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Lehren des schwarzen Montag
Jahre hindurch wurden Börsenberichte regelmäßig mit einer stereotypen Floskel eingeleitet, die auf den anhaltenden Aufschwung der Kurse hinwies; mit Genugtuung wurde häufig noch vermerkt, daß sich im Berichtzeitraum eine Entwicklung fortgesetzt habe, die man schon im vorigen Jahr für kaum noch steigerungsfähig gehalten hatte. Besonders stark haussierten die deutschen Aktienmärkte, aber auch die Wiener Börse wartete mit jährlichen Kurssteigerungsrekorden auf.
Auf diesen Börsen galten die Aktien lange Zeit als unterbewertet und daher besonders billig. Spätestens im vergangenen Jahr wurde aber Anschluß an das internationale Kursniveau gefunden. Ebenfalls 1961 begannen allenthalben Stimmen laut zu werden, die das Kursniveau als überhöht bezeichneten, den Aktienkursen keine reale Basis mehr zuerkannten und darauf hinwiesen, daß offensichtlich das Wirtschaftswachstum kommender Jahre bereits vorweggenommen sei. Der Wachstumsoptimismus, gepaart mit Inflationsfurcht, hatte viele Aktienbewertungen vielfach in schwindelnde Höhen getrieben. Renditeüberlegungen spielten beim Kauf kaum eine Rolle, der Gewinn lag in den Kurssteigerungen und nicht in den Dividenden, die von den Gesellschaften ausgeschüttet wurden. In vielen Fällen blieb die Rendite unter einem Prozent jährlich, nicht nur in Österreich. auch anderswo. Der Aktienmarkt war eine steil nach oben führende Einbahnstraße geworden, auf der — so schien es sicher so manchem — rasch und leicht verdient werden konnte.
Die Korrektur nach unten
Die allgemeine Währunssunruhe. die der Aufwertung der D-Mark und des holländischen Guldens folgte, versetzte die Börsen in einen ziemlich nervösen Zustand, ebenso wurde heftig auf die verschiedenen politischen Krisen reagiert. Wenn man von der Zürcher und der Wiener Börse absieht — dort verlief aus' verschiedenen Gründen die Kursentwicklung 1961 nahezu stetig nach oben — wurde die bisher ziemlich gleichmäßige Aufwärtsentwicklung durch manchmal sogar heftige Kursschwankungen unterbrochen. Der Fortlauf des Kursanstieges war zumindest gehemmt. 1962 kam dann die Ernüchterung, etwa ab März begannen — von New York ausgehend — die Kurse an fast allen Börsenplätzen zu fallen, es war keine hektische Kursbewegung nach unten, sondern ein eher langsames Nachgeben. Die erwartete Korrektur nach unten begann. Die Meinung, die Kurse seien zu hoch, hatte entsprechende Dispositionen zur Folge, es kam zu anhaltenden Abgaben, und die Kurse sanken; die internationale Baisse war da. Sie erschütterte allerdings nur unverbesserliche Haussiers, wurde ansonsten aber als durchaus gerechtfertigte und notwendige Korrektur empfunden. Eine Reihe von Faktoren haben diese „Meinung“ gemacht. Zunächst wurde der Wachstumsoptimismus, der zu den stärksten Triebfedern des Börsengeschehens zählt, gedämpft. Meldungen, daß in diesen und jenen Wirtschaftszweigen mit Abschwächun-gen zu rechnen sei, da die Auftragsbestände zurückgingen, wirkten verstimmend. In den USA schlug sich auch die Unzufriedenheit mancher Kreise mit erheblichem Maße an der Börse nieder. Mit einem Wort, die „Meinung“, eine Änderung des Börsenklimas sei angebracht, setzte sich durch. Die
„Meinung“ wiederum wird neben wägbaren und meßbaren Komponenten auch von unwägbaren, von Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen bestimmt.
Am 28. Mai wurde das Bild der „friedlichen“ Baisse stark getrübt. In New York begannen die Kurse zu stürzen, neue Umsatzrekorde wurden gemeldet, der Dow-Jones-Index gab fast 35 Punkte nach, die Börsengeschichte war um einen „schwarzen Montag“ reicher, und eine Anzahl Aktienbesitzer um viele Dollars ärmer. Der 29. Mai brachte erneut Umsatzrekorde, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen, der „Börsenticker“ “ — Börsentelegraph — war dem gewaltigen Geschäft nicht gewachsen, und erst spät abends wurden die Schlußkurse bekannt: der Dow-Jones-Index hatte gegenüber dem Tag vorher wieder mehr als 27 Punkte gutgemacht. Die europäischen Börsen machten mit einem Tag Verspätung mehr oder minder stark die New Yorker Entwicklung mit.
Die unmittelbar nach dem Krach gegebenen Kommentare spiegelten getreulich die ideologischen Positionen der Kommentatoren wider. Sie reichten von der „Manifestation der freien Wirtschaft“ bis zur frohlockenden Feststellung, daß es bis zur Götterdämmerung des marktwissenschaftlichen Systems nun nicht mehr weit sei. Was die freie Wirtschaft mit einem Börsenkrach manifestieren könnte, ist nicht klar ersichtlich, und daß der Osten zumindest in der offiziellen Propaganda auf die große Wirtschaftskrise im Westen hofft, ist ihm nicht übelzunehmen. Ungeachtet dieser ersten emotiellen Reaktionen ist aber die Frage noch immer offen, wieso es zu einem derartigen Kurssturz kommen konnte?
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