Europas quälender Nachsommer

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Wer erinnert sich noch der Jahre, in welcher der Sommer eine von der Hitze ermattete Zeit war, in der auch die Nachrichtenkarawane nur noch trägen Fußes dahinzog. Wer erinnert sich der sanften Gelassenheit, die täglich aus den abgeschlankten Zeitungen atmete. Die Sensationen wurden kleiner - verschwindend klein: In Salzburg schwitzte der Jedermann, Helmut Kohl planschte im Wolfgangsee.

Heute haben es die Ruhesuchenden des Sommers ungleich schwerer - zumal 2011: Die Schuldenkrise der führenden Industriestaaten verteilte ihre Fieberschübe über den August, immer weiter angefacht durch sinkende Wachstumsprognosen und eine politische Lähmung, die bei den politischen Gestaltungsbeauftragten immer peinlicher zutage tritt. Ein Ende der Malaise ist nicht in Sicht, da die Versuche, der Krankheit Herr zu werden, sich in einer Symptomkur erschöpfen, die noch dazu ihre Wirkung verfehlt.

Wenn Angela Merkel und Nicolas Sakozy nun von einer Europäischen Wirtschaftsregierung sprechen und diese im EU-Rat der Mitgliedsstaaten ansiedeln wollen, dann verspricht das allenfalls die Installierung eines weiteren Marionetten-Ensembles in Brüssel, das zuhöchst den Grüßgottaugust geben darf - nach dem Vorbild der EU-Außenministerin Ashton und Ratspräsident Van Rompuy: Berlin und Paris geben die Linie vor und Brüssel darf artig Beifall klatschen.

Wochen der Entscheidung

Erschütternd eigentlich, dass die Einsicht in die Notwendigkeiten der Lage gerade in den führenden Nationen Europas nicht gegeben ist. Die wirtschaftliche Einheit und die politische Einheit Europas bedingen einander. In den kommenden Monaten geht es also nicht darum, Hampelmännchen zu installieren, sondern die Frage nach der Finalität Europas zu beantworten. Einzig zwei Antworten sind dabei möglich: ein Staatenverbund, der die Realwirtschaft durch einen finanz- und steuerpolitischen Rahmen regelt und sichert. Auf dieser Basis sind dann auch die vielgescholtenen gesamteuropäischen Anleihen möglich. Ohne diese Einheit, die man getrost als Vereinigte Staaten bezeichnen kann - macht Europa in der derzeitigen Verfassung keinen Sinn und wird - dies ist die Alternativvariante - in einem langsamen quälenden Prozess auseinanderfallen.

Varianten des Zerfalls

Dass diese relativ zwingende Logik in der Partei der deutschen Kanzlerin offenbar einzig Ursula von der Leyen und Wolfgang Schäuble (dem allerdings nur "privat“) einleuchtet, muss uns besorgt machen. Vor allem, weil die Gründe für den politischen Eiertanz Merkels und Sarkozys so offensichtlich und so offensichtlich dumm sind. Sie versuchen, ihre politischen Hälse zu retten - aus Angst, vom Wähler für den Wunsch nach "mehr Europa“ bestraft zu werden. Doch die Debattenverweigerung führt nicht nur zu noch mehr Wählerverdruss, sondern auch automatisch Richtung Unionsverfall. Schon im September, wenn Griechenland wieder Geld braucht, kann man sich davon überzeugen, dass das Zerfallsszenario stetig näher rückt.

Schön wäre es übrigens, wenn SPÖ und ÖVP auffallen würde, dass es dieser Tage in der EU um - wie der deutsche Ex-Außenminister Joschka Fischer dramatisch ausrief - "Alles“ geht und nicht nur um das übliche Tauziehen zur Durchsetzung der nationalen Petitessen. So bestellt ist es um Europas Häupter und um Europas Provinz. Der Sommer geht flirrend zu Ende und er hat nichts an Kräften oder Ideen übrig gelassen als eine dunkle Ahnung von etwas, das da kommt und das unsere Kräfte übersteigen wird. Da beruhigt es wenig, dass dieses Kommende nur deshalb unbesiegbar wurde, weil eine ganze Generation von Staatslenkern vergessen hat, dass Politik zu machen bedeutet, Entscheidungen zu treffen und Überzeugungen zu leben - und nicht bloß Pfründe zu verwalten.

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