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Die politische Bedeutung des Beamtentums

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„Wir haben wohl in Österreich eine Bauernschaft“, so erklärte einst Doktor Ignaz Seipel zu einem Zeitpunkt, als von liberaler Seite die Forderung nach Einführung einer ständischen Vertretung, eines Wirtschaftsrats, erhoben wurde — „ob aber ein Bauerntum?“

Die gleiche Frage müssen wir uns stellen, wenn wir die Stellung des Beamten im modernen Staat im allgemeinen und in unserem österreichischen Staat von heute im besonderen richtig beantworten wollen. Sicherlich, Beamten sind in jedem modernen Staatswesen vorhanden, auch in Österreich, und nach Ansicht vieler, darunter auch mancher Beamter, sogar zu viele. Als Sammelbegriff kann man auch in Österreich von einer „Beamtenschaft“ sprechen. Ein Beamtentum aber im wesentlichen Sinne des Wortes ist nicht mehr, beziehungsweise noch nicht vorhanden! Denn dieser Begriff umfaßt die Beamten nicht bloß summiert, sondern als eine besondere Gemeinschaft und im Geiste ihrer organischen Stellung, die sie in der Gesamtgemeinschaft des Staates innehaben. Dieser organische Begriff des Beamtentums beinhaltet einerseits die richtige Erkenntnis und Würdigung der Stellung des Beamten im Staat und zeigt gleichzeitig die Gesamtheit der Beamten als selbständige geistige und soziologische Wesenheit auf.

Jedes Gemeinwesen bedarf nicht nur der Organe zur allgemeinen Willensbildung, zur Schöpfung der Verfassung und zur Satzung, das heißt zur Feststellung und Kundgebung des dauernden Gemeinschaftswillens, also zur Gesetzgebung, sondern sie braucht auch besonders geeignete, für diesen Zweck vorgebildete und auserlesene Organe zur Anwendung dieses zu dauernder Gültigkeit kundgegebenen Gemeinschaftswillens. Man pflegt seit Montesquieu diese dem Wesen nach Durchführung beinhaltende Tätigkeit als „Verwaltung“ zu bezeichnen, die Zuständigkeit, eine solche Durchführung zu vollziehen, Amt zu nennen, und die physische Person, die ein solches Amt innehat und ausübt, als Beamten zu bezeichnen. Auf die Wurzel seiner Tätigkeit bezogen, ist der Beamte das Organ der Willensbildung der Gemeinschaft im besonderen Fall. Der Beamte ist formal nur an die Gesetze, dem Sinn seiner Stellung nach an den Willen der Gemein-Schaft an sich gebunden. Er darf nicht seine Entscheidung nach Laune und Belieben treffen, sondern muß auch dort, wo der dauernd gesatzte Wille der Gemeinschaft in Form von Gesetzen ihm einen freien Bereich, das sogenannte „freie Ermessen“, überläßt, bei seiner Willensentschließung darauf bedacht sein, daß an seiner Stelle jeder andere gewissenhafte Beamte genau so entscheiden würde, wie er, weil sie beide nicht ihren Willen, sondern den Willen der Gemeinschaft zum Ausdruck bringen.

