6599175-1953_26_02.jpg
Digital In Arbeit

Im Kampf um ein der Kultur würdiges Budget

Werbung
Werbung
Werbung

Zwischen der Arbeitsgemeinschaft für Kunst und Wissenschaft und den 139 ihr angeschlossenen Verbänden ist abgesprochen worden, daß kämpferische Maßnahmen, Demonstrationen und Kundgebungen aus taktisdien Gründen in breiter Front offensiv durchzukämpfen sind. Dadurch kann der einzelne Verband, der ja auch viel zu schwach wäre, um eine Beachtung seiner Forderungen zu erzwingen, weiterhin ungestört seine rein wissenschaftlichen und künstlerischen Ziele verfolgen. Die Arbeitsgemeinschaft als solche dagegen hat beschlossen, im brennenden Kampf um ein kulturwürdiges Budget vorerst verschiedene Kundgebungen durchzuführen, deren erste der Nötring der wissenschaftlichen Verbände gemeinsam mit der Sektion der Mittelschullehrer der Gewerkschaft der öffentlich Bediensteten am 10. Juni im Auditorium maximum der Universität veranstaltet hat. Obwohl der Juni für solche Unternehmungen keine günstige Zeit mehr ist, hat sich dieser Versuch, einen gewissen Druck durch die öffentliche Meinung auszuüben, nicht länger hinausschieben lassen, weil das Budget in verschiedenen Ministerien bereits vorbereitet wird.

Mit Recht verlangte Prof. Dr. M a r i-nelli, der Leiter der Versammlung, eine grundsätzlich andere Einstellung bei Festlegung des Haushaltplanes, da die Ansprüche von Kunst und Wissenschaft a priori unterbewertet worden sind. Wie der Notring in einer Pressekonferenz vor der Kundgebung darlegte, haben Niederösterreich bzw. Wien nur 0,8 bzw. 0,9% ihres Gesamtbudgets für Kunst und Wissenschaft übrig, was in sonderbarem Gegensatz dazu steht, daß 10 0 Millionen Schilling für eine Sporthalle ausgeworfen werden, nachdem die Sportverbände aus dem Erlös des Totos bereits 37 Millionen Schilling erhalten haben. Wie verträgt es sich damit, daß für 500 Privatdozenten nur insgesamt 9000 S vorgesehen wurden und die ohnedies unzulängliche Dotation der Hochschulinstitute bis zu 50% verringert wird? Wollen unsere wissenschaftlichen und künstlerischen Verbände ihren traditionellen Verpflichtungen in bescheidenem Maße nachkommen, so bleiben sie weiterhin auf Bettelei angewiesen.

Der Hauptredner, der Direktor des Akademischen Gymnasiums Dr. Mayer, führte aus: „Wir sind eigentlich gekommen, um ein höheres Kulturbudget zu fordern, und nun müssen wir uns gegen den Abstieg des jetzigen zur Wehr setzen.“ Dabei wollte die Kundgebung, wie der andere Hauptredner, Prof. DDr. Kerschagl, namens des Notringes in einer herzlich aufgenommenen Ansprache erklärte, nicht gegen, sondern für das Unterrichtsministerium auftreten. „Landgraf,

werde hart“, so rief er dem Herrn Minister zu, wenn es um die Bemessung des Kulturetats geht! Prof. Dr. Dr. h. c. Marx als Präsident des Komponistenbundes, Prof. Dr. D. W o 1 f f als Vorsitzender der Sektion Hochschullehrer, und Senatspräsident Dr. Frieberger als Präsident der Genossenschaft dramatischer Schriftsteller und Komponisten bekräftigten durch besondere Ansprachen die Solidarität aller Kulturschaffenden.

