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Gewerkschaften und Kirche

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Für uns sechs österreichische Gewerkschafter war die Überraschung groß, als wir auf unserer Kreuzundquerfahrt durch die Vereinigten Staaten die lebhafte Teilnahme des Klerus am Gewerkschaftsleben beobachten konnten. Zuerst schien es, als wäre dies eine mehr optische Angelegenheit, eine Erscheinung, die an der Oberfläche bliebe. Aber in St. Louis, fast am Ende unserer Fahrt, lieferte der Lehrer an der katholischen Universität dieser Stadt, Professor Leo Browne S. J.„ uns Österreichern einen unwiderleglichen Beweis, wie weit und unbeschwert vom Reisegepäck einer bürgerlichen Tradition zumal cMe katholische Kirche in Amerika in die Berufsebene der Arbeiter vorstößt.

Die Überraschung wurde von allen beteiligten österreichischen Gesprächspartnern ehrlich zugegeben. Wenngleich ich nur von den Erfahrungen einer Reise, sozusagen gemacht im Vorbeifluge an den Wirkungsstätten der amerikanischen Gewerkschaften, berichten kann, so scheinen doch auch sie einer Feststellung wert.

In der kleinen Stadt Bethlehem im Staate Pennsylvanien besuchten wir Arbeiterwohnungen. Das Städtchen wird von der mächtigen Bethlehem Steel Company, der zweitgrößten amerikanischen Stahlgesellschaft, beherrscht. Eines Tages führte uns der Präsident der lokalen Stahlarb eitergewerkschaft zu Pfarrer Dr. Stiegler, dem Vorsteher einer kleinen lutheranischen Gemeinde. Den Kern unseres Gespräches bildete seine Stellung zu den Gewerkschaften. Seine Ausführungen erweckten unser Staunen. Schon vor dreißig Jahren nahm er an den meisten Versammlungen der organisierten Stahlarbeiter teil, eröffnete diese Versammlungen zufolge feststehender Sitte mit einem Gebet, ein Brauch, der in den medsten Gewerkschaften heute noch besteht. In kritischen Lagen, so bei Lohnkämpfen, geschah es, daß er von der Kanzel aus für die Sache der Arbeiter sprach. Bescheiden meinte er, sein Verhalten sie durchaus selbstverständlich.

Ein nicht minder eindrucksvolles Erlebnis hatten wir in Washington. Unser Sponsor, Dr. Steinbach vom Labour-Department, vermittelte uns eine Besprechung im Büro der National Ca-tholic Weifare Conference. Mit dem Leiter der sozialen Sektion dieser großen Zentralstelle katholischer Arbeit, Father M c G o w a n, und seinem Stellvertreter H i g g i n s, den wir aus Publikationen in der internationalen Gewerkschaftspresse kannten, unterhielten wir uns ausführlich über ihre Beziehungen zu den Gewerkschaften. Die moralische Unterstützung der Gewerkschaften durch die Kirche — erfuhren wir — erfolgt nicht auf einem bestimmten, konfessionell gebundenen Sektor. Nicht auf Grund einer Mitgliedschaft, sondern über Einladung der lokalen Organisationen nehmen die Seelsorger an Gewerkschaftsversammlungen teil, selbstverständlich sei es, daß auch die Vertreter anderer Bekenntnisse eingeladen werden. Die Zusammenarbeit unter allen sei brüderlich. Die Teilnahme ei nicht Staffage, sondern beruhe auch auf Mitberatung bei wirtschaftlichen und sozialen Problemen.

Diese an Informationen reichen Gespräche in Washington erhielten ihre Verdichtung, als wir beim gewerkschaftlichen AFL-Kongreß in Houston landeten. Wir unterrichteten uns aus den gedruckten Berichten über die beiden vorangegangenen Kongreßtage. Daraus war zu entnehmen, daß die feierliche Eröffnung mit einer Heiliiggeistandacht, und zwar mit der Pfingstsecruenz „Komm, Heiliger Geist“, begann. Die Andacht hielt ein vom Bischof von Galveston beauftragter katholischer Priester. Am zweiten Tag hielt ein Baptistenpriester eine kurze Andacht, und die folgenden Tage immer ein Vertreter einer anderen Religionsgemeinschaft.

