnis.

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Diese Rechtfertigung ihrer Macht läßt sich weder aus den Programmen .noch aus der Praxis der DGB und des ÖGB ableiten. Weder DGB noch ÖGB geben in ihren Reden und Handeln zu verstehen, daß sie die gegenwärtige Gesellschaftsform von Grund auf ändern wollen.

DGB und ÖGB kritisieren bestimmte Konsequenzen des Privateigentums, sie haben eine Eindämmung desselben erreicht, sie wenden sich jedoch nicht gegen den Grundsatz, daß einzelne Personen, gestützt auf einen Eigentumstitel, über Produktionsmittel verfügen können.

Es mangelt sowohl bei der deutschen als auch bei der österreichischen Gewerkschaftsbewegung an einer demokratischen Legitimation ihrer Außenbeziehungen, ihrer gesamtgesellschaftlichen Machtverflechtung. Umso wichtiger ist die demokratische Legitimation ihrer Binnenstruktur, ist die innere Demokratie des DGB und des ÖGB.

Hier sind, trotz vieler kritisierbarer Unzulänglichkeit, zentralisierte Einheitsgewerkschaften den Parteien überlegen - was bei kompetitiven Parteien immer wieder dem Kampf um bestimmte Grenzwählerschichten zum Opfer fällt, ist bei Gewerkschaften, die von diesem Kampf frei sind, möglich: Eine gestufte Ordnung, die die „Oberen” von den „Unteren” abhängig macht.

Die Mängel der äußeren Gewerkschaftsdemokratie machen eine Weiterentwicklung dieser grundsätzlich vorhandenen, inneren Gewerkschaftsdemokratie besonders wichtig. Um Gewerkschaftsmacht und Demokratie in Einklang zu bringen, müssen DGB und ÖGB ihre innere Demokratie fortführen, dürfen DGB und ÖGB mit Hinweisen auf innere Angelegenheiten” das Demokratiepostulat nicht einfach zur Privatsache machen.

DGB und ÖGB haben in ihren Satzungen und Statuten die innere Demokratie grundsätzlich verwirklicht. Bei der Umsetzung dieser demokratischen Verfassung in die politische Praxis lassen sich folgende Defizite beobachten:

• ein Defizit an Pluralismus;

• ein Defizit an Partizipation;

• ein Defizit an Solidarität.

Das Pluralismusdefizit ist beim DGB ausgeprägter als beim ÖGB. Die fraktionelle Gliederung der österreichischen Gewerkschaftsbewegung impliziert eine Übernahme des Konkurrenzmusters aus dem Parteiensystem in die Gewerkschaften. Dadurch spiegelt sich die Bandbreite des politischen Spektrums von relativ weit rechts bis sehr weit links auch im ÖGB ...

Das im ÖGB vorherrschende Legitimationsmuster der Übernahme der Ergebnisse von Personalvertretungs- und Betriebsratswahlen ersetzt im Regelfall innergewerkschaftliche Wahlvorgänge.

Das Partizipationsdefizit ist hingegen im ÖGB deutlich ausgeprägter als im DGB. Allein die Tatsache der innergewerkschaftlichen Wahlvorgänge, sowie das Prinzip und die Praxis der Ur-wahlen geben dem Mitglied einer der 17 Einzelgewerkschaften des DGB Mitbestimmungsmöglichkeiten, die in dieser ' Form im ÖGB nicht institutionalisiert sind.

Dieser Unterschied in der tatsächlichen Partizipation des einzelnen Gewerkschaftsmitglieds wird auch durch den unterschiedlichen Zentralisations-grad plausibel gemacht. Die größere Kopflastigkeit des ÖGB, sein Kompetenzüberhang gegenüber den Einzelgewerkschaften, vergrößert die institutionelle Distanz zwischen der Ebene der tatsächlichen Entscheidungen und der Ebene des einzelnen Mitglieds.

Die stärkere Position, die die deutschen Einzelgewerkschaften gegenüber ihrem Gewerkschaftsbund besitzen, kommt einem Näherrücken der Entscheidungsebene zur Mitgliedse'bene gleich.

