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Digital In Arbeit

Den Gürtel enger schnallen?

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„Scheinbar sind die Gewerkschaften heute einem ständigen Zwiespalt ausgesetzt, entweder nur lokal die Arbeiterinteressen der einzelnen Berufszweige zu vertreten oder allgemein Rücksicht auf gesamtwirtschaftliche Interessen zu nehmen. Beschränken sie sich nur auf ersteres, so üben sie nur eine Schutzfunktion aus, gehen aber einer Gestal-tungsfunktion, das heißt der Einflußnahme auf soziale und wirtschaftliche Veränderungen, verlustig. Zumindest in Mitteleuropa ist die Entscheidung längst zugunsten eines weiten Aufgabenbereiches der Gewerkschaften gefallen, allerdings wird es einige Zeit dauern, bis dieses Bewußtsein .in die Tiefe gedrungen ist und eine adäquate Handlungsweise nicht nur von den Spitzenfunktionären, sondern durchgehend gewährleistet wird.

Je größer der Einfluß der Gewerkschaften, desto durchschlagskräftiger kann ihre Lohnpolitik sein. Das verpflichtet sie zu Verantwortungsbewußtsein gegenüber Gesamtinteressen, darf jedoch keineswegs zu einer Einengung der Tarifautonomie führen, wie es heute verschiedentlich verlangt wird. Die schleichende Geldentwertung hat Überlegungen Raum gegeben, ob es nicht folgerichtig wäre, die Regierungen „in jene Entscheidungen einzuschalten, die, wie die Tarifverhandlungen, so stark die Kaufkraft der Währung beeinflussen“ *. Statt des bisherigen „Freistilringens“ um nur „minimale Verschiebungen“ des Anteils am Volkseinkommen soll eine Einschränkung der „Tarifhoheit“ der Wirtschaftspartner eintreten.

Können solche, letztlich dirigistische Maßnahmen von Vorteil sein? Die deutschen wie österreichischen Gewerkschaften vertreten den Standpunkt, daß die Lohndisziplin freiwillig sein muß und vor allem nicht von der Regierung diktiert werden darf, denn eine direkte oder indirekte staatliche Lohnpolitik würde nicht nur gegen die Grundsätze der Demokratie verstoßen, sie wäre gefährlich für die Position der Gewerkschaften, da sie die Vertrauensbasis erschüttern würde. Die bisherigen Erfahrungen in Österreich haben gezeigt, daß ein innerhalb des Gewerkschaftsbundes koordiniertes, nach dem Grundsatz der Solidarität ausgerichtetes Vorgehen in Lohn- und Gehaltsfragen in kritischen Situationen möglich ist, daß es mit der Regierungspolitik abgestimmt und in demokratischer Art und Weise an gesamtwirtschaftlichen Zielen orientiert werden kann.

Abgesehen davon, daß auch die Unternehmerseite eine direkte Einschaltung der Regierung nicht wünschen wird, wird sie die erforderliche Kompensation verbindlicher Richtlinien für die Festsetzung von Preisen und Gewinnen kategorisch ablehnen.

In diesem Zusammenhang muß auch bedacht werden, daß an der Demokratie Grundrechte der Arbeitnehmer, wie das Streik-recht, nicht angetastet werden dürfen. Welche Problematik würde entstehen, wenn die Arbeitnehmer die verbindlichen Richtlinien für die Festsetzung von Löhnen nicht akzeptieren? Da die Regierung in die Tarifverhandlungen eingeschaltet werden soll, weil „deren Ergebnisse entscheidend für die Wirtschaftspolitik der Regierung sind“,würde sich die Ablehnung und ein unter Umständen folgender Streikbeschluß gegen die Regierung richten. Dies wäre keineswegs dem Ansehen einer Regierung nützlich.

Umgekehrt muß die Frage erhoben werden, was in der Demokratie geschehen soll, wenn die Produzenten und Händler zwingende Maßnahmen auf dem Preissektor mißbilligen. In der Demokratie beruht jedwede Preis- und Lohndisziplin — mit der Anerkenntnis, daß sie ohnehin nie hundertprozentig sein kann — auf der Bereitwilligkeit der Interessengruppen, mitzutun. Hinter der Inflationsbekämpfung muß die Bereitschaft der Bevölkerung zur Mitwirkung stehen — und die kann nicht erzwungen werden. Dies ist eines der entscheidendsten psychologischen Momente, das berücksichtigt werden muß.

Weitaus entscheidender als eine staatlich gegängelte Lohnpolitik ist die Erkenntnis, daß Rentabilität in jeder Wirtschaftsform ein vorrangiger Faktor ist, der nur vereinzelt und ausnahmsweise aus existentiellen gesamtwirtschaftlichen oder auch politischen Überlegungen in den Hintergrund treten darf.

In Zeiten des Geldwertschwundes stehen wohl gebremster Reallohnanstieg, aber nicht Kaufkraftschwund im Katalog gewerkschaftlicher Inflationsbekämpfung. Das sind sicherlich von der wirtschaftlichen Warte her richtige Feststellungen, trotzdem darf objektiverweise nicht verkannt werden, daß jeder Gewerkschaftsverband über beträchtliche Autonomie verfügt und selbst in Österreich trotz zentralistischem Gewerkschaftsbund und Paritätischer Kommission die Gewerkschaften lebenswichtiger Bereiche, wie zum Beispiel in der Lebensmittelbranche, bessere Chancen haben, dem „Druck von unten“ nachzugeben und höhere Lohnforderungen durchzusetzen als in jenen Wirtschaftszweigen, wo ein Konflikt nicht unmittelbar eine breitere Öffentlichkeit betrifft. Ein besonderes Problem stellen die öffentlichen Angestellten dar, die ihre Gehaltsbewegungen dynamisch an den Index binden wollen und wenn das einmal gesichert ist, darüber hinaus von Zeit zu Zeit zusätzliche Gehaltsbewegungen führen, damit die gewerkschaftliche Daseinsberechtigung nicht in Vergessenheit gerät. So lange eben übers Ziel schießende Gewerkschaftsfunktionäre nicht nur unter Umständen widerstrebend kurzfristig, sondern für dauernd verbindlich zur Ordnung gerufen werden können, werden die Besonnenen in der Minderheit bleiben und Aktionen gegen den Geldwertschwund nicht die optimale Durchschlagskraft erreichen ...

Die Lohnpolitik wird in der nächsten Zukunft zu berücksichtigen haben, daß es das quantitative Wachstum zugunsten eines qualitativen zu beschneiden gilt. Die Lohnhöhe ist sicherlich für den Arbeitnehmer von grundlegender Bedeutung, aber mit ihr allein löst man weder das Klassenproblem noch das des menschlichen Glücks.

Stabilitätskonforme Lohnpolitik wie gezielter Kapitaleinsatz, um statt größtmögliches bestmögliches Wachstum zu erreichen, sind aber nur zwei Aspekte der Konjunktursteuerung, die anderen sind jene der Preispolitik und des Einsatzes der Arbeitskräfte.“

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