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Beamtenkammer — ja oder nein?

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In Nummer 9 der „Oesterreichischen Furche“ vom 27. Februar 1954 wurde unter obigem Titel erstmalig untersucht, was mit dem Vermögen des im Jahre 1938 aufgelösten Beamtenbundes (den Beamtenkammern) geschehen ist und was mit diesem Vermögen geschehen sollte. Dieser Artikel hat in Beamtenkreisen lebhaftes Echo hervorgerufen. Die Redaktion hat sich daher entschlossen, das Thema „Beamtenkammer“ zur Diskussion zu stellen.

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In Nummer 9 der „Oesterreichischen Furche“ vom 27. Februar 1954 wurde unter obigem Titel erstmalig untersucht, was mit dem Vermögen des im Jahre 1938 aufgelösten Beamtenbundes (den Beamtenkammern) geschehen ist und was mit diesem Vermögen geschehen sollte. Dieser Artikel hat in Beamtenkreisen lebhaftes Echo hervorgerufen. Die Redaktion hat sich daher entschlossen, das Thema „Beamtenkammer“ zur Diskussion zu stellen.

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Die „Furche“

Im neuen Oesterreich — zum Unterschied vom alten Oesterreich bis zum Jahre 1918 — besitzt eine der wichtigsten Berufsgruppen, nämlich die der öffentlich Bediensteten und der im richterlichen Dienst stehenden Beamten, keine gesetzliche Berufsvertretung. Weder die Beamten im engeren Sinne noch die Lehrer, Mittelschullehrer und Hochschullehrer sowie der Richterstand besitzen eine Körperschaft öffentlichen Rechtes, wie der Gewerbestand, der Bauernstand und die Arbeiterschaft sie in ihrer Kammer schon seit Jahren oder gar seit Jahrzehnten besitzen.

Fragt man nach dem Warum, ist man fast gezwungen, anzunehmen, daß die Beamtenschaft entweder nicht gewillt oder aber nicht fähig ist, sich freiwillig zu sammeln, sich zu einer Organisation zusammenzuschließen, um zu jenem Machtfaktor zu werden, der sie kraft ihrer Stellung im Staatswesen und ihrer beruflichen Befugnisse, aber auch ihrer großen Zahl nach längst sein sollte.

Eine Folge dieses — im Interesse des Staates sehr zu bedauernden — Zustandes der Ohnmacht des österreichischen Beamtentums ist bereits auf rechtlichem Gebiet das 3. Rückstellungsanspruchsgesetz. Dieses am 31. Jänner 1954 in Kraft gesetzte Bundesgesetz hat bekanntlich dem Oesterreichischen Gewerkschaftsbund unter anderem auch das Recht übertragen, namens des „Beamtenbundes“ die Ansprüche auf Rückstellung des entzogenen Vermögens gegen die derzeitigen Inhaber dieser entzogenen Vermögenschaften geltend zu machen. Der Gewerkschaftsbund hat nun fristgerecht bei der zuständigen Behörde, das ist die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, den Rückstellungsantrag eingebracht. Das Verfahren soll die Geschäftszahl VR 10.187/54 der Dienststelle für Vermögenssicherungs- und Rückstellungsangelegenheiten tragen.

