Das griechische Experiment

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Aus dem Lehman-Debakel 2008 in den USA folgert die „Süddeutsche“, dass Europa das Euro-Mitgliedsland Griechenland jetzt stützen muss.

Natürlich könnten die Europäer Griechenland fallen lassen. Natürlich könnten sie schauen, was passiert, wenn eines der Länder der Euro-Zone pleite geht. Natürlich könnten sie ausprobieren, ob die Währungsunion den Bankrott überlebt. Aber es wäre ein riskantes Experiment, das die Euro-Staaten, ja die gesamte Europäische Union sehr teuer zu stehen kommen könnte.

Die Europäer würden in einem solchen Fall testen, was die amerikanische Regierung und die amerikanische Notenbank im Fall Lehman Brothers getestet haben: Kann man eine große Institution – eine Bank, ein Land – in einer hochkomplexen, miteinander verwobenen Finanzwelt einfach in Konkurs schicken? In Washington war man überzeugt, dass dies möglich sei. Und deshalb entschlossen sich Politiker und Notenbanker, ein Exempel zu statuieren. Sie wollten deutlich machen, dass der Staat nicht dazu da ist, jede Bank zu retten. Die Folgen dieses Experiments waren verheerend: Die Welt stürzte in die schlimmste Wirtschaftskrise seit acht Jahrzehnten, das Finanzsystem wankte – und der Staat musste tun, was er ursprünglich nicht wollte, und die Mehrzahl der großen Banken retten.

Sollen Staaten eingreifen oder die Pleite zulassen?

Griechenland, so mag man einwenden, ist nicht Lehman Brothers, ein Staat funktioniert anders als eine Bank, der Handel mit Staatsanleihen unterscheidet sich deutlich vom Geschäft mit hochriskanten Derivaten, wie es Banken à la Lehman betrieben haben. Und doch gibt es manche Parallele. Wieder geht es darum: Sollen Staaten eingreifen – oder die Pleite zulassen? Sollen sie ein Rettungspaket schnüren – und falls ja: zu welchen Bedingungen? Und wie schon bei Lehman geht es nicht bloß um den Einzelfall. Wenn Griechenland kippt und niemand der Regierung in Athen hilft, die EU nicht und auch nicht der Internationale Währungsfonds, droht eine Kettenreaktion: Die Anleger könnten sich auch von anderen hochverschuldeten Euro-Ländern abwenden: von Portugal, Irland, Spanien oder Italien. […]

All dies mag weit weg erscheinen. Und doch: Solche Kettenreaktionen, in der eine Krise sich wie ein Virus ausbreitet, hat es in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Die schlimmste Epidemie dieser Art erlebten die „Tigerstaaten“ in Südostasien 1997 und 1998. Ein Staat nach dem anderen wurde infiziert, Thailand, Südkorea, Indonesien und Malaysia; auch Russland bekam die Auswirkungen zu spüren und meldete Bankrott an.

Solche Erfahrungen dürften in der Europäischen Union eine Rolle spielen, wenn es um die Frage geht, ob und wie die Gemeinschaft den Griechen helfen kann. Angela Merkel zögert noch, weil sie die Politiker in Athen nicht für ihr Ausgabengebaren belohnen will und die Misere weit vor der Krise begann. Und doch wird Merkel sich einer Hilfsaktion nicht verweigern können, weil eine Staatspleite für die EU am Ende viel gefährlicher wäre. Entscheidender ist, zu welchen Bedingungen ein Notkredit gewährt wird. Denn Fehlverhalten muss bestraft werden – ob bei Banken, oder Staaten. Die EU wird die Regierung in Athen daher entmachten und ihr diktieren müssen, wie sie ihren Etat anschließend in Ordnung bringt. Dann wäre klar: Hier handelt es sich nicht um einen Freibrief für alle, die allzu locker auf Pump leben.

Dies übrigens wäre eine Lehre, die die EU ebenfalls im Bereich der Banken anwenden müsste. Es reicht nicht aus, dass die Banken die staatlichen Hilfen zurückzahlen. Der Staat muss sie einer harten Regulierung unterwerfen, um neues Fehlverhalten zu verhindern. Auch hier gilt: Der Fall Griechenland und der Fall Lehman sind nicht identisch, aber man kann aus ihnen wechselseitig lernen.

* Süddeutsche Zeitung, 01. 02. 2010

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