Europas Angst vor einem Votum

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Es wirkt wie ein Zufall, könnte aber so viel Sinn machen, als wäre es ein Plan: Herman Van Rompuy, Präsident der Europäischen Kommission, soll nächste Woche, konkret am 9. November in Berlin eine "Europa-Rede" halten. Das trifft sich gut mit seiner Agenda. Vor den 600 von drei Stiftungen geladenen Gästen kann er andeuten, wie er die ihm vom Europäischen Rat erst vorige Woche erteilte Hausaufgabe zu erfüllen gedenkt: bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Dezember einen Vorschlag auszuarbeiten, wie ein Mechanismus zur Bewältigung finanzieller Krisen eines EU-Staates formuliert werden könnte. Genau über diesen - mit einer schauderhaften Wortschöpfung ins Leben gerufenen - Krisenbewältigungsmechanismus gibt es in der Europäischen Union eine wesentliche und ernsthafte Debatte: Ändert er das Regelwerk so sehr, dass darüber in Ländern und Parlamenten Abstimmungen abzuhalten sind, die auch verloren gehen können?

Fünf richtige Ziele

Zuerst: Was Bewältigungs-Mechanismus heißt, ist eigentlich eine Vermeidungs-Mechanismus. Das ist gut so und etwas vom Besten, was der Europäische Rat je grundsätzlich entschied. Es ist diesfalls völlig unerheblich, ob sich - wie kolportiert - Deutschlands und Frankreichs Regierungsspitzen, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy zuerst alleine geeinigt und dann gegen andere durchgesetzt haben oder ob es besser umgekehrt gelaufen wäre. Wesentlich sind die fünf Ziele, welche eine eigens dafür gegründete Task Force den Regierungschefs mit auf den Weg zum Gipfel gab.

Der Rat hat in seinen Konklusionen dem Bericht und den Zielen der Task Force zugestimmt. Diese bestehen in einer größeren Disziplin in den Haushalten, einem neuen Mechanismus und Zeitraum zur Erfassung ökonomischer Daten, in einer festeren Struktur für das Krisenmanagement und in unabhängigen Institutionen, die Finanzpolitik und deren Nachhaltigkeit überprüfen sollen. Das klingt nicht nur, das ist samt und sonders gut und richtig. Aber es ist zu wenig, es ist nicht couragiert genug, es ist zu allgemein.

Mehr und besser wäre es, jene absurden finanziellen Transaktionen und Hebel, die überhaupt zum Desaster etwa der Verschuldung von Griechenland, Island oder Irland führten, abzustellen. Aber für ein derartiges Regulativ der Finanzmärkte scheint die Kraft nicht zu reichen. Und mutig wäre es gewesen, die Ursachen der Krise zu benennen und daher zu sagen: Ja, die Europäische Union braucht wegen ihrer gemeinsamen Währung eine gemeinsame Politik für die Finanzmärkte. Diese sei einzubetten in eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, die zudem eine akkordierte Steuerpolitik fördert.

Debatte führen, um zu gewinnen

Doch so etwas zu beschließen, haben die Staats- und Regierungschefs nicht gewagt. So bleibt es - vorerst - bei einer Hausaufgabe für Rumpoy, an der er zu scheitern droht: Er soll eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorlegen, allerdings ohne eine Vertragsänderung nach Artikel 48 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) auszulösen. Das kann nicht gelingen. Es ist nicht möglich, Brüssel zusätzliche Zuständigkeiten zu übertragen, ohne den Mitgliedsstaaten welche abzunehmen.

Genau diese Diskussion - wie viel Europa braucht es für welches Ziel? - wird nicht geführt. Wenn der ständige Krisenbewältigungsmechanismus wirksam sein soll, brauchen seine Hüter starke Zuständigkeiten. Das bedeutet, nationale Wirtschafts- und Finanzpolitik zu schwächen, ihren Spielraum einzuengen. Stellt man diesem Umstand den Gewinn in der Sache - Stabilität, geordnete öffentliche Finanzen, Vermeidung von Überschuldung - gegenüber, ließe sich das in einer politischen, öffentlichen Debatte durchsetzen. Dazu müsse man sie allerdings führen, wofür hier kaum jemand bereit ist.

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