Nach der Rechtslage kann damit gerechnet werden, daß dem Antrag auf Rückstellung des dem Beamtenstand entzogenen — und derzeit noch vorhandenen — Vermögens stattgegeben wird. Der Gewerkschaftsbund wird im Falle einer erfolgreichen Beendigung dieses Verfahrens nahezu das ganze Vermögen des seinerzeitigen Beamtenbundes in Besitz nehmen und auch in Besitz behalten dürfen. Nur je ein Sechstel des ihm zurückgestellten Vermögens wird der Gewerkschaftsbund gemäß 1, Abs. 1, des 3. Rückstellungsanspruchsgesetzes dem „Restitutionsfonds der Freien Gewerkschaften“ und dem „Restitutionsfonds der Zentralkommission der christlichen Arbeiter- und Angestelltenorganisationen Oesterreichs“ zu übertragen haben, wenn er nicht von seinem gesetzlichen Recht Gebrauch macht und den beiden Restitutionsfonds zwei Sechstel des rückgestellten Vermögens in Bargeld „mit dem Verkehrswert“ ablöst. Im letzteren Falle besäße zur Gänze, sonst nur zu vier Sechsteln der Gewerkschaftsbund das rückgestellte Vermögen des Beamtenbundes und seiner Gliederungen. Diese Tatsache, die durch ein Bundesgesetz geschaffen wurde und daher wohl nur durch ein neues Bundesgesetz abgeändert werden könnte, beleuchtet am besten die Situation, die Hilflosigkeit, in der sich die österreichische Beamtenschaft befindet. Dieser Zustand darf kein Dauerzustand bleiben. Man kann es mit Fug als Unrecht bezeichnen, wenn das Vermögen einer öffentlichrechtlichen Körperschaft, das aus unzähligen Beiträgen von Tausenden von Mitgliedern zusammengesetzt ist, einem Verein gesetzlich überantwortet wird, der weder die Funktion noch die Aufgabe hat und auch nicht haben kann, wie sie die Beamtenkammern bis zum Jahre 1938 gehabt haben. Das Vermögen der Beamtenkammern und des Beamtenbundes dürfte nur einer gleichartigen Körperschaft zufließen, nicht aber einem privatrechtlichen Verein, wie es der 1945 gegründete Gewerkschaftsbund ist.

Was sollte geschehen? Durch ein Bundesgesetz sollte für die Bundes-, Landesund Gemeindebediensteten, aber auch für die Angehörigen des Richterstandes eine gemeinsame autonome Kammer errichtet werden. Der jetzige Rechtszustand bevorzugt den Gewerkschaftsbund, benachteiligt aber gleichzeitig alle übrigen Vereine und Organisationen, die sich satzungsgemäß mit der Wahrung beruflicher Interessen ihrer beamteten Mitglieder zu befassen haben. Es gilt auch hier der Satz: Gleiches Recht für alle!

Die Beamtenschaft Oesterreichs stellt aus diesem Anlaß die berechtigte Frage: Was soll mit dem rückgestellten Vermögen des Beamtenbundes geschehen? Welche Pläne hat der Gewerkschaftsbund und welche die österreichische Bundesregierung?

Die Antworten auf diese Fragen sollten öffentlich, werden aber kaum öffentlich gegeben werden.

Dem Gewerkschaftsbund geht es darum, keine zahlenmäßig gleichstarke oder annähernd gleiche Organisation oder Körperschaft öffentlichen Rechtes erstehen zu lassen, die nicht seiner Kontrolle untersteht — sonst ist es mit der unbestrittenen Machtposition des Gewerkschaftsbundes im Staat, das heißt in der Zweiten Republik, vorüber. Dem Gewerkschaftsbund ist der jetzige Zustand der Desorganisation der österreichischen Beamten sämtlicher Gruppen sehr nützlich und recht. Sowohl ideell als auch materiell. E r wird nichts zu seiner Beseitigung tun. Der Gewerkschaftsbund steht gewissermaßen zwischen Regierung (Bundesregierung und Landesregierung) und Beamtenschaft als der lachende Dritte. Er herrscht auf Grund der in den Gewerkschaften organisierten Massen.

Die Bundesregierung hat ihrerseits auch kein Interesse, den heutigen Zustand der Schwäche der Beamtenschaft durch Schaffung einer einheitlichen, gesetzlichen Berufskörperschaft zu beseitigen. Es regiert sich leichter und einfacher ohne die gesetzliche Verpflichtung, eine Berufsorganisation der Beamtenschaft vor Erlassung von Gesetzen oder Verordnungen über Gehälter, Pensionen und dergleichen befragen zu müssen. Von der Regierung ist kaum eine Regierungsvorlage zu einem entsprechenden Gesetzentwurf zu erwarten. Wäre sie beabsichtigt müßte das künftige Gebilde der Kammer wieder den Koalitionsparteien — direkt oder indirekt — als Werkzeug dienen, statt der Beamtenschaft. Die Beamtenschaft, gemeint ist die verfassungstreue Beamtenschaft, beklagt diesen Umstand zutiefst.

