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Die Zukunft mit Sonderziehungsrechten

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Gegenüber den Tagen von Nairobi hat der Internationale Währungsfonds (IWF) — wieder zum Zentrum der Bemühungen um die Funktionsfähigkeit des gegenwärtigen Währungssystems geworden — neues Selbstbewußtsein gewonnen. Die Konstruktion eines konsequent durchdachten, ä la Bretton Woods konzipierten neuen Währungssystems wurde zwar keineswegs ad acta gelegt, aber — nach den Worten eines seiner Architekten — zunächst „eingemottet“. Die so dringlichen und völlig neuen Gegenwartsprobleme und der politische Zustand der Welt lassen mehr nicht zu.

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Gegenüber den Tagen von Nairobi hat der Internationale Währungsfonds (IWF) — wieder zum Zentrum der Bemühungen um die Funktionsfähigkeit des gegenwärtigen Währungssystems geworden — neues Selbstbewußtsein gewonnen. Die Konstruktion eines konsequent durchdachten, ä la Bretton Woods konzipierten neuen Währungssystems wurde zwar keineswegs ad acta gelegt, aber — nach den Worten eines seiner Architekten — zunächst „eingemottet“. Die so dringlichen und völlig neuen Gegenwartsprobleme und der politische Zustand der Welt lassen mehr nicht zu.

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Das sogenannte „Komitee der Zwanzig“ hat sich als amerikanische Fehldisposition erwiesen. An Stelle der zwar niemals rechtlieh verankerten, aber doch seinerzeit entscheidenden „Zehnergruppe“ (der wichtigsten Industrieländer) und des formell zuständigen, aber infolge seiner 136 Mitglieder nicht operativen Gouverneursrates des IWF war bei seiner Jahrestagung 1972 in Washington die „Zwanzigergruppe“ der Finanzminister geschaffen worden. Sie war aber mit ihren assoziierten und beratenden Mitgliedern eine Gruppe von weit mehr als hundert Personen und damit von Anfang an für die ihr zugedachten politischen Entscheidungen nicht weniger unbrauchbar; ebenso die zur Ausarbeitung von Alternativen gedachte und kaum minder zahlreiche „Gruppe der Stellvertreter“.

Was zunächst als Ausdruck zielstrebiger Energie verstanden werden sollte, dürfte sich nun als Liquidierungstermin erweisen: angesichts der bis dato erzielten mageren Ergebnisse haben die Finanzminister — bezeichnenderweise auf Vorschlag des französischen! — in Nairobi erklärt, bis 31.. Juli 1974 alle wesentlichen Entscheidungen für das künftige Währungssystem treffen zu wollen. Der Bericht, den sie bis zu diesem Zeitpunkt — wie konkret immer — vorlegen werden, wird wahrscheinlich — zumindest nach den Intentionen der Amerikaner — ihr letzter sein. Die beiden Monsterkomitees Sollen sich dann unter dem Titel, ihre Aufgabe erfüllt zu haben, wieder auflösen. Sie sollen durch ein zu politischen Entscheidungen fähigs Organ im IWF ersetzt werden, die Agenden der Stellvertreter sollen wieder an die Exekutivdirektoren des IWF zurückgehen, denen auch die Weiterbehandlung der von einzelnen Unterausschüssen der SteMvertreter-gruppe produzierten Ideen zur Weiterbehandlung zugewiesen wurde.

Gegenüber dem angepeilten Ziel, zu einem System „fester, aber anpassungsfähiger“ Währungsparitäten zurückzukehren, hat man sioh zunächst mit dem derzeitigen Zustand des allgemeinen Floatens der Wechselkurse, wenn auch durch Notenbankinterventionen „verschmutzt“, abgefunden. Die Bemühungen konzentrieren sich jetzt auf die Entwicklung von allgemeinen Regeln für das Floaten. Sollten diese in der derzeit diskutierten Form angenommen werden — was zumindest nicht in naher Zukunft wahrscheinlich ist —, müßte Österreich seine Wechsel-kurspolitik überprüfen.

Aus technischen Gründen der Fondsoperationen gehen die Bestrebungen weiter, die vor Jahren zur Ergänzung der internationalen Währungsreserven geschaffenen Sonderziehungsrechte (SZR) zur neuen weltweiten Recheneinheit zu machen. Das bisherige gemeinsame Wertmaß der verschiedenen Währungen, das Gold, steht nur noch auf dem Papier. Das praktische Wertmaß, der Dollar, gehört mit dem Dollarstandard der Vergangenheit an. Der IWF rechnet bereits in SZR-Einheiten. Auoh einzelne Länder, wie zum Beispiel die USA, die Bundesrepublik Deutschland und Österreich, haben ihre gegenüber den theoretischen Goldparitäten allein relevanten „Kurse“ in SZR definiert.

Die Tage, in welchen Geldwerte in Gold ausgedrückt sind, scheinen gezählt, auch wenn dem Gold als Reservemedium eher eine neue Zukunft offenstehen dürfte. Da es in der Praxis der internationalen Transaktionen lediglich auf die Relationen der Handelswährungen unter sich ankommt, sollen die SZR jetzt vom Gold gelöst und auf Grund eines „Korbes“ von 10 bis 15 Welthandelswährungen — nach ihrer Bedeutung gewichtet — von Tag zu Tag neu bewertet werden.