In St. Louis hält der Professor Pater Leo Browne S. J. an der katholischen Universität auch Vorlesungen über das amerikanische Arbeitsrecht und G e-werkschaftskunde. Er war für uns so interessant, daß wir unsere Reise seinethalben unterbrachen. Der Professor

— ein ehemaliger Schüler des österreichischen Nationalökonomen Schumpeter

— beantwortete unsere Fragen so schlagfertig, wie dies bisher keinem Gewerkschaftsfunktionär gelang, P. Browne kennt nicht nur die Organisation der einzelnen Fachgewerkschaften, sondern auch ihre führenden Männer und ihre Probleme. Dann erzählte uns P. Browne von seinem eigenartigen Nebenberuf, der ihn mitten in das praktische Gewerkschaftsleben hmeinführt. Die amerikanische Bundesregierung hat vor einigen Jahren im Einvernehmen mit den Gewerkschaften und den Arbeitgeberorganisationen h u n-dertfünfzigSchiedsrichter bestellt. Diese Schiedsrichter oder Schlichter“ werden auf die in Amerika geltenden arbeitsrechtlichen Bestimmungen eingeschworen. Sie ersetzen in unbürokratischer Weise eine Reihe von Gerichten und Ämtern, sie üben ihr Amt ehrenberuflich und unabhängig aus und werden von den Streitteilen gemeinsam geholt. Der Spruch der „Schlichter“ ist unanfechtbar; es soll in den Vereinigten Staaten noch niemals vorgekommen sein, daß ein solcher Spruch nicht gehalten hätte. P. Leo Browne ist einer der hundertfünfzig Schlichter der Vereinigten Staaten. Mit ihm üben noch siebzehn andere Priester christlicher Bekenntnisse dieses Amt aus. In launiger Weise gab Professor Browne einen Uberblick über die bereits glücklich unter Dach und Fach gebrachten Fälle. Er berichtete und schilderte exakt und klar wie ein nüchterner Ingenieur, ohne gerade mit Zahlen und Statistiken zu operieren.

Wir sechs Gewerkschafter aus Österreich diskutierten noch lange über das Gehörte, zogen Vergleiche mit den Verhältnissen in der Heimat und waren sogar bereit, gewisse Schlußfolgerungen für. unsere eigene Arbeit zu ziehen. Freilich, die Skepsis meiner sozialistischen Kollegen ist noch groß.

Man wird glauben, daß die bezeichneten Beispiele einer brüderlichen Zusammenarbeit christlicher Kirchen mit den amerikanischen Gewerkschaften wohl zu dürftig seien, um als gewichtige Argumentein die Waagschale einer auf breiter Basis in Österreich geführten Diskussion geworfen werden zu können. Ich gebe das ohne weiteres zu. Wenn man aber die Stellung der amerikanischen Bischöfe zu den großen sozialen Problemen aufmerksam verfolgt, wird man feststellen, daß diese mitten im praktischen Leben stehenden Männer der Kirche unentwegt und konsequent immer sehr konkrete Ziele verkündeten. Es gelang ihnen, die Enzyklika „Rerum Novarum“ von Leo XIII. auf die amerikanischen Verhältnisse anzuwenden. Freilich haben sich die zwei großen Parteien und die großen ameri-kanischen Gewerkschaften (Splittergruppen sind in das Urteil nicht einbezogen) niemals irgendwelchen abendländischen Ideologien verschrieben. Ihre Gegensätzlichkeiten sind mehr an bestimmte Personenkreise gebunden. Niemals ist in den amerikanischen Gewerkschaften die Frage nach der Religions- oder Parteizugehörigkeit gestellt worden. Auch die D i s-kriminierung der Rassen hat durch die Gewerkschaften eine weitgehende Einschränkung erfahren. Wir Europäer sind gewöhnt, jede Ideologie gleichzeitig mit einer Weltanschauung, ja sogar mit einer Religion zu verbinden. Die Amerikaner haben darauf bewußt verzichtet. Sie verkünden nacht nur die

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