Wie kann nun aber die bestehende Situation der Unorganisiertheit der Beamten- und Richterschaft beseitigt werden? Wohl nur, indem aus den Reihen der Beamtenschaft, darunter auch jener, die bis zum Jahre 1938 dem Beamtenbund als Pflichtmitglieder angehört haben, immer wieder der vernehmliche Ruf nach einer echten, den Berufsinteressen airein dienenden „Beamtenkammer“ erhoben wird. Es müßte sich beispielsweise ein Komitee bilden, das die rechtlichen Möglichkeiten prüft und mit berufenen Beamten einen Gesetzentwurf samt Durchführungsverordnung und einen Plan der finanziellen Bedeckung ausarbeitet und auf Grund des Petitionsrechtes dem Bundeskanzler überreicht. Die Beamtenschaft empfindet den gegenwärtigen Zustand, wo sich mehrere Vereine oder Organisationen namens ihrer Mitglieder bemühen, Gehör zu finden, als demütigend und unwürdig. Es soll eine, und zwar eine autonome, von den Beamten selbst geführte Kammer bestehen. Wie die Beamtenkammer geschaffen wird, ob durch ein Bundesgesetz oder durch die Erlassung einer Kundmachung über die Verwendung des rückgestellten Vermögens des Beamtenbundes, ist der Beamtenschaft ziemlich gleich. Die Beamten verlangen nur nachdrücklich von der Bundesregierung, daß noch im Jahre 1955 die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit eine Körperschaft öffentlichen Rechtes als allein zuständige Körperschaft für die Interessen beruflicher, wirtschaftlicher und sozialer Art der Beamten und der Richter endlich ihre Tätigkeit beginnen kann. ,

Was wären die Aufgaben einer „Kammer der Angehörigen des öffentlichen und richterlichen Dienstes?“

Die Kammer wäre Mitberater und Gutachter, aber auch Verfasser von Gesetzen bzw. Gesetzesentwürfen oder von Verordnungen der Bundes- und der Landesregierung. Ohne ihr Gehör könnten keine Rechtsnormen kundgemacht werden. Die Beamtenschaft bzw. Richterschaft hätte durch ihre in der Kammer sftzenden Vertreter die Gewißheit, daß nichts über ihren Kopf und ohne ihre Kenntnis beschlossen würde (konsultative und legislative Tätigkeit der Kammer).

Sie würde sich bei den laufenden Gesetzen über den Voranschlag des Bundes, der Länder oder der Gemeinden praktisch auswirken. Der Dienstpostenplan, der einen Bestandteil des jährlichen Finanzgesetzes bildet, ist der Schlüssel für Aufnahme, für Beförderung und für den Abbau oder die Entlassung des Bundes-, Landesoder Gemeindebeamten. Die „Beförderungsrichtlinien“ sind jetzt keinem Beamten — wenn er nicht im Personalbüro oder in der Personalabteilung sitzt — zugänglich und daher auch unbekannt. Die Anwendung des Ermessens, wer befördert wird und wann jemand befördert wird, liegt häufig im Bereiche „der Politik“, nämlich der politischen Parteien, welche die Regierung stellen. Das ist ein Zustand, der nicht demokratisch ist. Denn es werden nur jene gewürdigt, von denen man weiß oder annimmt, daß die Bewerber im Lager der „Koalition“, wenn nicht gar einer bestimmten politischen Partei stehen. Eine weitere Aufgabe der Kammer wäre die Förderung der Mitglieder, die Ausbildung des Nachwuchses, der jungen Beamten und Beamtenanwärter durch Errichtung von Büchereien, durch Veranstaltung von Prüfungsund sonstigen Fachkursen. Zur Förderung gehört auch die Berufsauslese. Die Auslese wird dadurch gefördert werden können, daß man es dem befähigten Beamten — der meistens unbemittelt ist — ermöglicht, seine wissenschaftlichen Arbeiten kostenlos zu schreiben und mit finanzieller Unterstützung seiner Kammer auch veröffentlichen zu lassen. Auf diese Weise bestünde für den unbemittelten Beamten wieder die Möglichkeit, sich durch Publikationen fachlicher oder wissenschaftlicher Art einen Namen zu machen und damit auch vorwärtszukommen. Das häufig vermißte Niveau würde wieder entstehen oder in die Beamtenschaft zurückkehren.

