Der Weg der Union ins Desaster

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In einem Kommentar in der Süddeutschen Zeitung fordert Joschka Fischer die Politiker Europas auf, in der Schuldenkrise endlich entschlossen zu handeln.

Seit dem Beginn der griechischen Schuldenkrise im Spätwinter 2010 mussten und müssen die wichtigsten europäischen Akteure eigentlich um die Risiken und Konsequenzen wissen, die sich für die EU daraus ergeben. Sie hinterlassen beim Publikum aber nicht diesen Eindruck.

Es geht seit damals nicht nur um Griechenland, sondern um sehr viel mehr: Es droht ein von der ungeordneten Insolvenz Griechenlands ausgehender Schneeballeffekt, der weitere Länder der südlichen Peripherie der EU und damit systemrelevante europäische Banken und Versicherungen mit in den Abgrund reißen wird; es droht in der Folge eine erneute Krise des Weltfinanzsystems mit einem erneuten weltwirtschaftlichen Schock; und es droht ein Scheitern der Euro-Zone, das den gemeinsamen Markt nicht unbeschädigt lassen wird und deshalb auch ein Scheitern des europäischen Projektes. Im Klartext: Es geht um fast alles! Warum aber regiert statt energischem Krisenmanagement und einer visionären Neuausrichtung der EU als Antwort auf deren existenzbedrohende Krise fast ausschließlich das Prinzip des "Zuwenig und zu spät“? Worauf warten die Regierungschefs eigentlich? Will man den Bevölkerungen keinen reinen Wein einschenken, weil man um die Wiederwahl fürchtet? Die Finanzkrise ist eine politische Krise, weil die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage sind, sich für die notwendigen Maßnahmen zu entscheiden.

Entbehrliche Bankenbeteiligung

So richtig es grundsätzlich ist, eine Beteiligung der Banken an der Finanzierung der Krise zu fordern, so wenig Sinn hat es, darauf zu bestehen, solange eine solche Beteiligung getreu der Devise "too big to fail“ zu einer erneuten Krise des Finanzsystems führen kann. Zu Beginn des Jahres 2009 hätte dazu durch eine Neuaufstellung des gesamten Systems eine große Chance bestanden, aber diese ließ man kaum genutzt verstreichen. Die europäische Finanzkrise wird sich weiter voranfressen und die EU destabilisieren, wenn die existenzbedrohende politische Krise der EU nicht beantwortet wird. Im Zentrum der politischen Krise steht die Gewissheit, dass der Euro und die EU ohne politische Union nicht überleben werden.

Die Gefahr alles zu verlieren

Will man den Euro erhalten, muss man sich schleunigst auf den Weg in die politische Union machen, oder man wird den Euro und die europäische Integration nolens volens rückabwickeln. Europa würde dann nahezu alles verlieren, was es an Fortschritten über ein halbes Jahrhundert erreicht hat. Dies wäre angesichts der entstehenden neuen Weltordnung eine Tragödie. Der Präsident der EZB, Jean-Claude Trichet, hat eine Antwort auf diese Existenzkrise versucht, indem er die Schaffung eines EU-Finanzministers vorgeschlagen hat. Die Reaktion der Staats- und Regierungschefs darauf war umwerfend deprimierend und zeigte, dass offensichtlich kaum jemand bereit ist, sich der Tiefe der Krise der EU wirklich zu stellen.

Wir werden mehr und nicht weniger Europa brauchen und, ja, die reichen Volkswirtschaften - vorneweg Deutschland - werden den Weg aus der Krise bezahlen müssen. Deutschland und Frankreich müssen zu einer gemeinsamen Strategie kommen. Deswegen bedarf es jetzt eines offenen Dialogs über eine Neuaufstellung der Währungsunion.Wir Europäer sollten trotz all der Krisen und Handlungsunfähigkeit nicht vergessen, wie wichtig der Bestand und die Zukunft der EU ist. Das europäische Wappentier ist der Stier und nicht ein kopfloses Huhn, wie es gegenwärtig den Anschein haben könnte. Vergessen wir das nicht!

* Aus Süddeutsche Zeitung, 21. Juni 2011

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