6793816-1971_01_01.jpg
Digital In Arbeit

Rezession oder Normalisierung ?

Werbung
Werbung
Werbung

Wer zur Jahreswende eine Bilanz der Volkswirtschaft ziehen muß, sollte immer an das böse Wort denken, das da lautet: „Ein Konjunkturforscher ist ein Mann, der morgen genau weiß, warum das, was er gestern prophezeit hat, heute nicht eingetroffen ist.“

Vernünftiger als Spekulationen anzustellen, ist es, sich auf „das, was ist“ zu beschränken, daraus Schlüsse zu ziehen und, was leider besonders aktuell ist, ein Ceterum censeo an Warnungen auszusprechen.

Auch im Bereich des ökonomischen tut nämlich ein wenig Demut not. Oder, wie es Eugen Böhler, der weise gewordene schweizerische Nationalökonom, so treffend formuliert hat: „Die Nationalökonomie ist ein ungeheures Schlachtfeld von Modellruinen geworden, auf denen in erhabener Einsamkeit je ein Nationalökonom sitzt“. Und weiter meint er, das wirkliche Gleichgewicht der Wirtschaft sei vom buchhalterischen oder mathematischen völlig verschieden. Verweilen wir darum ein wenig auf der deutschen Szene. Nun klingt auch in der Bundesrepublik Deutschland der längste Boom der Nachkriegszeit ab. Ein scharfzüngiger Beobachter meinte dieser Tage, nicht auf Grund von Leistungen der Konjunkturpolitik steuere die deutsche Wirtschaft jetzt in ruhigeres Fahrwasser, vielmehr nur dank einer Selbstkorrektur der Übersteigerungen und Überhitzungen, die nachgerade immer gefährlicher wurden. Wohl verfügt die Bundesrepublik Deutschland über das angeblich beste Gesetz der Welt zur Konjunktursteuerung, zur Förderung des Wachstums und zur Erhaltung der Stabilität, aber man hat es leider nicht angewendet…

Der Wirtschaftsminister, der vor wenigen Jahren, mit einem Wortschwall sondergleichen und geradezu phantastisch auf der Klaviatur des modernen nationalökonomischen Rotwelsch spielend, angetreten war, den Deutschen „herrliche Zeiten“ zu bringen, ist mittlerweile eher zum wortkargen „Mann ohne Fortüne“ geworden. Wohl wird noch von Zielprojektionen, von Global- und Feinsteuerung gesprochen, aber die Politik, besser gesagt, das Werben um die Wählergunst war stärker und ließ aus der guten Konjunktur eine ausgewachsene Überhitzung werden. Kein Ruhmesblatt für die Hybris von Konjunkturtheoretikern und -Politikern, wenn man schließlich darauf warten muß, daß sich eine Kosteninflation selbst ad absurdum führt.

Denn die Konjunktur läßt sieh nun einmal nicht so steuern, wie das die Adepten der Lehre von der total machbaren Wirtschaft dem Volk vorgaukeln. So hängt heute im deutschen Nachbarland die Frage: Kommt es zu der — von vielen ersehnten — Normalisierung oder artet diese schließlich in eine mehr oder minder ausgeprägte Rezession aus? Deutliche Entspannungszeichen sind sichtbar: bei den Auftragsbeständen, die geringer werden, bei der Überbeschäftigung mit allen ihren demoralisierenden Folgen, die langsam abgebaut wird. Diejenigen, die die Macht des psychologischen Faktors in der Wirtschaft kennen, warnen vor einem „Herbeireden der Krise“. Denn nur eines steht vorläufig fest: Die Konjunktur kühlt -sich ab, aber das findet in den Preisen nicht -seinen Niederschlag. Also auch in Deutschland das Phänomen der „Stagflation“ (eine scheußliche Wortschöpfung, die nur leider den Nagel auf den Kopf trifft)?

Die Überhitzung korrigiert sich selbst, sagten wir einige Absätze weiter oben. Nur trägt sie den Keim einer rezessiven Entwicklung in sich, und vor allem für die so dringend notwendige Fortsetzung der Investitionen hegt man große Sorge. Der frühere deutsche Staatssekretär Professor Hettlage wies knapp vor Weihnachten darauf hin, daß insbesondere von der Lohnentwicklung das weitere Schicksal der Wirtschaft abhängen werde. Die Gewerkschaften, so meinte er, hätten es in der Hand, ob statt einer Normalisierung eine Rezession einsetzen werde.

Ähnliche Warnungen hört man in diesen Tagen auch aus anderen Industriestaaten, vor allem aus den USA. Das sind gewissermaßen die „Normalfälle“. Wohin aber anarchische Arbei-fsbeziehungen . führen, das demonstrieren Großbritannien und Italien in erschreckender Weise, und wie man mit einer Mischung von perfektem Versorgungsstaat, ständig neuen Versprechungen und rücksichtsloser Forderungsdemagogie eine von zwei Weltkriegen verschont gebliebene prosperierende Wirtschaft so weit treiben kann, daß die Landeswährung abwertungsverdächtig wird, das kann man in Schweden lernen.

Ohne Zweifel hat das Jahr 1970 den Wachstumsfetischisten einen kräftigen Stoß versetzt. Es wird vielleicht einmal als das Jahr der großen Ernüchterung über eine allzu lang tatenlos hingenommene inflationistische Entwicklung in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Ist es purer Zufall, daß internationale Organisationen, wie die OECD und die Kommission der Europäischen Gemeinschaft, fast gleichzeitig sehr ernsten Sorgen Ausdruck verleihen, daß etwa die OECD eine deutliche Revision ihrer Wachstumsideologie vornimmt und die Verteidigung des Geldwertes in den Vordergrund stellt? Stimmt es weiters nicht nachdenklich, daß selbst in den hochkapitalistischen Vereinigten Staaten von sehr vernünftigen Experten rigorose Maßnahmen gegen den ständigen Auftrieb von Löhnen und Preisen verlangt werden? In allen diesen Darlegungen wird immer wieder die Lohnpolitik als ganz wesentliches Bestimmungselement der Wirtschaft genannt.

An dieser Jahreswende haben sich in traditioneller Weise auch in Österreich wieder die Konjunkturforscher und die Verbände der Sozialpartner zur wirtschaftlichen „Lage der Nation“ geäußert. Hier soll nur das ausgesprochen werden, was man nicht gerne zu sagen wagt.

1. Die Gefahr für die Wirtschaft wird um so größer, je mehr in der Wortzusammensetzung Wirtschafts-Politik die Politik — als Demagogie, als Schacher um Wählerstimmen, als Taktik des Opportunismus und der Versprechungen — ihr Unwesen treibt, und je weniger Politik als Ordnungsfunktion begriffen wird.

2. Daraus folgt: Schuld an der ständigen Ausweitung des Geldwertes

(Fortsetzung auf Seite 2)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung