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Vorsorgen statt verputzen

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Die Sanierung des sozialen Netzes erfordert mehr Eigenvorsorge. Der einzelne gewinnt so mehr Unabhängigkeit vom staatlichen Budget.

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Die Sanierung des sozialen Netzes erfordert mehr Eigenvorsorge. Der einzelne gewinnt so mehr Unabhängigkeit vom staatlichen Budget.

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Für den gegenwärtigen Aktienbörsenboom gibt es einen guten Grund, Ihr Geld, Ihr. Pensionsgeld. Da das Vorsorgekapital von den Investment- und Pensionsfonds in Anteilscheinen der eigenen Wirtschaft veranlagt wird, steigt die Nachfrage und damit deren Wert. Nahezu täglich gibt es neue Index-Tops. Ein Ende der Hausse ist nicht absehbar."

So begründen Finanzkommentatoren derzeit den gigantischen Aufschwung der Aktien. Nein, natürlich nicht bei uns in Österreich. Da ging es heuer deutlich bergab. Die Rede ist von den USA, aber auch von anderen Industriestaaten, wo die Aktienkurse 1995 kräftig angestiegen sind, weil die Pensionsgelder dort nicht wie in Österreich von den Erwerbstätigen direkt zu den „Alten" fließen (Umlagesystem), sondern von Pensions-fondsmanagern im Kapitaldeckungssystem veranlagt werden, vor allem in Aktien und langlaufenden Anleihen.

Absurderweise betrachten die Österreicher, im Gegensatz zu den Amerikanern, unser System des „ein anderer wird schon dereinst meine Pension zahlen" als sicher und die Veranlagung der Pensionsgelder am Kapitalmarkt demgegenüber als höchst unsicher. Unser System in Österreich ist das sicherste der Welt, hört man oft aus Politiker- und Funktionärsmund, ohne den wichtigen Zusatz, denn wir haben keine veranlagten Reserven.

Die Österreicher schätzen rein gefühlsmäßig das Veranlagungsrisiko beim Pensionsfondsmanagement höher ein als unser System ohne Kapitalreserven. In jeder Pensionsdiskussion, bei der man in Österreich auf den volkswirtschaftlichen Wert und die Sicherheit des in anderen Industriestaaten weitverbreiteten Kapitaldeckungssystems hinweist, erhält man unter Applaus des Publikums das Kontra-Argument: mit unseren Pensionen darf nicht auf irgendwelchen Börsen herumspekuliert werden. Die Menschen, auf die die Politiker sich gerne berufen, halten bei uns das gegenwärtige Umlagesystem für sicherer als ein Kapitaldeckungssystem und befürworteten (bisher noch?) die Vorsorge ohne angesammelte Reserven.

Fragt man gezielt, ist Ihnen ein Pensionssystem lieber, wo Ihr Geld für Sie bis zu Ihrem Pensionsantritt „verzinst aufgehoben" wird? Oder möchten Sie lieber, daß es sofort anonym über irgendwelche Pensionsversicherungsanstalten an irgendwelche ihnen unbekannte Personen ausgegeben wird, in der Hoffnung, daß andere, Ihnen unbekannte Personen, einst einmal ebenso anonym Ihnen im Alter Geld zukommen lassen, da kann man allenfalls noch eine Zustimmung erreichen. Wenn man aber konkret wird und dann die Veranlagung der Vorsorgegelder am Kapitalmarkt, wo sonst(?), anspricht, verliert man wiederum die Zustimmung zum Kapitaldeekungssystem.

Jahrzehntelang wurden die Österreicher von den „Risken" der Kapitalmärkte „ferngehalten". Dies geschah in trauter Zweisamkeit von Banken, als Sparbuchgeld-Sammlern, sowie Politikern als Pensionsgarantie-Versprechern. Jetzt just die Kapitalmärkte als sicheren Hort für Vorsorgeinvestments zu preisen, wird besonders in Österreich sehr schwierig sein.