Das Solidaritätsdefizit belastet den DGB und den ÖGB in ähnlichem Ausmaß. Die beiden dicht organisierten, relativ stark (DGB) beziehungsweise absolut stark (ÖGB) zentralisierten Gewerkschaftsbünde repräsentieren konfliktfähig organisierte Interessen.

Andere Interessen, die nicht ähnlich wirksam verbandsmäßig zusammengefaßt sind, treten demgegenüber in den Hintergrund. Gesellschaftliche Randgruppen, die keineswegs immer nur den Status kleiner Minderheiten besitzen, sind davon negativ betroffen: Gastarbeiter und Frauen sind dafür wohl die wichtigsten Beispiele.

DGB und ÖGB sind für ausländische Arbeitnehmergrundsätzlichoffen.Gast-arbeitern gelingt es jedoch im Regelfall nicht, über die Ebene des Mitglieds oder - äußerstenfalls - des Funktionärs der untersten Stufe hinauszukommen. DGB und ÖGB vertreten auch offen eine Politik, die im Konfliktfall die Interessen inländischer Arbeitnehmer über die Interessen der Gastarbeiter stellt.

Vom DGB und vom ÖGB wird der Grundgedanke vertreten oder zumindest akzeptiert, daß Arbeitslosigkeit im Zweifel immer zunächst die ausländischen Arbeiter zu treffen hat. DGB und ÖGB sind grundsätzlich solidarisch, unabhängig von der Nationalität.

Das Solidaritätsdefizit gegenüber Frauen wird schon durch die geringe Präsenz weiblicher Funktionäre in den Entscheidungsgremien demonstriert. Im DGB und im ÖGB ist der Anteil der Frauen umso geringer, je höher eine Ebene in der innergewerkschaftlichen Hierarchie ist; unter den Mitgliedern ist der Anteil der Frauen am größten, an der Spitze am geringsten.

Das Defizit an Solidarität wirft dann ernste Fragestellungen auf und berechtigt zu ebenso ernster Kritik, wenn der zugrundeliegende Demokratiebegriff expansiv ist, wenn das gewerkschaftlich herrschende Demokratieverständnis weit ist. ..

Solidaritätsdefizite mindern die Glaubwürdigkeit gewerkschaftlicher Politik, weil die demokratietheoretische Rechtfertigung weitgespannter gesellschaftspolitischer Forderungen dann willkürlich und beliebig klingt, wenn die Gewerkschaften in ihrem eigenen Bereich diese Ansprüche nicht verwirklichen.

Die Gewerkschaftsmacht, die DGB und ÖGB verwalten, kann nicht gerechtfertigt werden, wenn man von einem engen, formal verstandenen, auf Parlamentarismus und Parteien beschränkten Demokratieverständnis ausgeht.

Die Gewerkschaftsmacht ist dann zu rechtfertigen, wenn Demokratie weit und expansiv definiert wird, wenn der zentrale demokratische Wert der Gleichheit nicht bloß als formale Gleichheit vor dem Gesetz, sondern als inhaltliche Machtgleichheit interpretiert wird.

Dieser Zusammenhang verbietet an sich, innergewerkschaftliche Vorgänge als Privatangelegenheit von Vereinen gegenüber jeder Kritik abzuschirmen; verbietet auch, innergewerkschaftliche Entscheidungen bloß formal auf ihre Statuten- beziehungsweise Satzungsgerechtigkeit hin zu beurteilen; verbietet schließlich, die Stellung bestimmter Gruppen in den Gewerkschaften ausschließlich nach einer formal gewährleisteten Gleichstellung vor dem Gesetz, das heißt vor Satzungen und Statuten zu beurteilen.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Dieser Beitrag ist auszugsweise dem Kapitel „Gewerkschaften und Demokratie” entnommen, erschienen in:

GEWERKSCHAFTEN IM PARTEIENSTAAT. Ein Vergleich zwischen dem Deutschen und dem österreichischen Gewerkschaftsbund. Von Anton Pelinka. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1980, 210 Seiten, öS 524,-.

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