Wieviel Keynes verträgt Europa?

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Die Kurskorrektur von EU und EZB verschafft dem Euro die dringend notwendige Atempause. Ein Ausweg aus der Schuldenkrise ist das aber nicht. Eine Analyse.

In Zeiten erhitzter Diskussionen über Staatsbankrott, Milliardenstütze und das Zerbrechen der Eurozone sollte ab und an auch jener Gelehrte zu Rate gezogen werden, der unsere Krisenpolitik seit mindestens zwei Jahren sozusagen aus dem Jenseits anleitet: John Maynard Keynes. Wie wahr, empfiehlt er das Schuldenmachen in schlechten Zeiten zur Wiederherstellung der guten Zeiten. Allerdings scheint ihm dafür Grundvoraussetzung gewesen zu sein, dass in guten Zeiten auch hart gespart würde. Der Volksmund kennt diese Logik stark vereinfacht: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“ In der heutigen Situation Europas lässt sich jedenfalls kühlen Kopfes feststellen: Wir sparten nicht in der Zeit, taten vielmehr das Gegenteil und haben deshalb nun auch nichts in der Not. Manche haben – untertrieben gesprochen – auch noch weniger als nichts: Griechenland beispielsweise.

Dazu bittet Keynes nun ein zweites Mal um Gehör: „Wenn ich Ihnen ein Pfund (engl. Währung) schulde, dann habe ich ein Problem, schulde ich Ihnen eine Million, dann haben Sie eines.“

Keynes Schuldnerlogik, ob sie nun unfreiwillig von Griechenland, Spanien, Portugal oder Italien ausgeübt wird, fiel nun die Eurogruppe zum Opfer. 750 Milliarden Euro umfasst der Rettungsfonds des gemeinsamen Hauses und seiner Währung, die in Zukunft nicht mehr ganz so häufig als „Rettungsanker der Stabilität“ bezeichnet werden wird.

Nur damit kein Missverständnis aufkommt: Spätestens ab Freitag gab es zu dieser Aktion keine Alternative mehr, als nämlich beinahe alle Staatsanleihen der EU-Staaten auf den Finanzmärkten absackten. Selbst der glühendste Verdammer von regulativen Eingriffen in die Freiheit der Märkte in der Europäischen Zentralbank erkannte da, dass die harte Linie von Stabilität und eherner Prinzipientreue aufgeweicht werden müsse. Zum Erhalt des Systems – nicht zu seiner Veränderung – wohlgemerkt.

Die entregelte EZB

Die von den EU-Staaten festgelegten Regeln der europäischen Zentralbank sind, so meinen verzweifelte Juristen, außer Kraft angesichts der Tatsache, dass die EZB nun selbst Anleihen verschuldeter Staaten kauft, ein von anderen Staaten übrigens durchaus geübtes Verfahren, das sich die EZB aber verboten hatte, in Sorge, damit die Inflation zu befördern. Weiters wieder erlaubt: Swap-Geschäfte zur Stabilisierung des globalen Währungssystems – und vor allem des Euro.

Dazu kommt dann noch die Wiedereinsetzung aller in der ersten Krisenphase eingesetzten Mittel zur Förderung des Geldflusses am Interbankenmarkt, der in den Tagen der Griechenland-Panik wieder praktisch zum Erliegen gekommen war. All dies und 750 Milliarden Euro von den Mitgliedstaaten wird die Aktion kosten. War in den vergangenen Tagen viel von der Theorie des Eigeninteresses die Rede, so wird nun also Solidarität gelebt. Ein jeder sei künftig also seines Nächsten Schulden Halt und Kontrollor – das ist der Auftrag des Brüsseler „Special Purpose Vehicle“. Bis zu 440 Milliarden sollen im Ernstfall sofort zur Verfügung stehen.

Die Reaktion auf so viel Großzügigkeit? Das Desaster, das sich am Wochenende ankündigte, wurde auf allernächste Dauer vermieden. Und selbst eine Restrukturierung der griechischen Schulden, also eine Teilabschreibung der Schulden, schreckt noch nicht, solange der Totalverlust vermieden wird.

Doch viel hängt davon ab, ob das Beschlossene auch gehalten wird. Mit Schrecken erinnerten Montag Finanzmarktexperten daran, dass vor wenigen Wochen die Griechenlandbeschlüsse aus Brüssel schon einmal von Politikern, die sie mitbeschlossen hatten, postwendend infrage gestellt wurden, mit bekannt desaströsen Folgen. Der gesellschaftliche Druck auf die Geldgeber wird jedenfalls nicht kleiner werden, wenn eine bis dato Eigennutzgemeinschaft zum Gemeinnutz gezwungen wird. Der Wiener Ökonom Dieter Stiefel: „Sparen ist eine bürgerliche Tugend, mit der praktisch jeder einverstanden ist, aber immer nur beim anderen.Welcher Widerstand kommt von der Bevölkerung und von den Interessenorganisationen?“ Wie zur Bestätigung toben nun bereits Opposition (allen voran das BZÖ!) und Interessenvertreter über die Milliardenhaftung. Das zweite Problem: Was helfen die Milliarden, wenn sich am strukturellen Ungleichgewicht in der Union nichts ändert, die Griechen also auch künftig als gemeinschaftliche Schuldenkaiser fix gebucht bleiben?

Außerdem sollte Europa in Bälde wieder Rücksprache bei John Maynard Keynes halten und nachfragen, ob man ihn denn auch wirklich richtig verstanden habe in seiner Substanz: Man mache Schulden, um einen Aufschwung zu erreichen, der ein Wachstum beschert, das dann die Schulden tilgt. Es ist eine Spekulation, die uns bisher einen ganzen Berg Geld gekostet hat. Wie viel Keynes können wir uns noch leisten? Diese Frage ist nicht nur für uns selbst, sondern auch für jene Spekulanten von Belang, die auch künftig hohe Staatsdefizite und politische Dummheit in der Sekunde bestrafen werden.

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