Zudem hatte das Umlagesystem bei uns einen ganz besonderen Startvorteil. Nach der Vermögensvernichtung durch den Krieg gab es sofort ein funktionierendes Pensionssystem. Denn die Erwerbstätigen zahlten willig für die „Alten", für die ja keinerlei Beitragsrücklagen vorhanden waren. Die zweite Säule, das betriebliche Pensionssystem, und die dritte Säule, die Eigenvorsorge, hatten bei uns immer ein Schattendasein angesichts der Dominanz des Umlagesystems. Und die vierte Säule, das Weiterarbeiten, war ganz unabhängig von den Bu-hensbestimmungen, nie besonders populär. Im Alter noch weiterarbeiten, wie man es in den USA nicht nur aus finanziellen Gründen sehen kann (viele ältere Menschen arbeiten dort auch freiwillig und unentgeltlich in karitativen und sozialen Organisationen), hat bei uns keinen positiven Wert.

Das gegenwärtige Umlagesystem hat außerdem noch eine auf die Spareinstellung sonderbare Auswirkung. Nach meinen nicht ganz unrepräsentativen, vergleichenden Sparbefragungen in den USA und in Österreich sind die Sparziele höchst unterschiedlich. Auf die Frage, was wollen sie mit dem von ihnen angesparten Geld einmal anfangen, bekommt man in Österreich zumeist die Antwort: „verputzen". Man fühlt sich bei uns rundum sozial abgesichert, braucht demgemäß nicht für finanzielle Schicksalsschläge Vorsorgen und steht auch nicht vor dem Zwang, in die Ausbildung der eigenen Kinder zu investieren. Alles zahlt der „Staat". In den USA und anderen westlichen Industriestaaten hört man demgegenüber als oberstes Sparziel: die Absicherung vor finanziellen Notfällen durch Alter, Krankheit und hohe Studienkosten der Kinder.

Weil die Menschen in der westlichen industriellen Welt langfristige finanzielle Vorsorge für das Alter betreiben, sind dort auch die Sparziele wesentlich länger. Dies ist wiederum die Voraussetzung zur Veranlagung auf den Kapitalmärkten. Kurzfristig sind Aktien und Anleihen unberechenbaren Kursschwankungen unterworfen. Längerfristig, dies zeigt jede internationale Statistik deutlich und klar, ist der Ertrag mit an erster Stelle Aktien und an zweiter Stelle Anleihen wesentlich höher als mit kurzfristigen Geldmarktanlagen, so wie es die Österreicher mit �ihrem Spar-büchel-Tick machen.

Die Anzahl der von Inländern gehaltenen Sparbücher beträgt sage und schreibe 26 Millionen. Darauf liegen 1.500 Milliarden(!) Schilling. Davon befinden sich 75 Milliarden auf täglich fälligen Sparbücheln. 694 Milliarden Schilling sind mit einer vereinbarten Kündigungsfrist von unter zwölf Monaten veranlagt, weitere 108 Milliarden mit einer Kündigungsfrist von zwölf bis 24 Monaten. Lächerlich gering hingegen ist demgegenüber der Vermögensbestand inländischer Aktienfonds: 6,5 Milliarden Schilling!

Nimmt man die gegenwärtige eher ablehnende Stimmung in der Bevölkerung zur Eigenvorsorge über am Kapitalmarkt investierenden Pensionsfonds als Maßstab, dann ist es noch ein langer Weg bis zur Stärkung der zweiten und dritten Säule in der Altersvorsorge, so wie sie zum Beispiel auch in der Schweiz existieren. Aus der Sicht der persönlichen Altersvorsorge ist es allerdings nur ein kleiner Schritt zur Sparziel- und Investmentstrategieveränderung.

Wer sein Geld „allzeit bereit zum Verputzen" nur am Geldmarkt, nur am kapitalertragssteuerpflichtigen Sparbuch mit geringem Zinsertrag liegen läßt, kann sein Kapital real, preisbereinigt, kaum vermehren. Das Abzielen auf steuerfreie Wertzuwächse zusätzlich zu den Gewinnausschüttungen, Dividenden, Zinserträgen hilft beim Aufbau eines persönlichen Kapitalsammeisystems, das Be-serven für das Alter und finanzielle Belastungen schafft, die in Zukunft nicht mehr vom „Staat" getragen werden können. Mit der Veranlagung in bei jedem Geldinstitut erhältlichen spesengünstigen nationalen und internationalen Investmentfonds hat jeder Österreicher, gleich seinem Vorsorgekollegen im westlichen Ausland die Chance, sich seine von budgetpolitischen Einflüssen unabhängige Pension selbst zu „garantieren".

Der Autor ist

Finanz- und Wirtschaftspublizist sowie Lehrbeauftragter am Institut für Volks-wirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik an der Wirtschafisuniver-sität in Wien.

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