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Ist der moderne Staat, in dem wir leben, nun wirklich ein Ständestaat und wirken die Verbände der demokratischen Staatswillensbildung tatsächlich entgegen?

Ein Ständestaat ist ein obrigkeitlicher Herrschaftsverband, in dem die Stände an der Ausübung der Staatsgewalt, von der Verfassung verlangt, teilnehmen. Ein solcher Staat setzt eine Organisation der Gesellschaft in Stände voraus. Dies war etwa im Mittelalter und noch lange Zeit in der Neuzeit der Fall. Diese Stände bildeten sich teils kraft ihrer Geburt (Adel), teils kraft ihres Amtes (Prälaten) oder aber als Bürger und Bauern.

Diese Staatsordnung hat mit unserer heutigen Staatsordnung jedoch nichts gemeinsam, denn die Herrschaftsstände waren meist Geburtsstände, während heute die persönliche Leistung des Menschen seine gesellschaftliche Stellung bestimmt.

Eine moderne Form hat der ständisch verfaßte Staat in dem Korporativstaat gefunden. In ihm sind in Ablehnung der politischen Parteien und des Parteiparlamentes die Arbeitgeber und Arbeitnehmer eines Berufes zu einem Berufsstand zusammengefaßt. Die Vertreter der verschiedenen Berufsstände bilden dann zusammen das Ständeparla-ment. Die Ständeorganisation wird als Machtmittel meist einer politischen Einheitspartei genutzt, um mit dem staatlichen Arm tief in die Gesellschaft hineinzureichen. Ein solcher Staat nimmt oft einen totalitären und autoritären Charakter an. Als Beispiele seien das faschistische Italien und das Portugal der Gegenwart genannt.

Die zweite staatspolitische Prägung der Idee ständischer Ordnung,das Korporativsystem, hat aber ebenfalls nichts mit unserem heutigen Verbändewesen in Österreich zu tun. Die Verbände sind in Österreich vielmehr der institutionalisierte Ausdruck der polaren Spannungen im Gesellschaftsleben. Arbeitgeber und Arbeitnehmer stehen sich mit ihren institutionell repräsentierten Interessen gegenüber. Dies zeigen die Handels- und Landwirtschaftskammern sowie der Industriellenverband auf der einen Seite und die Arbeiter- und Landarbeiterkammern sowie der Gewerkschaftsbund auf der anderen Seite. Alle diese Verbände sind aber nicht offen an der Staatswillensbildung beteiligt.

Das Bundesverfassungsgesetz 1920 führt nur den Bund und die Länder als verfassungsmäßige Träger der Staatsgewalt an, während die Verbände, und auch hier nur in der Rechtsform der Kammern, allein als Kompetenztatbestände Erwähnung finden. In der Folgezeit hat aber der Gesetzgeber die Kammern in vielfältiger Weise zur Repräsentation ihrer Interessen berufen, unter anderem seien das Begutachtungsrecht zu Gesetzentwürfen, das Vorschlagsrecht zur Ernennung von fachmännischen Laienrichtern, Beisitzern von Arbeitsgerichten und Schiedsgerichten der Sozialversicherung sowie ihre Vertretung in Kommissionen und Beiräten genannt. Auf diese Weise üben die Kammern eine Tätigkeit und einen Einfluß aus, der über den unmittelbaren sachlichen Interessenbereich ihrer Mitglieder hinaus von gesamtstaatlicher Bedeutung ist. Der Einfluß der Verbände auf die Wirtschafts-, Außenhandels-, Zoll-, Finanz-, Sozial- und Verkehrspolitik sei als Beispiel genannt.

Wenn nun die Verbände auch keine Stände sind und das Verbändewesen auch nichts mit einem Ständestaat gemeinsam hat, ist trotzdem das Wirken der Verbände nicht als Gefährdung der demokratischen Willensbildung durch Gruppeninteressen anzusehen. Ständisch hieße hier ademokratisch. Auch dieser Vorwurf scheint zu Unrecht zu bestehen.

Die Verbände sind mit eine Folge der demokratischen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Wie Hans Kle-catsky auch betont hat, sind der Parlamentarismus und die Interessenverbände in gleicher Weise aus der Idee der Selbstbestimmung des Volkes gegenüber den Monarchen und seiner Verwaltung entstanden. Sie haben — dies beweist auch die Entwicklung des Wahlrechtes in Österreich — eine gemeinsame Geschichte. Die Verbände haben sich in einer Zeit der fortschreitenden „Befreiung der Untertanen“, die eine „Entlassung aus den Ständen“ war, um diese Befreiten angenommen. Als Beispiel sei die Bauernbefreiung genannt. Die Verbände verschafften den von ihren Ständen Befreiten eine Sicherheit in der Gesellschaft und eine Repräsentation im Staat. So erlangten etwa die Gewerkschaften eine wirtschafts-, sozial- und kulturpolitische Bedeutung.

Als sich nach dem Vorbild der Handelskammer das übrige Kammerwesen entwickelte, erwies sich dieses als deutlicher Ausdruck des liberalen und demokratischen Gedankengutes (Adolf Merkl). Es sorgte für einen internen Interessenausgleich, der die gesamtstaatliche Willensbildung vorbereitete und erleichterte. Die eigenen Mitglieder wurden fachlich beraten und ihre beruflichen Anliegen im Staat wahrgenommen. Dies war und ist eine Tätigkeit im Dienst der Demokratie, denn das Staatsvolk wird nicht bloß nach seinen politischen Leitbildern, sondern auch nach seinen beruflichen Anliegen vertreten. Die Verbände tragen dadurch zur Bildung eines gefestigten Staatsbürgertums bei und sind somit ihren Mitgliedern und dem Staat unentbehrlich geworden. Wollte der Staat die Verbände so bekämpfen wie einst die Herrscher ihre Stände, er würde seine Existenz schwer gefährden. Das Verbändewesen ist ein Teil der politischen Ordnung geworden und, trägt zur Entlastung der Aufgaben des Staates bei.

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