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Das trojanische Pferd und die gelenkte Kunst

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Die Geschichte begann im Jahre 1945. Damals kam von der Genossenschaft dramatischer Schriftsteller ein bemerkenswerter Vorschlag: alle Verbände, die den Interessen der schaffenden Künstler, also der Schriftsteller, Komponisten und bildenden Künstler dienen, sollten in einer Art Dachorganisation, einer Urheberunion, zusammengeschlossen werden, um so, viribus unitis, ihre zentrale Aufgabe, den Schutz der geistigen Leistung, besser verwirklichen zu können.

Bald darauf kam der Gewerkschaftsbund mit einem Gegenvorschlag heraus: Nicht eine Urheberunion, nein, eine Kunstkammer wäre das Richtige. Ein ausführliches Projekf wurde vorgelegt. Dieses sah eine hierarchische Ordnung von Fachausschüssen, Fachgruppen und Fachverbänden mit den dazugehörigen Kunstfunktionären vor. In diese Kunst- kampier sollten aber nicht nur die schaffenden Künstler, sondern auch die ausübenden Künstler und die Unternehmer, Verleger, Filmhersteller Eingang finden, so daß schon dadurch der primäre Zweck der Urheberunion, nämlich die schöpferische Arbeit zu schützen, vereitelt erschien. Das Projek dieser Kunstkammer mit den daneben vorgesehenen „Aufnahmeprüfungen“ und „Berechtigungsscheinen“ erweckte Erinnerungen an die Reichskulturkammer unseligen Angedenkens und stieß auf allgemeinen Widerstand. Daraufhin wurde der Plan zu den Akten gelegt, aber nicht vergessen.

Im März 1951 wurde im Nationalrat eine Regierungsvorlage über die Urheberunion eingebracht. Diese Regierungsvorlage, die auf einen im April 1950 vorgelegten Vorschlag, der in der Hauptsache von der Genossenschaft dramatischer Schriftsteller ausgearbeitet worden war, zurückgeht, wurde bis heute nicht beschlossen und erlangte nie Gesetzeskraft. Sie scheiterte am Widerstand der sozialistischen Fraktion.

Zum Wirkungskreis der geplanten Urheberunion, die seinerzeit vor allem von NR. a. D. Univ.-Prof. Ludwig unterstützt wurde, sollten insbesondere alle gesetzlichen und verwaltungsbehördlichen Maßnahmen gehören, welche die von ihr vertretenen geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen ihrer Mitglieder berühren, daneben das Recht, Anträge zu stellen, gutachtlich Stellung zu nehmen und eigene Vorschläge für Maßnahmen dieser Art zu erstatten sowie mit Interessenvertretungen von Werknutzungsberechtigten Normverträge und Richtlinien zu vereinbaren und für deren Einhaltung zu sorgen.

Die Aktionsfähigkeit der Urheberunion schien dadurch, daß Verfahrensfragen und Wahlakte auf ein Minimum beschränkt waren, und durch die relativ kleine Zahl von Mitgliedern (darunter unter anderen der jetzige „Oesterreichische Schriftstellerverband“, der „PEN-Club“, die „Genossenschaft dramatischer Schriftsteller“, der „Verband der geistig Schaffenden“, die »Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und Journalisten“, die „Berufsvereinigung bildender Künstler“) gewährleistet. Sie hätte nach dem bestehenden Plan praktisch nichts gekostet, keine riesigen Mitglieder- und Wahlkarteien und keinen Verwaltungspalast erfordert.

Im Juni 1953 rückte nun der sozialistische NR. Dr. Zechner mit einem Gegenvorschlag heraus, den er den einzelnen an der Urheberunion interessierten Vereinigungen zur Kenntnis brachte. Sollten die Vereinigungen den von ihm vorgeschlagenen „geringfügigen“ Abänderungen zustimmen, dann würde er sich für eine Annahme der Urheberunion noch in der laufenden Session des Nationalrates einsetzen. Es fand zunächst eine interne Besprechung statt, doch entschloß man sich, die Vorschläge eingehend zu prüfen und auf schriftlichem Wege weiter zu diskutieren.