Damit werden die SZR zur einzigen Währung, die absolut von jedem Wechselkursrisiko frei äst. Daran knüpft sich wieder die Hoffnung des Fonds, die SZR zusammen mit einer über die derzeitigen zwei Prozent hinausgehenden, besseren Verzinsung für einen Teil des Dollarüberschusses der erdölerzeugenden Länder — wenigstens in Ergänzung zu anderen Möglichkeiten — zu einer attraktiven Anlageform zu machen. Der IWF würde die so bei ihm veranlagten Gelder Ländern zur Verfügung stellen, deren Zahlungsbilanzen defizitär werden. Damit würden nicht nur die SZR eine neue Funktion bekommen, sondern würde auch ein konzeptiver Gedanke der Währungsreform weiterentwickelt und der IWF einen weiteren Schritt in die Richtung einer Weltzentralbank machen.

Auch auf Grund einer anderen Entwicklung konzentrieren sich die Erwartungen wieder auf den IWF. Unter dem Eindruok der Bestrebungen der Europäischen Gemeinschaft (EG), im Wege relativ stabiler Wechselkurse unter ihren Mitgliedern zu einer Wir'tschafts- und Währungsunion zu kommen, und der Praxis kleinerer Länder, ihre Währungen an einzelne Welthandelswährungen, wie den US-Dollar oder den japanischen Yen, zu binden, sahen manche das Weltwährungssystem bereits in einzelne Währungsblöcke aufgebrochen: in sich mit relativ festen Kursen verbunden, deren Leitwährungen jedoch gegenseitig frei floatend, etwa nach der jungen Theorie der „optimalen Währungsregionen“.

Die „Schlange“ — das Band, innerhalb dessen die am Gruppenfloaten beteiligten europäischen Währungen ihre gegenwärtigen Kurse halten müssen — ist aber durch keinerlei koordinierte Wirtschafts- und Währungspolitik ausreichend motiviert. Nicht einmal die „Paralleltheorie“, derzufolge die wirtschafts- und währungspolitische Kooperation wenigstens Hand in Hand mit währungstechnischen Bindungen weiterentwickelt werden sollte, ist tatsächlich zum Zug gekommen. Die international mangelnde Solidarität belastet auch die europäische Kooperation und reduziert schließlich mit dem Ausscheiden des französischen Franc das europäische Gemeinschaftsfloaten auf eine DM-Gruppe, deren Tage unter Umständen auch gezählt sein könnten. Es scheint derzeit kein Währungsproblem zu geben, das im Rahmen der europäischen Industrieländer leichter lösbar wäre als auf weltweiter Ebene. Auch damit werden sich die Augen um so mehr wieder dem IWF zuwenden, als auch die inoffizielle Gruppe der „Großen Fünf“ (USA, Japan, BRD, Großbritannien, Frankreich) ohne die Schweiz und vor allem ohne die künftigen monetären Supermächte der arabisohen ölstaaten allein nur beschränkte Ordnungsfunktionen erfüllen können.

Auf dem Gebiet des Goldes gelten seit der Beendigung der diesbezüglichen Absprachen wieder die Regeln des IWF: die Notenbanken dürfen Gold zu dem über dem offiziellen Preis liegenden Marktpreis verkaufen. Sie würden dies aber nur in Zelten akuten Devisenmangels tun, gäbe es nicht die formalfetischistische Vereinbarung der EG-Ge-meinschaftsfloater, ihre im Interventionswege von anderen Zentralbanken erworbenen Währungen nicht in beliebigen internationalen Werten, sondern nach der Zusammensetzung ihrer Reserven, das heißt anteilsmäßig auch in Gold zurückzukaufen. Sollte es auf Grund der pessimistischen Zähkmigsbilanzerwar-tungen der Energieverbraucher zu einer panikartigen generellen, am Marktpreis orientierten Neubewertung des Währungsgoldes kommen, dann müßte sich die Welt wohl auf einen neuen Inflationsstoß einstellen.

Es wird sioh erst erweisen müssen, ob der sicherlich realistische Rückzug aus dem Prinzipiell-Systematischen auf die unmittelbar dringenden Tagesfragen die auch zu deren Lösung erforderliche Minisolidarität findet. Innerhalb Europas hat die Haltung der Franzosen eine solche Hoffnung auf einen kaum mehr zu unterbietenden Pegel gesenkt. Europa und die USA wetteifern im kontinuierlichen Mißverständnis. Was soll die Japaner zu besonderer Selbstlosigkeit veranlassen, zu einem Zeitpunkt, da diesem auf engstem, rohstoffarmem Raum zusammengedrängten 105-Millionen-Volk die Energieabhängigkeit bis zur Kehle gestiegen ist, und was sollte die Araber motivieren, die sich eben erst ihrer Position bewußt geworden sind?

Die Währung ist der Seismograph der Ordnung und der Kooperationsbereitschaft. Schon innerhalb der kleinen Staaten zeigt sein Ausschlag nach der „Inflationsskala“, daß dem heutigen Pluralismus von staatlichen, sozialpartnerschaftlichen und währungspolitisohen Organen die notwendige Entsprechung im solidarischen Verantwortungsbewußtsein schlechthin fehlt. Nur ein Durchbruch zur Erkenntnis, im „Raumschiff Erde“ aufeinander angewiesen zu sein, läßt die Hoffnung zu, daß dies auf internationalem Gebiet nicht auf die Dauer unbedingt auch so sein muß.

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