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Macht der Verbände

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Beim vergeblichen Versuch, die „Times“ wieder erscheinen zu lassen, hat in Großbritannien wieder einmal die Gewerkschaft ihre Macht gezeigt. In Österreich fordern die Freiheitlichen ein „Verbändegesetz“. Der namhafte katholische Naturrechtslehrer Johannes Messner hat sich zu diesen Fragen in der Monatsschrift „Epoche“ geäußert.

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Beim vergeblichen Versuch, die „Times“ wieder erscheinen zu lassen, hat in Großbritannien wieder einmal die Gewerkschaft ihre Macht gezeigt. In Österreich fordern die Freiheitlichen ein „Verbändegesetz“. Der namhafte katholische Naturrechtslehrer Johannes Messner hat sich zu diesen Fragen in der Monatsschrift „Epoche“ geäußert.

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Es gibt für jeden Staat, auch für die moderne Demokratie, eine übergesetzliche natürliche (d. h. der Natur des Menschen entsprechende) Grundverfassung. Die Autorität dieser „Grundnorm“ ist die Autorität der Würde und Grundrechte des

Menschen, von denen das sittliche Gewissen Zeugnis gibt. Vor ihr muß sich daher jede Volkssouveränität beugen.

Die Achtung der Autorität dieser Grundnorm und Grundverfassung müßte angesichts der Machtstellung der großen Interessenverbände in der pluralistischen Demokratie eine besonders hohe sein. Das ist soziologisch so offenkundig, wie es physikalisch selbstverständlich ist, daß nicht jeder beliebig mit den Hebeln eines Umspannwerkes, das eine Großstadt mit Strom versorgt, hantieren darf.

Wenn Parteien und Interessengruppen glauben, mit der gesetzlichen Grundverfassung in ihrem Interesse beliebig hantieren zu können, dann erfolgen oft Einbrüche in die durch die übergesetzliche Grundverfassung, garantierte Gerechtigkeitsordnung auf Kosten des Gemeinwohls. Parteien oder Verbände sichern sich dann Vorteile unter Schmälerung des AUgemeininteres-ses; sie entziehen der Demokratie damit die Legitimation.

Nach dem Zweiten Weltkrieg werden Entwicklungen im Sinne einer ! solchen Ausschaltung der Volksvertretung immer stärker Gegenstand der Kritik der Demokratie und Gegenstand der Sorge um ihre Zukunft. Organisierte Interessengruppen (pressure groups) suchen Einflußnahme - teils über Wahlpakte - auf die politische Willensbildung (Gesetzgebung) mittels „Druckes“ auf die Parteien.

Im Gefolge davon wird in der Volksvertretung über vorgefaßte Entscheidungen abgestimmt, die durch die Interessengruppen außerparlamentarisch vorbereitet und dann durch die Parteien der parlamentarischen „Erledigung“ zugeleitet werden.

Mit diesen Tatsachen befaßt sich heute bereits in vielen Demokratien eine wachsende Literatur, mag die Entwicklung auch in den einzelnen Ländern verschieden weit fortgeschritten sein und verschiedene Formen annehmen.

Gemeinsam ist allen: in der freiheitlichen Demokratie ist die Freiheit institutionalisiert; nicht institutionalisiert ist dagegen die Verantwortung für das Gemeinwohl. Die ungehemmte Laissez-faire-Freiheit trägt die Absurdität in sich, daß sie, weil sich gegen das Gemeinwohl auswirkend, sich auch am Ende gegen die Eigeninteressen der Verbände richten muß. Diese „Freiheit“ leistet der Machtausübung der Verbände gegenüber der staatlichen Autorität Vorschub und gefährdet damit die gleichen Freiheitsrechte aller.

Die Institutionalisierung der mit der Freiheit in der verbandsplurali-stischen Demokratie verbundenen Verantwortung wird heute gelegentlich erwogen. Die Vertreter des Staats- und Verfassungsrechtes- sehen den Weg in einem Verbändegesetz.

Ein solches soll die Freiheiten und Verantwortlichkeiten aller Verbände, die von Bedeutung für die Entwicklung der öffentlichen Interessen sind, umschreiben. Die Verbände sollten so verfassungsrechtlich in den demokratischen Prozeß eingeordnet werden, ihre Rechte bei der Interessenwahrnehmung gesichert, zugleich aber ihre Aktivität aus der Anonymität herausgehoben und der öffentlichen Kontrolle unterstellt werden.

Die Institutionalisierung der Gemeinwohlverantwortung der Verbände ist aber auch denkbar in Form eines Gremiums, in dem die Verbandsfunktionäre zur Abstimmung ihrer Interessenpolitik nach Maßgabe der Gemeinwohlerfordernisse gehalten sind. Ein solches Gremium mag als „Bundeswirtschaftsrat“ gedacht werden.

Keineswegs dürfte ein solches Gremium nur mit der Beratung der Regierung in Sachen Wirtschaftsund Sozialpolitik beauftragt sein, denn diese Funktion wird heute weitgehend bereits von den Organisationen und Institutionen der Interessenverbände bis hin zur „konzertierten Aktion“ ausgeübt. Seine Hauptfunktion sollte in der Abstimmung der Einkommensansprüche der Verbände nach den gesamtwirtschaftlichen Möglichkeiten liegen -unter Einkalkulierung der zur Vorsorge für die Zukunft notwendigen, sehr beträchtlichen Mittel für Sozialinvestitionen.

Wie immer man sich den Weg aus dem Laissez-faire der Interessenpolitik der Verbände, die Zukunft der Gemeinwohlwahrung und mit dieser die Einhaltung des Grundbestandes der freiheitlichen Demokratie vorstellen mag: sicher ist, daß, wie Go-etz' Brief sagt, „es sich primär um eine politische Entscheidung handelt“ mit dem Ziel „der Aufhebung der Verfilzung von demokratischem Staat und pluralistischer Gesellschaft zu dem Zweck, einerseits die Hoheit des Staates in der Wahrung des Gemeinwohls klarzustellen, anderseits den pluralistischen Verbänden die Chance zu geben, ihren Ausgleich im gesellschaftlichen Raum zu finden. Dem Staat würde ein Aufsichtsrecht verbleiben müssen, wenn Machtübergewicht von Verbänden zur Gefahr für das Gemeinwohl wird“.

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