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Hier Brenner - hier Leber

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Während die Kubakrise und daran anschließend die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ die westdeutsche Öffentlichkeit beschäftigten, ist in deren Schatten in Westdeutschland eine innenpolitische Entscheidung von größter Bedeutung gefallen: Auf dem Kongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom 22. bis 27. Oktober kündigte sich ein grundsätzlicher Wandel der bisher starr gegen die soziale Ordnung der Bundesrepublik gerichteten Haltung des DGB an. Es kam zum erstenmal zu einer Machtprobe zwischen dem noch immer in marxistischen Klassenkampfparolen denkenden Vorsitzenden der Industriegewerkschaft (IG) Metall, Otto Brenner, und einer überraschend starken Gruppe von Gemäßigten, zu deren Sprecher sich der Vorsitzende der IG Bau und Erde, Georg Leber, machte. Hierbei trat zutage* daß der Gegensatz nicht taktisch bedingt, sondern grundsätzlicher Art ist.

Während Otto Brenner nur den Kampf gegen die von ihm abgelehnte, auf der Anerkennung des privaten Eigentums beruhenden sozialen Ordnung der Bundesrepublik kennt, geht Leber davon aus, daß es in den schwierigen und anfälligen Verhältnissen einer Industriegesellschaft auf eine Partnerschaft von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ankomme, mit deren Hilfe auftauchende Schwierigkeiten überwunden werden müßten. Das Stärkeverhältnis zwischen Brenners und Lebers Anhängerschaft ist zur Zeit etwa so: Zu Brenner und der IG Metall stehen die IG Chemie, Nahrung, Holz und Druck mit rund 2,9 Millionen Mitgliedern. Zu Leber und der IG Bau und Erde halten die IG Eisenbahn und Post mit zusammen 1,1 Millionen Mitgliedern, während die acht übrigen Gewerkschaften mit 2,3 Millionen Mitgliedern noch unentschlossen sind.

Stille Sozialisierung?“

Otto Brenner, der als der Vorsitzende der stärksten und einflußreichsten Gewerkschaft bisher eine unangefochtene Schlüsselstellung innehatte, geht davon aus, daß die einst auch von der CDU in ihrem Ahlener Programm geforderte Neuordnung der Besitzverhältnisse nach 1945 ausgeblieben sei. Durch eine unsoziale, die Besitzenden einseitig bevorzugende Steuergesetzgebung seien die Verhältnisse weiter zuungunsten der Arbeitnehmer verschoben worden, so daß deren Vermögenszuwachs in keinem Verhältnis zu den Lohnbewegungen der Arbeiterschaft gestanden hätte. Diese Tatsache wird von ihm also um so ungerechter empfunden, als der Wiederaufstieg der deutschen Industrie ohne die Opferbereitschaft der Arbeiterschaft nie in diesem Tempo hätte vor sich gehen können. Brenner glaubte diese Ungerechtigkeit durch Lohnbewegungen ausgleichen zu können. Er weiß, daß die geringe Kapitaldecke und der verschärfte Konkurrenzkampf der deutschen Industrie kaum die Möglichkeit läßt, gegen großangelegte Streikbewegungen Widerstand zu leisten. In einem im wahrsten Sinn des Wortes reaktionären Klassenkämpferdenken verhaftet, glaubt er an eine stille Sozialisierung durch Lohnbewegungen. Während eine Beteiligung der Arbeiterschaft am Besitz der Betriebe diese automatisch auch an dem Verlust beteiligen würde, geht die Lohnbewegung unabhängig von der wirtschaftlichen Lage vor sich und trifft gerade die Betriebe, die sich übertarifliche Leistungen versagen müssen. Im Zeichen einer langsam sich abschwächenden Konjunktur ist Brenner daher auch in der Vertretung der Forderung nach Besitz und Gewinnbeteiligung zurückhaltender geworden.

Die praktischen Ergebnisse einer solchen Politik zeigten sich vor einem Jahr beim Zusammenbruch des Borg-ward-Automobilkonzerns. Die mit ungenügender Kapitaldecke arbeitende Privatfirma kam durch zu große Investitionen in Schwierigkeiten, die schließlich deshalb zur Katastrophe führten, weil der Betrieb zu viele und mit zu großen sozialen Vergünstigungen bedachte Arbeiter beschäftigte und im entscheidenden Augenblick das Landesarbeitsamt größere Entlassungen von Arbeitskräften verweigerte. Aussichtsreiche Übernahmeverhandlungen anderer Autofirmen scheiterten an den zu hohen sozialen Forderungen des Betriebsrates. Der Versuch, den Betrieb in dem von Sozialdemokraten regierten Land Bremen in eine staatlich gelenkte Aktiengesellschaft zu verwandeln, bewies, daß der Weg der stillen Sozialisierung nicht möglich war. Es zeigten sich sofort die typischen Nachteile eines verstaatlichten Betriebes, der aus optischen Gründen weder Entlassungen in großem Umfang noch Senkungen der Soziallasten vornehmen kann. Aus den Arbeitern wurden Pensionäre, die drei Monate lang einen teuer bezahlten Dauerskat spielten, da eine Produktion bei den überfüllten Lagern sinnlos war. Nach also aufgebrauchten Reserven mußte schließlich das Konkursverfahren eröffnet werden. Wie wenig dieses sozialistische Abenteuer der tatsächlichen Marktlage entsprach, zeigt die Tatsache, daß zur Erhöhung der Konkursquote 1962 aus vorhandenen Teilen gefertigte Wasen trotz der Unsicherheit über eine Weiterproduktion reißenden Absatz fanden.

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