Personen, die zu einer solchen besonderen Leistung in der Gemeinschaft berufen sind, können nicht nur durch die Ausbildung, das heißt durch Schule und Studium, gewonnen werden, ihre Bewährung kann ihre Quelle nicht nur in Übung und Erfahrung finden, sondern sie müssen durch besondere Charaktereigenschaften aus der Masse der Staatsbürger hervorragen und durch einebeson-; dere Sorgfalt der Auslese berufen werden. Die Aufgabe, die ihnen gestellt wird, ist zudem an verschiedenen Stellen in der Gemeinschaft verschieden umfangreich und verschieden bedeutungsvoll. Ihre Berufung setzt eine Erprobung im kleineren Aufgabenbereich voraus und muß deshalb eine allmählich fortschreitende sein. Naturgemäß bildet sich daher in ihnen eine Hierarchie aus, die in mehrfacher Hinsicht gegliedert erscheint: zunächst rein äußerlich durch den Grad ihrer Vorbildung, etwa der Untermittelschulbildung für den unteren Dienst, der Mittelschulbildung für den mittleren Dienst und der Hochschulbildung für den eigentlichen Beamtendienst, für jenen Konzeptsdienst, der dem Amt die Zuständigkeit einer diskretionären Gewalt, das heißt einer selbständigen Entscheidung beimißt. Während die beiden andern Dienstbereiche ausschließlich ausführender Natur sind, kommt dem höheren Dienst eine so wesentliche Anteilnahme an der Willensbildung der Gemeinschaft zu, daß man ihm mit Recht die Bezeichnung Bürokratie gegeben hat, was ursprünglich und richtig verstanden besagen will, daß der Träger des Amtes an der Willensbetätigung der Gemeinschaft, das heißt an der Herrschaft — „kratein“ heißt herrschen — mitbeteiligt ist und seinem Wesen nach mitbeteiligt sein soll. Herrschen bedeutet aber im demokratischen Staat nicht b e herrschen, sondern führen. Wenn auch der Grundsatz gelten muß, „der Beamte hat zu verwalten und nicht zu führen“, so ist doch dieser Anteil an der Führung wegen der naturgemäßen Untrennbarkeit der beiden Vorgänge an sich berechtigt und wird erstdort als Last empfunden, wo die Tätigkeit der Bürokratie lebensfremd wird, das heißt wo ihre Willenskundgebung mit der von der Gemeinschaft erwarteten Willensbildung nicht mehr übereinstimmt.

Dergestalt hochqualifizierte Gemeinschaftsorgane können nur gebildet und dauernd erhalten werden, wenn sie selbst eine eigene, möglichst geschlossene Gemeinschaft bilden.

Diese Voraussetzung erfüllen die Beamten unseres heutigen Staatswesens in keiner Weise. Ihnen fehlt jener gemeinschaftliche Geist, der aus einer Beamtenschaft ein Beamtentum • macht. Die rein atomistische und materialistische Zusammenballung der Sektionschefs und des Amtsgehilfen in der gleichen Gewerkschaft „öffentlicher Dienst“ ist sinn- und wertlos. Sie wirkt weit mehr destruktiv als aufbauend. Der verschiedene Bildungsgang, aber auch die verschiedene Verwendung und der andere geistige Horizont und das ebenfalls weitestgehend verschiedene Kulturbedürfnis lassen den wahren Geist einer Gemeinschaft nicht zustande kommen. . Dies kommt nnmer wieder deutlich zum Ausdruck, wenn es etwa gilt, Beamtenbezüge zu erörtern und zu regulieren. Die chaotische Summierung in der Gewerkschaft ist letzten Endes in nicht unerheblichem Maße Ursache für jene verhängnisvolle Nivellierung des Lebensstandards, der in unserer Beamtenschaft in so verheerendem Maße um sich gegriffen hat und die beseitigt werden muß, soll nicht der Dienst am Staat Mit-Ursache der Existenz und des dauernden Anwachsens eines geistigen Proletariats werden.

Jeder Staat steht und fällt mit seinem Beamtentum. Sowohl im Staate Friedrichs II. von Preußen wie Josephs IL, Franz' I. und Franz Josephs I. von

österrreich spielte die Armee eine nidrt unbeträchtliche Rolle, die Träger des Staates aber, die ihn dauernd trugen, ergänzten und erneuerten, waren die Beamten; die Zukunft der Staaten und auch des modernen Österreichs von heute ruht in erheblichem Maße auf den Schultern seiner Beamten. Ein österreichisches Beamtentum mit hochgespanntem Ehrbegriff, mit einem Sicherheit und Würde verleihendem Standesbewußtsein, mit gediegener wissenschaftlicher und praktischer Ausbildung ist daher nicht bloß ein technischer Vorzug, den jeder moderne Staat anstreben muß, sondern eine staatspolitische Zielsetzung erster Ordnung. Nur ein solches gebildetes und sozial gesichertes Beamtentum wird sich seiner Pflicht gegenüber der Gemeinschaft stets und in allen Lebenslagen bewußt sein. Die Gemeinschaft muß sich deshalb ihre Verpflichtung diesem Beamtentum gegenüber gegenwärtig halten und darf ihm die rechtlichen, moralischen und materiellen Voraussetzungen nicht vorenthalten, die das Beamtentum zu seiner Existenz benötigt. Ein Staat, der seines Beamtentums vergißt, versündigt sich an einem seiner wichtigsten Träger. Diesen richtig zu erkennen, einzustufen und zu würdigen ist ein Politi-kum ersten Ranges.

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