In der Rolle des ehrlichen Narren

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Zu beneiden ist er nicht. Zumindest in englischsprachigen Medien war Yanis Varoufakis, Ökonomieprofessor und nunmehriger griechischer Finanzminister, ein begehrter Interviewpartner und spitzzüngiger Kommentator, als er die Bühne der Politik betrat. Aber in seiner neuen Rolle geht es nicht mehr nur um Analysen und Ideen, sondern um das Aufeinanderprallen von Interessen. Jetzt muss er für sein Land Zeit und Spielraum aushandeln, damit erste Maßnahmen für die verarmten Teile der Bevölkerung greifen können und der Umbau des Staates, wie er der Regierungspartei SYRIZA vorschwebt, wenigstens beginnen kann. Echte "Reformen" sollen das sein, sagt Varoufakis, nicht eine "Deformation", als die er die ideenlos und ohne Rücksicht auf Schwächere umgesetzte Austeritätspolitik der Troika brandmarkt.

Kein Schlaraffenland

Entgegen medialen Angstreflexen ist Varoufakis kein linker Träumer ohne Realitätsbezug. Wohlweislich verspricht er seinen Landsleuten kein kreditfinanziertes Schlaraffenland, sondern schwört sie auch weiterhin auf harte Zeiten ein. Einfaches Leben statt Luxus, das ist die Devise. Der parteifreie Linke verweigert sich einer Logik, nach der die Überschuldung durch ständig neue Kredite bekämpft werden soll -und das zu Bedingungen, die die Wirtschaft lähmen und große Teile der Bevölkerung in Armut stoßen. Wenn er in Aussicht stellt, Griechenland werde in Zukunft keine Schulden mehr machen, klingt das nach konservativer Null-Defizit-Politik. Entscheidend aber wird sein, ob es ihm und der Regierung gelingt, tatsächlich Wachstumsimpulse zu setzen, und durch Maßnahmen wie den Kampf gegen Korruption, Klientelpolitik und Steuerflucht die Belastungen gerechter zu verteilen.

Im Sommer 2013 erläutert der Wirtschaftsprofessor auf der Terrasse seiner Wohnung in Akropolis-Nähe seine Sichtweise. Über die bekannten Probleme seines Landes macht er sich keine Illusionen: "Korruption, schlechte Steuerpolitik, Kleptokratie, Überschuldung, Schuldenkrisen. Das hatten wir schon immer." Aber Varoufakis hält diese Sündenliste nicht für die eigentliche Ursache der schweren Depression, in die das Land geschlittert ist. Er illustriert seine Gedanken gern durch Rückgriff auf die Antike. Die Zerstörung Pompejis durch Lava und Asche sei nicht durch das sündige Leben seiner Bewohner verursacht worden, sondern durch einen Ausbruch des Vesuv. "Und das", fügt er hinzu, "obwohl die Pompejaner zweifellos ein sündiges Leben führten." Der Vesuv ist für ihn -nach dem Schock der Lehman-Brothers-Pleite -vor allem eine mangelhafte Konstruktion des Euro-Währungsraumes, in dem Waren und Kredite ungehindert von den Überfluss-in die Defizitgebiete fließen und dabei Ungleichgewichte und Finanzblasen bilden.

Spaltungstendenzen

Dem Athener Professor geht es nicht nur um Griechenland. Ohne den Ausbau des Euro zu einer echten Gemeinschaftswährung sieht er schwarz für die Zukunft der europäischen Union: "Die gemeinsame Währung reißt uns auseinander." Mit seinen Kollegen Stuart Holland und James K. Galbraith hat er unter dem Titel "Modest Proposal" Vorschläge zur Lösung der Euro-Krise vorgelegt: Wie man verhindern kann, dass überschuldete Banken von überschuldeten Staaten aufgefangen werden müssen, wie man die hohen Schulden durch teilweise Umwandlung in Anleihen in den Griff bekommt, wie gezieltes Investment die Wirtschaft belebt und wie man durch ein europäisches Solidaritätsprogramm Menschen aus der Armut hilft. "Europa erlebt die schlimmste humanitäre und soziale Krise seit den späten Vierzigerjahren", heißt es im Text. Varoufakis ist davon überzeugt, dass die schwierige Lage außergewöhnliche Maßnahmen erfordert: einen Marschallplan, einen New Deal, damit Griechenland sich erholt, und mit ihm ganz Europa.

Derzeit sieht es bisweilen so aus, als wären die Griechen vorlaute neue Schüler in der Klasse, die erst lernen müssen, sich zu benehmen. Aber wenn Yanis Varoufakis eine Fortschreibung der bisherigen Politik ablehnt, tut er es nicht nur, um seinen Wählern im Wort zu bleiben. Er hat die gesamte EU im Blick. "SYRIZA könnte in Europa die Rolle des Dorftrottels übernehmen, der es sich erlauben kann, die Wahrheit zu sagen", meinte er 2013. "Schon ein Lichtstrahl könnte die Dunkelheit zunichte machen. Man braucht dafür zunächst nur eine einzige Regierung, die nein sagt."

Ob er damit angesichts europäischer Realpolitik eine Chance hat? Zu beneiden ist er nicht.

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