Die R e s o 1 u t i on appellierte an Regierung und Nationalrat, jetzt, da das Wirt-

Schaftspotential das Vorkriegsniveau In vielen Sparten erreicht oder selbst überschritten hat, Oesterreichs Wissenschaft und Kunst nicht weiter dem Verfall preiszugeben. Die großen Parteien haben den 60.000 Mitgliedern der 139 Kulturorganisationen der Arbeitsgemeinschaft eine Realisierung des 20-Punkte-Pro-gramms zugesagt, das einen Weg zu wirksamer Abhilfe weist. Sie werden nun zur Einlösung ihres Versprechens aufgerufen. Die Kultur Oesterreichs darf nicht weiter mit den Brosamen des Staatshaushaltes abgespeist werden, sondern will in gleichem Verhältnis wie in anderen Kulturländern bedacht sein. Die durch eine jährlich zunehmende Drosselung des Schul- und Unterrichtsbudgets besonders hart getroffenen Mittelschulen und ihre Lehrkörper fordern vor allem, daß der „Sparerlaß“ noch vor den Ferien zurückgenommen werde. Sind sich Regierung und Nationalrat dessen bewußt, daß das, was am Schulwesen eingespart wird, der jungen Generation an Wissen und Können und der Gesamtheit darum künftig auch an Produktivität verlorengeht? Gefordert wird ferner die Steuerfreiheit der Spenden für Kunst und Wissenschaft. Oesterreich darf nicht das einzige Kulturland bleiben, das durch seine Finanzgesetzgebung jedes Mäzenatentum unterbindet. Mit voller Unterstützung aller Hochschulen, der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften, der Vereinigung Oesterreichischer Industrieller und des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes wird der Herr Finanzminister ersucht, entsprechend dem einmütigen Wunsch der geistig schaffenden und der werktätigen Bevölkerung die diesbezüglich eingereichten Vorschläge zu genehmigen.

Welche Summen verwendet Oesterreich doch amtlich für Zwecke der Repräsentation, und dabei läßt es seine wirksamste Repräsentation, nämlich seine Kunst und Wissenschaft, immer mehr verfallen, ja einer Katastrophe zutreiben. Man kann nicht eine Erhöhung des Lebensstandards von budgetären Abstrichen im Kultursektor erhoffen. Verliert Oesterreich seine kulturelle Weltgeltung, so wird jeder einzelne von uns sowohl im ideellen als auch im materiellen Sektor Einbußen erleiden. Der Appell an alle Mitglieder der Regierung und des Nationalrates: „Handelt, ehe es zu spät ist!“ wurde einstimmig befürwortet.

Darüber hinaus zeigte die Diskussion, daß die bloße Mahnung des Videant consules vielen Teilnehmern nicht genügte. Die Stimmung ist, besonders unter den Mittelschul-

lehrern, schon äußerst revolutionär. Man ist es müde, mit Argumenten gestützte Forderungen vorzulegen und darauf kein Echo zu finden, oder mit Versprechungen abgespeist zu werden, die sich als zu leer erwiesen haben, um noch gläubig hingenommen zu werden. So wurde der Führung der Gewerkt schaft laut der Vorwurf gemacht, die Inter* essen nicht mit dem nötigen Nachdruck zu vertreten; man verlangte ein entschiedenes Vorgehen und Ultimativforderungen, man wünschte, selbst zu Taten zu schreiten, wenn man weiterhin keine Taten sieht.

Hat die Versammlung also wieder einmal belegt, daß nur eine Solidarität der Kulturträger eine Rettung von Kunst und Wissenschaft in Oesterreich anbahnen kann und daß nur ein Zusammenstehen der einzelnen die Lage zu bessern vermag, so ist als neues Symptom der wachsende und in seiner Er* bitterung schwer niederzuhaltende Geist des Widerstandes hinzugetreten. Eine überlegende Staatsführung sollte nach diesem Symptom wohl den Mut haben, die bedenklichste Diagnose zu stellen und eine wirksamo Therapie einzuleiten. Sie kann und darf di Bewegung der Kulturschaffenden nicht mehr übersehen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung