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Noch eine Frage

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Eine letzte Frage bliebe noch zu beantworten: Von wem geht nun .wirklich die Macht im Staate aus? Untersucht man die oben genannten „Säulen der neuen österreichischen Demokratie“ genauer, so steht zwar an erster Stelle die Bundesregierung. Es gibt aber genügend Beweise dafür, daß die gegenwärtige Bundesregierung ihr politisches Gewicht nur dem Umstand verdankt, daß die Parteiführer der beiden Koalitionsparteien — Bundeskanzler Ing. Raab und Vizekanzler Doktor Schärf — eben in der Regierung sitzen. Ganz offensichtlich ist die zweite Säule, nämlich die „P a r t e i v o r s t ä n d e“, die entscheidende.’- Zwischen dieser Säule und der nächsten, den „F,ührungsgremien der Interessenverbände“, bestehen mannigfache Wechselwirkungen. Unzweifelhaft haben die Interessenverbände der Arbeitnehmerschaft auf die Politik der SPOe und die Interessenverbände der Unternehmerschaft auf die Politik der OeVP einen entscheidenden Einfluß. Aber auch hier darf man Klagen aus den Reihen derer, die durch diese Verbände vertreten werden sollen, nicht übersehen, daß nämlich eine völlig sachliche und unabhängige Interessenvertretung nicht mehr gewährleistet ist, weil parteitaktische Erwägungen vielfach der Vertretung wirtschaftlicher Interessen vorangestellt werden.

Das Entscheidende an dieser Entwicklung ist nun, daß die Macht in Händen von Institutionen ruht, die in unserem Staatsaufbau verfassungsmäßig gar nicht vorgesehen sind. Man wird vergeblich die „Parteivorstände, Führungsgremien der Interessenverbände'' usw. in der österreichischen Bundesverfassung suchen! Diese eigentlichen Machtträger bedienen sich jedoch staatlicher Organe, um ihren Willen durchzusetzen.

Dadurch werdet), letztlich die verfassungsmäßigen Garantien des Rechtsstaates mehr und mehr bedeutungslos. Denn Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof. dem Verwaltungsgerichtshof usw. gibt es nur gegen staatliche Organe, nicht aber gegen Entscheidungen von Koalitionsausschüssen der Parteien. Der Staat ist bisher immer als der höchste Garant der Gemeinschaftsordnung angesehen worden, als eine von Interessengruppen oder politischem Machtstreben möglichst unabhängige Institution, von welcher sich der einzelne Staatsbürger eine „gerechte“ Behandlung erwarten konnte. Diese Institution wird nun offensichtlich auf die Ebene der parteipolitischen Auseinandersetzungen und Inter- essenkollisioncn heruntergezogen. Das Verhalten des Staates wird demnach bestimmt von der stärkeren oder geschickteren politischen Partei, von dem durchgesetzten Interesse; an die Stelle der Gerechtigkeit tritt das Recht des Stärkeren oder wenigstens das ausgefeilschte Kompromiß zweier annähernd gleich Starker. Mit diesem Zustand ist auch das bisher als drittes Fundament des österreichischen Staates geltende Prinzip des Rechtsstaates schwer gefährdet.

Das Wesen des modernen Kulturstaates ist es ja. daß er seine Gebote mit der Würde des „Rechtlichen“ aüszustatten weiß. An die Stelle der bloßen Konvention oder der freiwilligen Uebereinkunft treten im Rechtsstaat die Gesetze als Rechtsnormen. Gäbe es diese über allem stehende staatliche Verbindlichkeit nicht, so würde das innerstaatliche Recht bestenfalls zum Zustande des Völkerrechtes gelangen, das nur kraft Anerkennung vertragschließender Partner Verbindlichkeit erlangt. Ein Recht aber, dem durch Verweigerung der Anerkennung jederzeit seine Verbindlichkeit entzogen werden kann, ist kein Recht! Darum ist es eine ernste Forderung, wenn wir nicht in einen Zustand chaotischer Machtkämpfe verfallen wollen, die Unabhängigkeit des Staates als alleinigen, obersten Macht- und Rechtsträger — unabhängig von Interessenverbänden, parteipolitischen Einflüssen, usw. — wiederherzustellen! Die aufgezeigten Tendenzen sind nämlich die Ursache für das Unbehagen vieler Oesterreicher mit einer Form der Demokratie, die trotz Rede-, Versamm- lungs- und Gewissensfreiheit, trotz Wohlstand und äußerer Zufriedenheit innerlich gefährdet ist!

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