6634971-1957_09_07.jpg
Digital In Arbeit

Die große Zeit der freien Berufe vorbei

Werbung
Werbung
Werbung

Der Plan eines Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes für alle freien Berufe, wie ihn die SPOe in Vorschlag brachte, hat u. a. auch die Rechtsanwaltskammern auf ihren beiden letzten ständigen Vertreterversammlungen beschäftigt. Der Gesetzentwurf wird, ähnlich wie von den Ingenieur- oder Aerztekammern, auch von der Rechtsanwaltskammer abgelehnt. Der Grund dafür ist darin zu suchen, daß der Großteil der freiberuflich Tätigen (Musiker, Schauspieler, bildende Künstler, Artisten, freie Journalisten, Schriftsteller, Tierärzte usw.) ein geringeres Einkommen hat und daher die günstiger Gestellten (Wirtschaftstreuhänder, Rechtsanwälte, Patentanwälte, freiberuflich tätigen Ingenieure) im Falle einer solchen Zwangsversicherung sehr hohe Beiträge leisten müßten, um die oben erwähnten Einkommensgruppen zu erhalten. Die Beiträge der Rechtsanwälte, Aerzte usw. seien — so wird weiter argumentiert — mit Sicherheit einzutreiben, während Beiträge von Filmschauspielern, freien Journalisten usw. praktisch selbst dann nur schwer einzubringen wären, wenn im Einzelfall hohe Einkünfte vorliegen. Fast möchte man sagen, dies sei naturgegeben. Die Beiträge der besser situierten freien Berufe würden für den einzelnen Berufsangehörigen empfindlich hoch sein — man hörte die Zahl von 500 S für Aerzte und Rechtsanwälte im Monats durch- schnįtt. Schließlich wird jeder Zwang abgelehnt.

Die gesetzliche Pflichtversicherung für die Angehörigen der freien Berufe kann allerdings nur dann mit Erfolg abgewehrt werden, wenn für das ganze Bundesgebiet für einen Berufsstand, der ablehnen will, bereits eine Altersversorgung auf autonomer Grundlage besteht. Daher die intensiven Beratungen in den Kammern seit Frühjahr vorigen Jahres. Sehr leicht sind aber solche Einrichtungen nicht zu schaffen, da auch unter den als gut verdienend geltenden freien Berufen ein durch Ueberfüllung oder durch andere Faktoren (Krankenkassen bei den Aerzten) stets wachsendes Absinken des Realeinkommens des einzelnen Berufsgenossen zu beobachten ist. Bei praktischen Aerzten kommt es heute schon vor, daß sie nach Absetzung der laufenden Ausgaben für Steuern und berufsnotwendigen Aufwand nicht viel mehr verdienen, als zu einem standesgemäßen Leben notwendig ist. Daß die Fachärzte gut verdienen und ein relativ hohes monatliches Bruttoeinkommen habejfciksaki daSi BiMflfch wesentlich iadfhelftrr.’ Der GfcefSrete gibJPfe’e’fficHt,¥ehr vWte!-sie fflrgMi1 dafür auch große Verantwortung. Bei den Rechtsanwälten ist es ähnlich. Die starke Ueberbesetzung des Berufs bei gleichzeitigem Wegfall bedeutender Agenden an die Rechtsberater der Arbeiferkammern, des Gewerkschaftsbundes und der Handelskammern sowie an die Buchsachverständigen und Steuerberater, hat zu einer weiteren Einkommensschmälerung geführt.

Man müßte älsö meinen, daß die Rechtsanwälte selbst Interesse daran hätten, ihre eigene Altersversorgung auf einer Grundlage auszubauen, die eine ausreichende Altersversorgung sichert und gleichzeitig das drohende Zwangsgesetz verhindert. Dem ist aber nicht so. Die Anläufe zu einer bundeseinheitlichen Regelung scheiterten, als die Tiroler Anwaltskammer im Dezember 1956 beschloß, etwas Eigenes zu schaffen. Die eifersüchtig gehütete Autonomie jeder einzelnen Kammer (nur für Wien, Niederösterreich und das Burgenland gibt es eine über die Bundeslandgrenze hinausreichende Anwaltskammer) führte dazu, daß die rund 2500 Rechtsanwälte Oesterreichs keine einheitliche Versorgungseinrichtung zustande brachten. Dabei wären mit einem Monatsbeitrag von 200 bis höchstens 250 S doch einigermaßen tragbare und brauchbare Leistungen erzielt worden, zumindest Leistungen, die nicht hinter dem Zurückbleiben, was die innerösterreichischen Anwaltskammern schon jetzt an Versorgungsgenüssen auswerfen.

Da seit kurzem auch in Vorarlberg eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung besteht, haben in ganz Oesterreich die Anwälte eine Altersversorgung, so daß es sich vermeiden lassen wird, die Anwaltschaft unter ein SPVG, also eine staatliche Zwangsversicherung, zu zwingen, das sie entschieden ablehnt. Man muß aber bemerken, daß alle diese Versorgungseinrichtungen und Unterstützungskassen der einzelnen Anwaltskammern aus versicherungsrechtlichen Gründen (Vorschrift der Ansammlung von Deckungsfonds, staatliche Aufsicht usw.) ihre Leistungen nicht verbindlich Zusagen, son dern ohne Rechtsanspruch darauf erbringen. Diese Leistungen sind also im Grunde äußerst bescheiden. Sie liegen, unter Berücksichtigung des Berufsstandes, unter den Renten des ASVG.

Woher kommt das?

Bei den Anwälten ist ein bemerkenswerter Mangel an beruflichem Solidaritätsgefühl zu verzeichnen, vor allem die jungen Anwälte der Wiener Kammer weisen mit Entrüstung die Zumutung von sich, „für die alten Anwälte zu sorgen”. Aber: Werden nicht auch sie selber alt? Noch befremdender ist der Beschluß der Tiroler Anwaltskammer vom Dezember 1956, der die einheitliche Versorgungseinrichtung für ganz Oesterreich eigentlich erst zu Fall brachte. Diesem Beschluß zufolge bekommen Anwälte, die bei Inkrafttreten der Versorgungseinrichtung bereits 60 Jahre alt sind, im Versicherungsfall nur 75 Prozent der vorgesehenen Rente, welcher Abgang sich bei höheren Altersstufen erhöht und bei Anwälten über 78 Jahre dazu führt, daß diese überhaupt keine Rente bekommen, weder für sich noch für die Hinterbliebenen. Da in fast allen Kammern der Genuß der Rente davon abhängig gemacht wird, daß der Anwalt auf die Ausübung des Berufes verzichtet, dienen die bestehenden beziehungsweise noch geplanten Versorgungseinrichtungen eigentlich nur der Sicherung des Existenzminimums, schützen aber schon nicht vor der Verproletarisierung.

Der beinahe verzweifelte Kampf, den vor allem die älteren Anwälte in den vorerst noch von ihnen gesteuerten Anwaltskammern (Ueber- alterung ist durchweg zu beobachten) für ihre Alters- und Hinterbliebenenversorgung führen, zeigt mit großer Deutlichkeit, daß in Oesterreich die große Zeit der freien Berufe (soweit sie nicht der gewerblichen Wirtschaft angehören) vorbei ist. Die Gründe dafür sind mannigfach, liegen aber nicht nur in der Ueberbesetzung des Berufsstandes. Sie liegen tiefer, vor allem darin, daß seit dem März 1938 die staatliche Gesetzgebung konsequent den freien Berufen die Luft zum Atmen schmälert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung