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Des Kaisers alte Kleider.

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Nächste Woche soll im Nationalrat über einen Gesetzesantrag abgestimmt werden, der eine seltsame Geschichte hat — auf ihre Weise eine Strähne in der Geschichte der Zweiten Republik. Der Titel des beabsichtigten Gesetzes lautet: Bundesgesetz vom ... über die Anrechnung von Ruhestandszeiten und über die Gewährung von Zulagen an Bundesbeamte (Zwischenzeitengesetz).

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Nächste Woche soll im Nationalrat über einen Gesetzesantrag abgestimmt werden, der eine seltsame Geschichte hat — auf ihre Weise eine Strähne in der Geschichte der Zweiten Republik. Der Titel des beabsichtigten Gesetzes lautet: Bundesgesetz vom ... über die Anrechnung von Ruhestandszeiten und über die Gewährung von Zulagen an Bundesbeamte (Zwischenzeitengesetz).

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Die Vorgeschichte beginnt im April 1945 mit einem anderen damals erlassenen Gesetz, das gleichfalls die österreichische Beamtenschaft betraf. Es war das sogenannte Beamten-Überleitungsgesetz (BÜG), dessen eigentlicher Name seinen Zweck schnell erkennen läßt: Gesetz zur Wiederherstellung österreichischen Beamtentums. Es geht von dem Grundsatz aus, daß „ ... bei der Bildung der Personalstände allen Erwägungen das zwingende Staatsinteresse vorgeht, eine der Republik ergebene, nach Gesinnung und Haltung einwandfrei österreichisch-demokratische Beamtenschaft zu schaffen“ (6, Absatz 1 des BUG). In weiteren Absätzen wird ziemlich klar ausgesprochen, daß die Gesetzgeber hiermit beabsichtigen, jene Beamten, die sich mit dem nationalsozialistischen deutschen Regime identifiziert hatten, aus der Verwaltung und Exekutive auszuscheiden.

Was in nicht unerheblichem Maße geschah.

Wie das aber in Österreich schon so geht, hatte man späterhin ein „Einsehen“ mit vielen dieser Beamten, und sie wurden nach und nach wieder in Dienst gestellt, insbesondere nach der für ehemalige NS-Fartei-mitglieder im Staatsdienst erlassenen Amnestie im Jahre 1948. Alierdings wurde auch dabei in den erläuternden Bemerkungen des Gesetzes darauf hingewiesen, daß jene Beamte, die am 13. März 1938 in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zum Bund gestanden waren und nach dem 27. April 1945 in den Ruhestand versetzt und später wieder in den Dienststand aufgenommen wurden, nicht damit rechnen könnten, daß ihnen die Im Ruhestand verbrachte Zeit für die Vorrückungen und für die Bemessung des Ruhegenusses angerechnet werden werde.

Des Kaisers neue Kleider

Dennoch bemühten sich mit dem Nationalsozialismus immer noch verhangene Kreise im Laufe der späteren Jahre, die dem Dritten Reich erwiesene Loyalität und Dienste als völlig legitim darzustellen und somit auch dessen außerdienstgestellte Anhänger zu „Opfern“ und „Geschädigten“ zu befördern, denen Unrecht angetan worden sei. Es genügte ihnen nicht, daß jene wiedereingestellt worden waren, sie wollten für sie auch noch eine Extraprämie. Als Frucht dieser Bemühungen wurde uns im Jahr 1967 der Entwurf für das schamhaft umschriebene „Zwischenzeitengesetz“ präsentiert. Er stieß in weiten Kreisen auf scharfe Ablehnung, und zwar nicht nur von ehemaligen antinazistischen Widerstandskämpfern, sondern auch von öffentlichen Körperschaften und nicht wenigen Abteilungen der staatlichen Verwaltung. Der höchste Beamte Österreichs, der seither verstorbene Präsidialist des 'Bundeskanzleramtes, Sektionschef Cha-loupka, formulierte seine Ablehnung damals in einer klassischen Aktennotiz: „Das wäre eine Wiedergutmachung, wo nichts wiedergutzumachen ist. Diesen Beamten ist nicht Unrecht, sondern Recht geschehen.“ So sahen sich die Initiato-

ren des Gesetzentwurfes schließlich gezwungen, diesen in die Lade zu legen. Einstweilen. Nur einstweilen, denn nun ist er wiederauferstanden und auf noch nicht ganz geklärte Weise vor dem Budget- und Finanzausschuß und dessen Unterausschuß ins Parlament gelangt und hat die beiden ersten auf ebenfalls mysteriöse Weise passiert. Zum Mysterium: Natürlich gibt es bei beiden großen Parteien Funktionäre und Abgeordnete, die bei der ganzen Sache ein schlechtes Gefühl haben. Derzeit neigen sie dazu, es zu unterdrücken, einem Mechanismus folgend, der dem in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern gleicht: jeder nimmt sie als vorhanden an, obwohl es sie nicht gibt und der Kaiser unbekleidet einher schreitet. So wie dort fürchtet jeder der Umstehenden, sich unbeliebt zu machen und den wahren Verhalt preiszugeben.

Ohne Begutachtung

Eine gewisse Rolle spielt dabei auch, daß dieses Kaisers Kleider schon ziemlich abgetragen sind. Ein neuer Gesetzesvorschlag muß an sämtliche interessierte Körperschaften und Institutionen zur Begutachtung ausgeschickt werden. Das ist 1967 geschehen, und er wurde von vielen abgelehnt. Nun glaubte man sich das ersparen zu können, weil es sich ja nur sozusagen um eine revidierte Auflage handelt — soweit revidiert, daß die Ablehnung sich aufhebt und man Einverständnis voraussetzen kann. Leider ist es aber an dem, daß zwischen der alten abgelehnten Fassung und der „revidierten“ neuen überhaupt kein Unterschied außer in einigen formalen Änderungen und Berücksichtigunigen unterdessen er-

lassener Gesetze besteht. An der Grundlage, am Inhalt, am betroffenen Personenkreis hat sich nichts geändert. Da den Institutionen nichts Neues zukam, brauchten sie auf nichts reagieren. Somit hatte auch die Presse nichts zu vermelden. Protestbriefe des „Sozialistischen Freiheitskämpfers“ an Parteivorstand und die Genossen im Finanzausschuß des Parlaments konnten anscheinend aus Zeitmangel bisher nicht erledigt werden... So ähnlich vermutlich auf der anderen Reichshälfte. Und außerdem stehen doch wieder Landtags- und Nationalrats'uxih.len bevor. Das aber ist in dieser Sache wohl das verfehlteste Argument. Wie die Dinge derzeit liegen, könnte nur die FPÖ durch die Annahme dieses Ge-setzvorschlages bei den Wahlen profitieren. Es ist paradoxerweise möglich, daß die FPÖ trotzdem im Parlament dagegen stimmt, um Salz In die Wunden der Großen zu streuen und darzuton, wieviel mehr ehemalige Nazis sie in den benefizierenden Personenkreis aufnehmen würde. Die bislang uniter den Wählern der Großparteien versprengten „Ehemaligen“ jedoch würden in der Annahme des Vorschlages ein kleines Morgenrot, einen Anbruch politischer Rehabilitierung erblicken. Und FPÖ wählen.

Wo ist das Kind, das da ruft: „Er hat ja gar nichts an!“?

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