Wendekreis der Schuldenhölle

Werbung
Werbung
Werbung

Das Wort Austerität wird wohl zum Unwort des Jahres gekürt werden. Dabei haben die Staaten der EU noch nicht einmal richtig mit dem Sparen begonnen. Die politischen Gefahren steigen.

Wann immer "Zeitenwenden“ nach Wahlen verkündet werden, ist eine kleine Prise Misstrauen nicht unangebracht, zumal in Zeiten der Eurokrise. Das gilt auch für den neuen Präsidenten der französischen Republik. Der wurde von seinen Anhängern als neue anti-neoliberale Hoffnung Europas auf den Schild gehoben, als Retter aus der Krise und als sozialer Schutzpatron Europas noch dazu. Da hat François Hollande viel zu schultern. Im Internet konstatierten Blogger und Journalisten auch gleich den endgültigen Sieg des Keynesiansimus über den Neoliberalismus.

Aber hatten wir das nicht schon alles? Waren nicht auch schon die Bankenrettungen und Konjunkturpakete der vergangenen Jahre - gleich von welcher der 27 EU-Regierungen - Keynesianismus reinster Natur? Leider halt nicht unter der Berücksichtigung von John Maynard Keynes selbst, der stets gefordert hatte, dass man nur ausgeben könne, was man habe und in guten Zeiten das Geld dafür ansparen solle.

Damit ist eigentlich schon sehr viel zum politischen Zustand Europas gesagt - und zu der selektiven Wahrnehmung der Wirtschaftslage. Europas Staaten haben kein Geld mehr, sollten eigentlich sparen und dürfen das eigentlich nicht, weil sie sonst das Wachstum abwürgen. Und das ist nur die erste Hälfte der Wahrheit eines sehr profunden Dilemmas. Es geht dabei um die Haltbarkeit von Politik generell: François Hollande, der neugewählte Präsident Frankreichs, wird mit seinem Plan, das Pensionsalter wieder herunterzusetzen und 60.000 neue Lehrer an die Schulen zu bringen, mit Sicherheit kein Wachstum schaffen. Auch die Wiederaufnahme von Sozialleistungen für Künstler wird nichts weiter bringen als zunächst gute Presse - und ein noch größeres Budgetloch.

In Wirklichkeit ist Deutschland wohl das einzige Land innerhalb der Eurozone, das sich aktuell eine keynesianische Politik wie Hollande sie sich wünscht, leisten könnte. Angela Merkel will aber just das Gegenteil tun und wird dafür querbeet zur Buhfrau Europas degradiert.

Merkel als Buhfrau

Eine ganze Heerschar prominenter Ökonomen übt seit Monaten harsche Kritik an Merkel. Zuletzt waren das Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, der die Auflagen des europäischen Fiskalpaktes mit dem Aderlass des Mittelalters verglich: "Eine Überdosis Sparen macht alles nur noch schlimmer. Das ist, als würde ein Arzt einen Patienten zur Ader lassen und nach dem Tod des Patienten darüber klagen, dass noch etwas Blut im Körper war.“ Ebenso heftig zieht Paul Krugman vom Leder: "Die Franzosen revoltieren, die Griechen revoltieren - und sie haben recht damit! Europas Wähler sind weiser als die Besten und Gescheitesten (Politiker Anm.).

Inhaltliche Widerhaken

Die feurige Kritik ist allerdings von inneren Widersprüchen begleitet. Denn weder Krugman noch Stiglitz können erklären, woher denn die Regierungen in Griechenland, mittlerweile aber auch in Frankreich das Geld nehmen sollen, um das hochgerühmte Wachstum zu schaffen. Als es noch nicht um Spanien und Portugal, um Irland und Belgien ging, war die Antwort darauf einfach: Helft den Griechen mit einem Stabilitätspakt, indem ihr direkt ihre Budgetnöte stillt und einen Marshallplan für ihre Volkswirtschaften erstellt - oder schafft Eurobonds und erhöht damit die Kredibilität der Einzelstaaten - zumal der Pleitekandidaten.

Beide Wege werden aus innenpolitischem Kalkyl von Deutschland und anderen reichen Staaten abgelehnt, müssten diese doch über Eurobondes selbst höhere Zinszahlungen für ihre Staatsschulden erwarten. Eine dritte Möglichkeit wurde von François Hollande im Wahlkampf thematisiert: Die Rolle der EZB als Gelddruckmaschine. Das alles ist freilich nicht so einfach. Die Geldflutung wären bloß neue Schulden, die man über die alten türmt. Doch damit hätte François Hollande wohl auch sein wichtigstes politisches Ziel gebrochen: Seine Politik auf die Jugend abzustimmen. Diese Jugend würde ja die neuen Schulden erben.

Hier tut sich der vermeintliche Königsweg für Demagogen aller Couleurs auf. Warum nicht die Bevölkerung über Sparen oder Schuldenmachen abstimmen lassen? Heinz Christian Strache wird damit wohl die kommenden Wahlen bestreiten. Dem Volk bliebe es überantwortet, Sparpakete abzulehnen. Das wäre die einfachste Form der Politik. Sie wird derzeit übrigens bereits in Slowenien angewendet. Mit Erfolg: Gerade ist eine Regierung über die "Austerität“ gestolpert, da steckt nun schon die nächste in der Plebiszit-Falle. Paul Krugman würde das wahrscheinlich als Weisheit des Volkes beschreiben. Aber könnte es sich nicht auch um das Gegenteil handeln?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung