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Österreich - ein Ständestaat?

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Der vorliegende Artikel stellt eine selbständige Bearbeitung eines Referates dar, das der Verfasser auf der Wiener Sozialen Woche 1965 neben Dozent Herzog, Prof. Klecatsky und Dr. Klose gehalten hat.

Wer sich mit Fragen der öffentlichen Ordnung beschäftigt, den umfängt bisweilen ein Unbehagen. Man meint, mit dem herkömmlichen Staatsbegriff nicht mehr auszukommen. Es hat den Anschein, als ob im Staat der Gegenwart die Obrigkeit dem einzelnen nicht allein im Parlament, den Verwaltungsbehörden und den Gerichten entgegentritt. Kräfte, die in der Verfassung nicht offen an der Staatswillensbildung beteiligt werden, beeinflussen auch das politische Leben. Der Staat wird nicht mehr allein von einer Summe einzelner Privatpersonen getragen, sondern auch von Gebilden im intermediären Bereich. Der Prozeß der Staatsverwirklichung wird nicht als ein-, sondern mehrstimmig empfunden. Eine Vielzahl an Herrschaftsgruppen ist nämlich wirkkräftig.

Diese Vielzahl an Herrschaftsgruppen wird vor allem gebildet von den politischen Parteien und den Verbänden, die der Repräsentation der organisierten wirtschafts- und sozialpolitischen Interessen dienen. Als Beispiele seien dafür in Österreich die Kammern und die auf freiwilliger Mitgliedschaft beruhenden Vereinigungen, wie der Gewerkschaftsbund und der Industriellenverband, genannt. Während nun die politischen Parteien sich in ihren Programmen als ideologieorientierte Interessenvertretungen zu dokumentieren versuchen, streben die Verbände nach der Durchsetzung sachbestimmter Anliegen. Neben dem Parteiwesen entwickelt sich ein Verbändewesen, die einmal zusammenarbeiten, dann wieder einander konkurrenzieren. Wohl spielen in einem Staat mit einem Verhältniswahlsystem und einer parlamentarischen Regierung, das heißt, einer Regierung, die vom Vertrauen der politischen Parteien getragen sein muß, die Parteien stets eine domi-. nierende Rolle. Kennt aber ein solcher Staat auch die Einrichtungen der beruflichen und wirtschaftlichen Selbstverwaltung, was in der Kammerorganisation Österreichs der Fall ist, dann wird der Einfluß der politischen Parteien zumindest beschränkt, wenn nicht eingeengt. Neben den politischen Forderungen werden berufliche Interessen vertreten.

Die Wirkkraft der Verbände schafft deswegen ein Unbehagen, weil sie trotz der Tatsache, daß sie ein politischer Verfassungsfaktor erster Ordnung geworden sind, von der geschriebenen Verfassung meist totgeschwiegen werden. Auch die juristische und politische Erklärung des Phänomens dieser Gebilde im intermediären Raum scheint schwierig. Der Staat wird nur noch als ideelle Einheitsvorstellung und das Volk durch eine Reihe obligatorischer Machtgruppen mediatisiert gedacht. Der Staat nimmt immer mehr den Charakter eines pluralistischen Gemeinwesens an, für das man vorwurfsvoll nur allzugern mangels eines neuen Begriffes den alten des Ständestaates gebraucht.

Diesen Vorwurf gegenüber den Verbänden haben in Österreich etwa zwei Rechtsgelehrte von höchstem Rang gemacht und damit das ausgedrückt, was sich viele bereits gedacht haben. Ludwig Adamovich hat bereits 1952 erklärt:

„Was die Ständische Verfassung 1934 auf dem Wege rechtlicher Ordnung erreichen wollte, tatsächlich aber nicht erreicht hat, hat in den letzten sechs Jahren auf dem Wege der tatsächlichen Entwicklung seine Verwirklichung gefunden.“

Heinrich Klang hat sich dieser Feststellung angeschlossen und die Tätigkeit der Verbände als unvereinbar mit dem demokratischen Geist unserer Verfassung erklärt. Die Verbände werden als Fremdkörper empfunden und daher negativ bewertet.

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