Die wesentlichsten Abänderungsvorschläge, die der Entwurf Dr. Zechners enthielt, waren folgende: Die vier Kurien, Wissenschaft, Literatur, Musik und Bildende Kunst, sollen nicht bloß zu Wahlzwecken zusammentreten, sondern ständige Institutionen mit selbständigem Entscheidungsrecht werden. Neben der Verbandsmitgliedschaft soll auch eine Einzelmitgliedschaft möglich sein. Die Geschäfte sollen nicht, wie in der Urheberunion vorgesehen, turnusweise von den einzelnen Vereinigungen geführt werden, sondern die zahlenmäßig stärkste Gruppe (das wäre die „Berufsvereinigung bildender Künstler“ gewesen) soll ständig den Vorsitz führen. In den einzelnen Kurien soll ein Verhältniswahlrecht, also eine Art Proporz, zur Ermittlung der „Funktionäre“ dienen. Beiträge zur Kostendeckung sollen eingehoben werden.

Alle diese Abänderungsvorschläge liefen darauf hinaus, daß die bestehenden Einzelverbände zerpflückt und damit als Interessenvertreter nach und nach ganz verschwinden sollten. Uebrigbleiben sollten nur die Kurien der Urheberunion. Da das Majoritätsprinzip — nicht zuletzt eiqe Folge der Einzelmitgliedschaft — zu gelten hätte, würde die Quantität über die Qualität triumphieren. Man sieht: Namen und Titel wären die gleichen geblieben wie im ursprünglichen Entwurf, aber mit gänzlich anderen Funktionen. Hinter der Fassade einer Urheberunion hätte sich nichts anderes verborgen als die alte Kunstkammer. Aus Pegasus wäre ein trojanisches Pferd geworden, in dessen Inneren sich ein Rudel eifriger „Rpnstfurilc- tionäre“ verborgen hätte, begierig, Troja zu kolonisieren. Die Folgen solcher Kolonisationstätigkeit sind aus den Zeiten der weiland Reichskulturkammer zur Genüge bekannt: Es ist die durch einseitige Förderung und Auftragserteilung von oben gelenkte „Kunst“.

Während einige der in Frage stehenden Vereinigungen dieses Projekt eines „trojanischen Pferdes“ eindeutig ablehnten, versuchte die Berufsvereinigung der bildenden Künstler, offenbar in der Meinung, daß eine Urheberunion mit Schönheitsfehlern besser sei als gar keine, eine Vermittlersteliung zwischen den Verbänden und NR. Doktor Zechner einzunehmen. Die Vereinigung sozialistischer Schriftsteller und Journalisten, vertreten durch Rudolf Brunngraber, hielt sich aus der Diskussion heraus. Gegenwärtig ist es still um die Urheberunion geworden; beängstigend still. Fast könnte man erwarten, daß die Danaer noch einmal versuchen werden, das Pferd andersherum aufzuzäumen.

In Oesterreich schaffen rund 50.000 Personen urheberrechtlich geschützte Werke und bestreiten davon ganz oder teilweise ihren Lebensunterhalt. Die Arbeitsgemeinschaft für Kunst und Wissenschaft, die die Interessendieses Personenkreises wahrnimmt, hat die Verwirklichung der Urheberunion auf ihr Forderungsprogramm gesetzt, um eine zentrale Vertretung der gemeinsamen Berufsinteressen zu ermöglichen. Eine solche Vertretung, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes sein müßte, erscheint nicht nur für den internationalen Verkehr von Bedeutung, sondern auch als Partner für Verhandlungen in Sozialfragen.

Es erscheint höchst bedauerlich, daß, während die zweite Regierungspartei offensichtlich dieser Angelegenheit größtes Augenmerk zuwendet, kein Abgeordneter auf den Bänken der ersten Regierungspartei sitzt, der den Gedanken der Urheberunion mit Nachdruck vertreten könnte. Univ.-Prof. Ludwig gehört nicht mehr dem Parlament an. Univ.- Prof. Gschnitzer ist schwer erreichbar und in erster Linie wohl doch für Fragen der Wissenschaft und nicht der Kunst zuständig. So kommt es, daß im Hohen Hause praktisch niemand das schöpferische Oesterreich vertritt. Ein Zustand, der für die Zukunft nicht viel Gutes erwarten läßt.

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