Endlich wird es Aufgabe der Kammer sein, die Verwaltungsüberschüsse für bedürftige Beamte und ihre Angehörigen zu verwenden. (Soziale Tätigkeit der Kammer.) Daß solche Ueberschüsse erzielt werden können, hat die Gebarung der aufgelösten Beamtenkammern gezeigt. Das Barvermögen betrug 1938 mehrere hunderttausend Schilling!

Was liegt näher, als daß sich die Kammer bereit erklärt, die fachlichen Arbeiten ihrer Mitglieder in eigenem Verlag herauszugeben. Die Kammer wird daher auch berechtigt sein müssen, Verlagsrechte zu erwerben und auszuüben. (Berufsfördernde und ausbildende Tätigkeit der Kammer.)

Der geistige Schrumpfungsprozeß und der Mangel an geeignetem Nachwuchs im öffent-'ichen Dienst würde bald beseitigt sein. Der ;unge wie der alte, der hohe wie der niedere Beamte würde wieder ein Standesbewußtsein besitzen und würde nicht mehr, wie bisher, resigniert erklären, um mich kümmert sich niemand. Es ist daher sittliche und berufliche Pflicht, die Bestrebungen der Beamtenschaft zur Bildung einer gesetzlichen Berufsvertretung (Kammer) in jeder verfassungsmäßig zulässigen Weise zu fördern.

Alles spricht für, nichts gegen die Schaffung einer Kammer. Warum wird sie nicht geschaffen, wer verhindert sie? Sie bedeutet keine wesentliche Belastung für den Bundes- oder Landeshaushalt. Als autonome Körperschaft verwaltet und erhält sie sich selbst. Die große Anzahl ihrer Mitglieder — wozu ja auch die im Ruhestand stehenden Personen gehören — bringt durch relativ unbedeutende Beiträge die zur Erhaltung der Kammerorganisation erforderlichen laufenden Mittel auf. Die Summe der Beiträge würde, wie das Beispiel Beamtenbund beweist, ausreichen, für die angedeuteten Zwecke Mittel zu reservieren. Die Beiträge würden monatlich nicht höher sein, als sie im Beamtenbunde im Jahre 1937 gewesen sind. Sie würden zwischen 0,15 und 0,30 Prozent des monatlichen Gehaltes bzw. der Ruhe- oder Versorgungsgenüsse liegen. Dieser Betrag ist gering und geringer als jener, den der Beamte oder Ruheständler jetzt auf Grund freiwilliger Mitgliedschaft bei Vereinen leistet, weil er sich von ihnen Hilfe in seinen Anliegen erhofft.

Möge das Gesagte alle jene zu einer Aeuße-rung in Presse oder Rundfunk anregen, denen der österreichische Beamtenstand und damit auch das Gedeihen des Vaterlandes am Herzen liegt, aber auch jene, welche sich berufen fühlen, im Interesse des österreichischen Staates die Lücke der beruflichen Organisationen zu schließen. „Die Oesterreichische Furche“ wird gerne weiteren Erörterungen dieser Frage ihre Blätter leihen. GGG.

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