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Regieren heißt koordinieren

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Das Problem der Koordination ist von weltweiter, steigender Bedeutung. In Österreich verleihen die Absichten des Bundeskanzlers, durch die Heranziehung von Staatssekretären (vor einigen Wochen wurde sogar der Plan ventiliert, den Rektor der Universität Salzburg in die Bundesregierung zu berufen) eine Art von „Regierung in der Regierung“ und damit ein besonderes Instrument der Koordination zu schaffen, den Ausführungen Doktor ■Manfried Welans eine über den theoretischen Bereich hinausgehende Aktualität. Die Redaktion

Die demokratische Massengesellschaft des Gegenwartsstaates ist durch eine Vielfalt polygener und heterogener Gruppen geprägt. Diese Vielheit von Gruppen repräsentiert die Fülle der Interessen der Mitglieder des Gemeinwesens. Wenn es einen einzelnen bestimmenden Wesenszug gibt, der der Massengesell-sohaft des technologischen Zeitalters Ihre charakteristische Prägung verleiht, so ist es ihre pluralistische Grundlage und ihr pluralistischer Betrieb (Karl Löwenstein). In diesem pluralistischen Betrieb sind integrierende, und koordinierende Elemente notwendig. Als solche fungieren vor allem die organisierten Großverbände. Sie fungieren als Koordinatoren differenziertester, oft antagonistischer Interessen. Ihre Äußerungen stellen vielfach schon Kompromisse zwischen divergierenden Bestrebungen der repräsentierten sozialen Schichten dar. Die Großverbände wirken verbandsintern durch Ausgleich von Interessen, verbandsextern durch Geltendmachung und Vertretung von am öffentlichen Interesse orientierter Interessen.

Der Bürger der pluralistischen Gesellschaft ist weniger „Staatsbürger“ als — und dies in erster Linie — ein durch seine wichtigsten (vor allem wirtschaftliche) Interessen mit anderen verbundener „Interessenbürger“ (Martin Draht).

Der Staat hat bei der Staatswillensbildung auf einen Interessenausgleich hinzuwirken. Nur so erfährt er soziale Legitimation, Anerkennung und Rechtfertigung. Der stete Kompromiß versuch wird zur wesentlichen Staatsaufgabe. Eine Ausgewogenheit aller Interessen zu erreichen, ist freilich heute unmöglich. Ist doch die Industriegesellschaft charakterisiert durch das Fehlen von Interessengleichgewicht und durch die Notwendigkeit, den relativen Ausgleich der Interessen zur ständigen Aufgabe zu machen.

Der Staat verteilt und gleicht aus. Er wird vom einzelnen als Träger der austeilenden und der ausgleichenden Gerechtigkeit empfunden. Der Staat wird in der Vorstellung des einzelnen zum großen Richter, der vor allem „geben“ soll, wenn eine Forderung oder Klage „als gerecht“ empfunden wird. Tatsächlich ist nicht der Staat der verantwortliche Träger der Gerechtigkeit, sondern die ihn unmittelbar tragenden Schichten (Parteien). Den politischen Parteien kommt die große Verantwortung im Clearings- und Klärungsprozeß der Interessen zu. Sie haben vor allem Koordinations- und Integrationsaufgaben zu leisten. Nur so können sie sich auf die Dauer als „Volkspartei“ oder „Staatspartei“ behaupten. In der parlamentarischen Demokratie ist vor allem die Mehr-heitspaftei Trägerin dieser Funktion und Verantwortung. Sie hat die politische Führungsposition inne. In der parlamentarischen Demokratie verfügt die Mehrheitspartei auf Zeit über die efficient parts der Verfassung; sie ist Trägerin der Legislative und der Exekutive; ihr kommt von Volkes und Verfassungs wegen Planung, Bestimmung und Ausführung der politischen Grundentseheddungen zu, kurz: sie hat zu regieren. Von der Erfüllung der Wahlversprechen und des Wählerauftrags, von der Frage, welche Probleme und wie sie gelöst werden, hängt ihre Autorität und ihr Prestige ab. Die' Regierung muß daher versuchen, das Gesetz des Handelns immer in der Hand zu haben; falsch wäre es, von Zeit zu Zeit erst durch eine Flucht nach vorn die Initiative an sich zu ziehen.

Die instrumentale Funktion dös Staates darf allerdings von der Mehrheitspartei, die die bedeutendsten und wirksamsten Positionen des Staatsapparates einnimmt, nicht überanstrengt werden. Dies würde auf Kosten seiner Integrationsfunktion gehen, deren Bedeutung gerade in der pluralistischen Gesellschaft Erkannt werden muß.

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